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Ein Forum für eine Anthroposophie des Willens bauen

Anthroposophie und ihr Forschungsfeld, die Freie Hochschule mit den Willensfragen des heutigen Lebens zusammenzubringen, das war das Motiv, als sich an Pfingsten diesen Jahres rund 70 Unternehmer und Initiativträgerinnen zur World Goetheanum Association zusammenschlossen. Mit dem World Goetheanum Forum wendet sich diese Initiative nun erstmals an die Öffentlichkeit und lädt Interessierte vom 28. bis 30. September ans Goetheanum ein, um gemeinsam zu verstehen, was es heißt, heute «wirtschaftliche, soziale und spirituelle Verantwortung zu leben».


Aus der Michaeli-Tagung am Goetheanum wird jetzt das Goetheanum World Forum. Was bedeutet das?

Georg Soldner Die Besucher dieses Forums werden selbst eine aktive Rolle spielen. Wir laden Menschen ein, die die Frage interessiert: «Wie gestalte ich aktiv meine soziale Verantwortung, meine wirtschaftliche Tätigkeit und wie bringe ich Impulse aus der Anthroposophie in das tägliche Leben?» Sei es, dass sie jung sind, sei es, dass sie sehr erfahren sind, wie Helmy Abouleish, und aus ihrer Praxis erzählen können. Ein Ziel ist, Menschen aus unterschiedlichen Lebensfeldern, Ländern und Generationen in Austausch zu bringen, sodass sich daraus ein Netzwerk entwickelt. Zwischen solchen Foren können die Teilnehmenden in ihrer persönlichen Aktivität zunehmend miteinander verbunden bleiben

Gerald Häfner Wer am Forum einen Kurs gibt oder einen Vortrag hält, ist nicht Gast, sondern unser Partner in der neu gebildeten World Goetheanum Association. Wir wollen mit diesem Forum eine neue Form des Zusammenkommens am Goetheanum begründen, immer im Herbst, wo sich Menschen treffen und über ihre Impulse austauschen und darüber, wie sie, befruchtet durch Anthroposophie, in der Welt handeln und gestalten. Das Forum wird von der World Goetheanum Association durchgeführt, die das Anliegen verfolgt, in gegenseitiger Wahrnehmung und Hilfe an verschiedenen Orten und auf verschiedene Weise das Schicksal des Menschen und der Erde aus spirituellen Impulsen heraus zu gestalten. Das ‹Goetheanum› beschreibt hier einen geistigen Ort, auf den alle Partner sich beziehen. Zugleich ist es ein Zusammenhang, ein Netzwerk von Impulsen.

Das Forum gibt es jetzt jedes Jahr?

Soldner Ja, in diese Richtung planen wir als World Goetheanum Association, einem partnerschaftlichen Verbund von Betrieben, Institutionen, Initiativen mit der freien Hochschule hier am Goetheanum. Das ist der tragende Hintergrund für das Forum. Auf diesem Forum wollen wir Gelegenheit geben, zu zeigen und wahrzunehmen, wie und wo die Anthroposophie heute lebenspraktisch ist. Denn Anthroposophie in der Welt zu verwirklichen, das bedeutet eigentlich immer eine Initiative, einen Betrieb oder eine Institution in einer sozialen Form zu begründen, in der man tätig ist. Wir laden alle ein, die einen solchen Zusammenhang begründet haben oder begründen wollen, die darin mitarbeiten und die unternehmerische Verantwortung in diesem Feld tragen. Es ist aber auch ein Ort für Menschen, die neu auf die Anthroposophie zukommen, die sich aus einem idealistischen Motiv fragen: «Wie kann ich selbst in dieser Welt fruchtbar tätig werden?» und sich aus einem solchen Zusammenhang heraus für anthroposophisch inspirierte Unternehmen und Einrichtungen interessieren.

