Das Herz in den Evangelien

In allen vier Evangelien – insbesondere aber bei Lukas – spielt das Herzorgan eine wesentliche, wenn nicht zentrale Rolle. Die menschenkundlichen Gesichtspunkte oder vielmehr Voraussetzungen der entsprechenden Evangelienpassagen sind dabei vielschichtig und in sich ausgesprochen differenziert – eine Überschau über die Gesamtheit und die intensive Bemühung um jedes einzelne Herzens-Wort führt jedoch weiter und eröffnet große, erstaunliche Horizonte.


Allen Evangelien zufolge ist das Herz ein Organ des Mitgefühls, einer seelischen Anteilnahme an den Geschehnissen der Welt, einer eigenen, gefühlszentrierten Betroffenheit von ihnen. So ging dem Christus Jesus die trauernde Witwe von Nain, der nun auch ihr einziger Sohn (scheinbar) verstorben war, nahe, «zu Herzen» («Als der Herr sie sah, ging ihr Unglück ihm zu Herzen, und er sagte ihr: Weine nicht!». Trauer dagegen erfüllte das Herz der Jünger in der Vergegenwärtigung des baldigen Christus-Todes (Joh 16,6) – eine Herzens-Trauer, die nach den Christus-Worten der Abschiedsreden einer inneren Freude desselben Organes nach der Auferstehung und Wiederkunft weichen sollte («Aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz wird frohlocken, und eure Freude kann euch niemand nehmen.»

Von einer «Härte» des Herzens oder einer «Härte im Herzen» ist in den Evangelien dagegen an einigen Stellen die Rede, wo vonseiten des Christus Jesus die fehlende Empathie der Menschen, das unterbleibende Mitgefühl mit Leidenden und Abseitsstehenden kenntlich gemacht wurde – so mit dem Kranken mit der «vertrockneten Hand», dessen bevorstehende Christus-Heilung argwöhnisch und im Innersten teilnahmslos von den in der Synagoge Anwesenden beobachtet wurde.


Aus Peter Selg, Mysterium Cordis – von der Mysterienstätte des Menschenherzen. Dornach 2003, S. 20.

Grafik Sofia Lismont

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  1. Knaben werden’s belächeln, was Alexander besiegelt,
    Als er am Ganges rief: »Weh mir, es lebt kein Homer!«

    Friedrich Hebbel: Unsterbliche und Unbegrabene

    Selbst ein Ausspruch von Alexander, selbst ein Wort der Verzweiflung, gesprochen in Indien, nach Mühen und Qualen, am Ende der Zeit, darf nicht unwidersprochen in den höchsten Regionen der geistigen Welt schweben, selige Knaben erscheinen, daheim in ihren Kinderzimmern oder aufleuchtend im Leben zwischen Tod und neuer Geburt, viele tausend Jahre später noch, und sie wissen es besser: Homer lebt.

    Jetzt und für alle Zeiten. Bis ans Ende der Welt.

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