Beobachtung, Ziel und Notwendigkeit

Die Dreigliederung des sozialen Organismus sollte weder als Konzept noch als politisches Programm oder gar als Utopie aufgefasst werden. Als Erstes können wir sie ansehen als die Beschreibung einer Wirklichkeit von drei ineinander wirkenden Lebensfeldern im zwischenmenschlichen Zusammensein.


Wie wir an der Pflanze die drei Bildeprozesse der Wurzelbildung, der Blattentfaltung und der Samenreifung unterscheiden, so findet man im sozialen Organismus das Kultur- und Geistesleben, das Rechtsleben und das Wirtschaftsleben als drei voneinander unabhängige und ineinander wirkende Glieder. Als Zweites ist möglich, die sozialen Verhältnisse im Sinne der Dreigliederung als ein anzustrebendes Ziel zu erachten: Die Pflanze steht naturgemäß in der Harmonie ihrer drei Bildeprozesse darinnen. In früheren Zeiten war die Harmonie zwischen den drei sozialen Gliedern durch geistige Führung gegeben; für uns heutige, zur Freiheit strebende Menschen ist sie ein Novum, eine Aufgabe, die im gemeinsamen Erkenntnisstreben und Handeln erst entwickelt werden soll.

Als Drittes können wir die Entwicklung des sozialen Organismus zu seiner dreigliedrigen Wesenheit als eine dringende Notwendigkeit empfinden. Angesichts der Kriegskatastrophe verfasste Rudolf Steiner im März 1919 einen ‹Appell an das deutsche Volk und die Kulturwelt›, der mit den Worten endete: «Man hört im Geiste die Praktiker, welche über die Kompliziertheit des hier Gesagten sich ergehen, die unbequem finden, über das Zusammenwirken dreier Körperschaften auch nur zu denken, welche nicht von den wirklichen Forderungen des Lebens wissen mögen, sondern alles nach den bequemen Forderungen ihres Denkens gestalten wollen. Ihnen muss klar werden: Entweder man wird sich bequemen, mit seinem Denken den Anforderungen der Wirklichkeit sich zu fügen, oder man wird vom Unglücke nichts gelernt haben, sondern das herbeigeführte durch weiter entstehendes ins Unbegrenzte vermehren.» (GA 23, V. Anhang)

Auf den Ersten folgte der Zweite Weltkrieg. Heute können wir uns die Frage stellen, inwieweit deren Ursachen weiterhin wirken. Eine Wende wird in dem Maße möglich sein, als wir die Dreigliederung des sozialen Organismus als Wirklichkeit erkennen, als Ziel erstreben und als Notwendigkeit erachten. Diesem Bemühen ist die Tagung ‹Dreigliederung Schweiz› der Anthroposophischen Gesellschaft in der Schweiz gewidmet.


Veranstaltung ‹Dreigliederung Schweiz – Ideen, Impulse, Initiativen zur Genesung des sozialen Organismus›, 25. bis 27. November 2022

Bild Tagungsflyer

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