Häfner Damit ist ein neues Verständnis der Hochschule verbunden. Im geisteswissenschaftlichen Kontext ist Forschung von Praxis nicht zu trennen. Und gerade im Sozialen ist es, recht verstanden, so, dass Forschung immer Praxis und Praxis zugleich Forschung ist. Ich kann da keine ‹Experimente› machen, weil es immer um Menschen geht und jeder Versuch eine eigene Wirklichkeit schafft. Wir wollen uns als Freie Hochschule künftig mehr mit den Menschen, die heute in der Praxis Anthroposophie zu leben versuchen, in wirtschaftlichen, sozialen, pädagogischen, landwirtschaftlichen oder medizinischen Unternehmen, und sich dort spirituelle Forschungsfragen stellen, verbinden und eine forschende und tätige Gemeinschaft bilden. Jetzt an Michaeli wollen wir einen solchen Gesprächs- und Arbeitszusammenhang bilden, in dem diese Fragen bewegt werden, wobei jede und jeder Lernender und Lehrender zugleich ist. Alle lernen hier voneinander.

 

Markthalle Ob in Berlin oder Basel: die Maryon-Stiftung hilft Initiativen Begegnungsräume zu entwickeln. Hier die neue, alte Markthalle im Basler Zentrum.

Markthalle Ob in Berlin oder Basel: die Maryon-Stiftung hilft Initiativen Begegnungsräume zu entwickeln. Hier die neue, alte Markthalle im Basler Zentrum.

 

Das betrifft auch ein Publikum, das bisher dem Goetheanum eher fernsteht, oder?

Soldner Landwirtschaft, Medizin oder die Schulen sind ja im jeweiligen Bereich gut vernetzt. Was wir jetzt anstreben, ist eine Netzwerkbildung über diese Lebensfelder hinweg, weil die sozialen Fragestellungen quer durch alle Felder verlaufen und auch die spirituelle Arbeit und Forschung der Hochschule für alle Lebensfelder Relevanz hat. Ob das Miteinander verschiedener Generationen oder die Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne anthroposophischen Hintergrund: solche Herausforderungen gibt es auf allen Felder anthroposophischer Wirksamkeit. Deshalb lohnt es sich, sie interdisziplinär zu ergreifen – das tun wir jetzt.

Häfner Ja, ich bin sicher, dass wir damit auch neue und andere Menschen ansprechen. Vor allem einen bestimmten Typus von jungen Menschen heute, die in der Welt etwas bewegen und verändern wollen und die bisher nur schwer Zugang finden zur anthroposophischen Gesellschaft und den traditionellen Formen anthroposophischen Lebens. Je relevanter und lebensnäher unsere anthroposophische Arbeit für deren Anliegen ist, desto eher werden wir sie für eine Beteiligung und Mitarbeit im Forum gewinnen. Zugleich meine ich, dass wir auch mit der Anthroposophie Vertraute anders ansprechen als bisher. Wir wollen innere spirituelle Tätigkeit und äußeres gesellschaftliches Engagement als eine Einheit verstehen, begleiten und fördern. Als junger Mensch, der in einem katholischen Umfeld aufwuchs, hat es mich ratlos und wütend gemacht, zu erleben, wie viele fromme Christen sich am Sonntag in Christi Namen in der Kirche versammeln, beten und singen und ab Montag mit der Welt und ihren Mitmenschen genauso kaltherzig und rücksichtslos verfahren wie zuvor. Das ist ja gerade ein Wesensmerkmal der Anthroposophie – und macht einen Unterschied zu anderen spirituellen Strömungen, Angeboten und Wegen aus – dass diese nicht Selbstzweck ist, nicht Flucht vor der Welt und dem Leben, nicht scheinbarer Trost für verzweifelte Seelen, nicht eine Spiritualität, die in einem sorgfältig dafür ausgesparten Bezirk, getrennt vom Leben und der Welt, gesucht und praktiziert werden will, sondern dass sie, recht verstanden, in jedem Moment Tat ist bzw. wird und auf die Verwandlung des Menschen und der Erde zielt, auf die verantwortliche Gestaltung unseres individuellen wie menschheitlichen Schicksals. Daher suchen wir nach Angeboten und Begegnungen, wo wir uns in dieser Arbeit an der Erde, mit den Menschen und an den Fragen und Aufgaben der Zeit, wirklich treffen und gegenseitig unterstützen können.

Eine Tagung also für den unternehmenden Menschen mit spiritueller Suche?

Soldner Es ist eine Tagung für alle, die aus spirituellen Impulsen unternehmerisch unterwegs sind. Das können der selbstständige Landwirt oder Unternehmensberater, die Leiterin einer therapeutischen Einrichtung oder Praxis, das kann ein Unternehmer oder eine Geschäftsführerin sein oder jemand der sich für eine verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet. Wir haben z. B. mit Armin Steuernagel einen Referenten, der mit 16 Jahren angefangen hat, ein Unternehmen zu starten. Es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die mit 16, 17, 18, 19 anfangen, unternehmerisch tätig zu sein.

Häfner So viele junge Menschen kommen mit starken Impulsen auf die Welt. Da ist dann entscheidend, ob sie hier Menschen begegnen und Verhältnisse finden können, in denen sie diese Impulse wiedererkennen und aufnehmen können. Ihre Frage ist nicht mehr: «Was soll ich tun?» sondern vielmehr «Was will ich tun?». Wo aber diese Frage richtig gestellt und gelebt wird, fallen Sollen und Wollen zusammen. In diesem Sinne geht es für jeden Menschen heute um fördernde Begegnungen, und darum, das Unternehmerische in sich zu entfalten.

Worin liegt das Ziel der Tagung?

Soldner Die Tagung findet ja zu Michaeli statt, das ist kein Zufall. In den Impulsreferaten geht es darum, sich der Frage zu stellen: Was sind gegenwärtig die wichtigsten Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt und wo es sich lohnt, sie gemeinsam anzuschauen und sich dazu auszutauschen? Es treffen sich auf diesem Forum viele mutige, geistesgegenwärtige Menschen. So ist Ende September auch der Moment, mitzuteilen, welche Ideen sich in der Praxis als fruchtbar erwiesen haben. Das Forum ermöglicht hier ein Voneinander_Lernen über die Grenzen des eigenen Tätigkeitsfeldes hinaus. Denn die Antworten auf unsere heutigen Fragen finden wir häufig in ganz anderen Bereichen. Wie sich Pflegefachkräfte in Holland, Kleinbauern in Indien organisieren, wie im Lebensmittelhandel versucht wird, das Thema Assoziation praktisch zu realisieren, das kann für alle von hohem Interesse sein. Nicht zuletzt haben Banken wie gls und Triodos mit all diesen Lebensbereichen Kontakt.

Häfner Als ich die Leitung der Sozialwissenschaftlichen Sektion übernommen habe, da habe ich verschiedene Gespräche geführt, auch mit Unternehmern, mit Menschen, die jetzt am Forum mitarbeiten. Dabei habe ich immer wieder gefragt: «Was erwartet ihr? Was erhofft ihr von der Sektion, vom Goetheanum?» Wir haben das Gleiche getan in der Association, wir haben gefragt: «Was sind eure Fragen, Anliegen und wo habt ihr das Gefühl, könnten wir, könnte das Goetheanum, könnte die Hochschule einen hilfreichen Beitrag leisten?» Und da hat sich gezeigt: Es gibt Fragen, die man woanders nicht besprechen kann. Zum Beispiel: Wie ist der Zusammenhang von Führung und Selbstführung? Wie kann das, was früher durch einzelne große Persönlichkeiten inspirierend ins Soziale einfloss, heute aus Gemeinschaften, aus Kollegien, aus neuen Formen der Zusammenarbeit hervorgehen? Oder das um sich greifende Gefühl, dass die wesentlichen Grundlagen, auf denen unser Zusammenleben politisch und wirtschaftlich fußt, fragwürdig geworden sind. Das ganze Konzept von Kapital, Arbeit, Einkommen, Geld wird herausgefordert, weil die geltenden Bestimmungen dieser Begriffe zurückdatieren ins 18., 19. oder 20.Jahrhundert. A jour aber sind sie nicht. Wir betrachten eine Tafel Schokolade ebenso als Ware wie ein Stück Land, den Zugang zu Trinkwasser oder die menschliche Arbeitskraft. Da stellen sich Fragen, die kann man nicht mehr in der einzelnen Institution lösen. Sie sind übergreifend und wir wollen sie gemeinsam angehen. Das war die Bitte an uns. Und sie war verbunden mit dem Wunsch, aus den so gewonnenen neuen Impulsen, Gesichtspunkten und Ideen heraus das eigene Arbeitsfeld anders zu gestalten als bisher.

Unsere Hoffnung ist, dass sich hier Menschen treffen, die bemerken: «Wir haben Partner in anderen Ländern oder Branchen, die stehen in derselben Frage, lasst uns daran zusammenarbeiten über das Forum jeweils zur Michaeli-Zeit am Goetheanum hinaus. Und das Dritte ist, dass eine Suche, die ich, wenn ich an Universitäten oder in Oberstufen spreche, bei Jüngeren stark erlebe – nämlich: «Wo finde ich Orte in der Welt, wo ich aus meinen Idealen heraus wirksam tätig werden kann?» – eine mögliche Antwort erhält. Unsere Hoffnung ist, dass eine bestimmte Generation hier Begegnungen findet, für die man sonst eine monatelange Reise durch verschiedene Einrichtungen in der Welt unternehmen müsste. Dass die einen Ort auf Erden findet, wo man genau den Menschen begegnen kann, die sich bereits auf diesen Weg gemacht haben. Also wir wollen gezielt auch junge Menschen ansprechen, die etwas bewegen und verändern wollen und für die das vielleicht ein lebensbestimmendes Ereignis sein kann, weil sich Schicksalszusammenhänge bilden können.

“Ein Gründungsmotiv für die World Goetheanum Association ist, dass wir eine vitale Zusammenarbeit mit all den Institutionen, Betrieben und Selbstständigen aufbauen wollen.”

Was bedeutet es, dass diese Initiative gerade jetzt sich bildet?

Soldner In den Jahren der Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft gab es 12.000 Mitglieder und fünf anthroposophische Betriebe. Heute sind es 43 000 Mitglieder der anthroposophischen Gesellschaft weltweit und es gibt annähernd gleich viele Betriebe, Institutionen und selbstständig Tätige, die aus einem anthroposophischen Impuls heraus handeln oder gegründet wurden und für die es bisher kein gemeinsames Netzwerk gibt. Ein Gründungsmotiv für die World Goetheanum Association, den Veranstalter dieses Forums, ist, dass wir eine vitale Zusammenarbeit mit all diesen Institutionen, Betrieben und Selbstständigen aufbauen wollen. Wir wollen die Hochschule verbinden mit Unternehmen, Institutionen, Initiativen, aber nicht nur mit denen, für die das schon lebt für das einzelne Sektionsfeld, sondern jetzt in seiner ganzen Breite. Und diese Erkenntnis ist in den letzten Jahren gereift und damit verbunden ist sicher auch der Prozess, der in der Goetheanumleitung sich vollzogen hat, die gewachsene Zusammenarbeit von Hochschulkollegium und Vorstand in Form einer wirklich gelebten, gemeinsamen Goetheanumleitung. Diese Leitung entspricht dem Spektrum der Association, und sie strebt eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Sektionen an. So stehen jetzt die Sektionen, steht die Goetheanumleitung gemeinsam hinter dieser Initiative. Die Association ist ein für die Entwicklung der Hochschule in ihren Sektionen und für die Zukunft dieses Ortes Goetheanum vital wichtiges Projekt.

Häfner Große, herausragende Persönlichkeiten haben, Leuchttürmen gleich, über Jahrzehnte wesentlich die Entwicklung der Anthroposophie bestimmt. Jetzt gibt es sie nicht mehr. Dafür entsteht aber etwas völlig Neues, nämlich eine Fähigkeit zum Zusammenwirken, wie sie in früheren Generationen tragischerweise nicht zustande kam. Und noch etwas: Interessant ist, dass Rudolf Steiner, der seiner Zeit ja weit voraus war, in der Zeit nach der Weihnachtstagung noch nach einer Form suchte, das, was jetzt entstanden ist als Anthroposophische Gesellschaft, zu verbinden mit dem, was aus der anthroposophischen Bewegung heraus an Einrichtungen zu entstehen begonnen hatte. Das ist damals nicht mehr ausreichend gelungen. Nun haben sich in den letzten Jahrzehnten die einzelnen Sektionsfelder neu gebildet bzw. in ihren Arbeitsbereichen kräftiger organisiert. Da ist viel geschehen. Jetzt streben wir nach einer neuen Form des Zusammenwirkens in der Hochschule selbst, aber vor allem auch mit den Praxis- und Lebensfeldern. Wenn das gelingt, kann so auch eine neue brüderliche Tragekraft für das Goetheanum entstehen. Nach 100 Jahren kann ein Impuls nicht einfach in den alten Formen weitergehen, sondern braucht Erneuerungsschritte, anderenfalls wird seine Kraft mit der Zeit versiegen.

Das Interessante für uns war, dass, als wir in die Gespräche gegangen sind mit den Unternehmen und Unternehmern und den Leitern von Einrichtungen, deren Reaktion meistens war: «Endlich kommt ihr!» Wir dachten, wir müssten lang erklären, was wir vorhaben. Dabei war es oft umgekehrt. sie sagten: «Schön, dass ihr uns fragt, da wollen wir dabei sein!» Sie suchen und wollen die Verbindung. Das scheint mir der neue, jetzt mögliche Griff. Die Zeit verlangt nach einer neuen Art sowohl des Zusammenwirkens als auch der Zuwendung zu den großen menschheitlichen Aufgaben: Wie kann man mit Geld anders umgehen, sodass nicht wir dem Geld dienen, sondern das Geld uns und unseren Zielen? Wie kann man miteinander anders umgehen, sodass nicht ein Mensch Unterworfener ist unter den Willen anderer, sondern dass Menschen sich auf Augenhöhe begegnen, verbinden und miteinander gestalten können? Das alles sind die großen Fragen unserer Zeit, Fragen, an denen wir arbeiten wollen.

Vermutlich gehört der kulturelle Bereich dazu?

Häfner Unternehmer in dem hier gemeinten Sinn kann man auf allen Gebieten sein, auf dem geistigen, dem kulturellen, dem rechtlichen wie dem wirtschaftlichen oder sozialen. Uns interessieren diese Menschen und wo und wie sie tätig sind. Unternehmerische Menschen. Die sind heute nicht beschränkt auf das, was man nach klassischem Verständnis der Wirtschaft zurechnet.

Soldner Die Kunst ist heute im extremen Maße herausgefordert und gefährdet. Ich kann kein Eurythmie-Ensemble führen, ohne Unternehmer zu sein.

Häfner Genau. Auch der Eurythmist ist heute Unternehmer. Zur Association gehört dabei übrigens auch die Frage: «Bruder, was fehlt dir? Wie können wir einander unterstützen und tragen?» Sie ist nicht nur ein Erkenntnisraum und ein Begegnungsraum, sondern könnte auch ein Willensraum werden, in dem es möglich werden kann, mitzutragen, was dem Einzelnen alleine nicht möglich ist, z. B. weil diese Tätigkeit wertvoll ist für den menschheitlichen Zusammenhang, er aber unter den Bedingungen einer kapitalistischen Marktwirtschaft nicht die dafür nötigen Erlöse erzielen kann. So könnte sich – für den innovativen Eurythmisten, eine notwendige Initiative oder ein nachhaltiges Startup – aus dem Umkreis ein Tragewille entwickeln.

 

Wie bei plötzlicher Not durch Krieg, Beben oder Flut der Seele geholfen werden kann zeigen weltweit die Projekte der «Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners».

Wie bei plötzlicher Not durch Krieg, Beben oder Flut der Seele geholfen werden kann zeigen weltweit die Projekte der «Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners».

 

Wie steht der Gedanke der Dreigliederung hier Pate?

Soldner Bei der Entwicklung des Logos für die World Goetheanum Association stand uns im Gespräch das Bild des Herz-Kreislauf-Systems vor Augen und wir haben uns gefragt: Welche Stellung hat das Goetheanum in dem Ganzen? Es hat nicht die Stellung eines Gehirns oder eines Kopfes, sondern es kann ein Ort sein wie das Herz, wo alles zusammen- und neu impulsiert wieder ausströmen kann. Das Goetheanum hat eine Mittelpunktfunktion für die anthroposophische Bewegung, für den anthroposophischen Impuls, aber eben das Herz dominiert nicht. Im Gegenteil es ist ein Wahrnehmungsorgan, das in der Art und Weise tätig ist, wie es der Organismus braucht. Das Herz erfüllt sich nicht selbst, sondern wird vom ganzen Organismus gefüllt, und nur das ermöglicht auch seine impulsierende Tätigkeit. Gelingt uns die rechte Gemeinschaftsbildung, dann werden wir in anderem Maße inspirationsfähig. Und so geht es uns um einen Zusammenhang durchaus im Sinne der Dreigliederung, der sich real mit dem Willensleben der anthroposophischen Bewegung verbindet und sich weltweit öffnet, der aber auch eine verinnerlichende Bewegung anstrebt. Was können wir gemeinsam entwickeln? Dieser Moment des Zusammenströmens wie in einer gemeinsamen Herzkammer und daraus neu impulsiert tätig zu werden entspricht der belebenden Herz-Lungen-Funktion unseres Organismus. So hoffen wir, dass diese Verbindung des Goetheanum mit der anthroposophischen Bewegung sich fruchtbar für beide Seiten weiterentwickeln kann. Was die Dreigliederung betrifft, so ist in der Association eine in Freiheit gemeinsam von allen Gründern erarbeitete Charta unsere Grundlage, die unsere Werte und Ziele formuliert. Wir sprechen in der Association von Partnern, die sich gegenseitig etwas geben, die Gleichheit, die Begegnung auf Augenhöhe ist uns ein zentraler Wert. Der Begriff Association bezieht sich auf eine real und aus Freiheit gelebte Brüderlichkeit. Und wir erhoffen, dass darin auch das Goetheanum eine wesentliche Funktion einnehmen kann, wenn eine weltweite, brüderlich inspirierte Zusammenarbeit der Partner sich dadurch weiter entfalten und entwickeln kann, dass sie sich in Zusammenhang hält in einer lebendig pulsierenden Mitte. Und in diesem Zusammenhang laden wir ein zum World Goetheanum Forum.

Häfner In der Tat werden alle drei Gebiete berührt. Und das Logo drückt das aus. Es geht um spirituelle Impulse, um Forschung auf der einen und um wirtschaftlich-unternehmerisches Handeln in der Welt auf der anderen Seite – verbunden durch die Ebene des Begegnens, der Gleichheit in der Mitte. Doch bei Dreigliederung denkt man meist nur an die Gliederung. Was oft zu wenig bedacht wird, ist der Begriff des ‹Organismus›, d. h. dass wir es im Sozialen mit Organismen zu tun haben, mit Lebewesen! Das gilt für jede Schule, jede Universität, jede Firma, jede Einrichtung, die allesamt Gesetzen des Lebendigen unterliegen. Und es geht bei der Dreigliederung des sozialen Organismus ganz zentral um die Selbstverwaltung dieser sozialen Organismen. Rudolf Steiner trug diesen Impuls in die Welt, als mit dem Kaiserreich noch Formen uralter Herrschaft galten! Dem stellte er die Selbstverwaltung als neues Prinzip gegenüber. Das ist zwar schnell gesagt, setzt aber, wie sich schnell zeigte, einen inneren Entwicklungsweg voraus, den man nicht immer schon als gegeben annehmen kann. Das heißt, die Menschen haben damals die notwendige Souveränität nicht immer aufbringen können und scheitern auch heute oft an diesem Problem. Aber das ist, worum es heute vorrangig geht. Und zwar durchgängig in Kultur, Recht und Wirtschaft. Dort sind wir gestaltend tätig, dort wirken wir zusammen, um soziale Lebewesen hervorzubringen, die sinnvoll, schön und gut sind, die für die Erde und die Menschen Entwicklungsraum bieten. Das beschreibt in noch einem weiteren Sinne den Zusammenhang der Dreigliederungsidee mit diesem neu geschaffenen Forum.


Das Gespräch führten Louis Defèche und Jonas Lismont.

Coverfoto: Sekem, das große Beispiel, wie sich anthroposophische Ideenkraft und Respekt vor der bestehenden Kultur zu einer weltweit beachteten ökonomisch-ökologischen Initiative verbinden können. Hier der Morgenkreis der Mitarbeitenden.

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