Luisa Neubauer im Gespräch mit Philip Kovce in der Reihe ‹Politics Talks› im Unternehmen Mitte. Ihr Ruf: entschlossen und kompromissbereit fossiles Denken und Leben überwinden.
Das Caféhaus Unternehmen Mitte war bis auf den letzten Platz gefüllt. Viele der Besucher und Besucherinnen hatten keinen Blick auf die Bühne, wo Philip Kovce und Luisa Neubauer miteinander sprachen. Anstatt sich zu strecken, um an einer Säule vorbei, doch einen freien Blick zu gewinnen, anstatt sich vorzudrängeln, nutzten sie die Einschränkung als Gelegenheit zur Einkehr: Den Kopf auf die Hände gestützt folgten sie den Antworten der 29-jährigen Klimaschutzaktivistin und schienen zweigleisig aufmerksam zu sein: mit einem Ohr beim Podium und mit dem anderen bei sich und all den eigenen Lebensfragen und -widersprüchen. Luisa Neubauer griff diese Stimmung auf: «Die Welt ist komplex und wir haben alle viele Sorgen und viele Krisen. Und genau wie es in meinen Augen nie das Konzept war, dass jede Woche mal eben eine Million Schulkinder auf der Straße stehen und erwachsene Menschen daran erinnern, dass sie ihren eigenen Job machen, geht es nicht darum, den lieben langen Tag übers Klima zu reden.» Fridays for Future, deren Gesicht in Deutschland Luisa Neubauer ist, könne nicht «Babysitter der Nation» sein. Statt fortwährend an das Klima zu denken, solle man es vielmehr «mitdenken». Dann mit anderen Worten: «Die Klimakrise ist nicht der Elefant im Raum – die Klimakrise ‹ist› der Raum!» Das bedeutet für Neubauer, dass alle heutigen Fragen und Krisen im Licht des Klimaschutzes gelöst werden sollten. Ob Kinderarmut, die soziale Schere oder Verlust der Artenvielfalt, ob Russlands Angriff auf die Ukraine oder das Wohnungsproblem: Bei der Bewältigung dieser Krisen sollte der Klimaschutz jeweils mitgedacht werden. Mehr noch, die neu hinzukommenden Krisen helfen, in der Klimafrage kreativ zu werden. Neubauer schlug vor, die Bewältigung der vielen Krisen nicht in Konkurrenz zueinander zu sehen, nicht zulasten der einen Krise eine andere zu bekämpfen, sondern dieses Konzert an Problemen synergetisch zu behandeln. So entwarf sie ein Bild ökologischer Ganzheitlichkeit. Dabei käme es nicht darauf an, dass wenige Aktive 100 Prozent ökologisch seien, sondern dass möglichst viele, bestenfalls alle Menschen, den ökologischen Gedanken ‹in mind› hätten. In einer komplexen und widersprüchlichen Welt sei ein absoluter Anspruch schädlich. Es gebe keine ‹reinen Lösungen›. Vielmehr müsse man fortwährend Kompromisse finden und dabei doch sich selbst und seinem ökologischen Gewissen treu bleiben.
Abschied vom fossilen Denken
Was nicht funktioniere, so Neubauer, sei, wenn man es denen, die die Krise verursacht haben, immer recht machen wollte. Hier prägte sie das Adjektiv ‹fossil›: Es gäbe die fossilen Lebensentwürfe im 20. Jahrhundert, es gäbe fossile Karrieren, fossile Autokraten, fossile Kriegsherren und fossile Staatsformen. Dieser Blick offenbarte die destruktive lebensfeindliche Haltung, die zu all diesen Feldern gehört. Demnach geht es für Luisa Neubauer in erster Linie nicht darum, den Verbrenner in der Garage mit einem Elektroauto einzutauschen, den Gasbrenner durch eine Wärmepumpe zu ersetzen. Diese Schritte sind natürlich notwendig, sind die Folge einer tiefer liegenden Selbstbefragung und Selbstaufklärung über Sinn und Ethik des Lebens. Dem ökologischen Handeln liege zugrunde, die fossile Lebensweise als solche zu erkennen, in ihrer Rücksichtslosigkeit und Lebensfeindlichkeit zu entlarven. «Klimaschutz spiegelt sich dann in der Art und Weise, wie wir auf diese Welt blicken, und ob wir kontrollierend, wütend und überheblich oder liebevoll, achtsam und friedfertig sind.»
Dabei sei ein klimafreundlicheres Leben ein glücklicheres Leben, so Neubauer. Damit entgegnete sie dem Vorwurf, dass Klimaschutzaktivisten und-aktivistinnen angesichts ihrer Endzeitszenarien und Untergangsvorstellungen ihre Lebensfreude verlieren würden. Warum solle man sich für den Erhalt des Lebens einsetzen, wenn das Niedergeschlagenheit als Nebenwirkung mit sich bringe? Nur wer vor ökologischen Katastrophen Angst empfinden würde, könne sich auch über die Schönheit der Natur freuen. Es gäbe, so Neubauer, zahlreiche Studien, die diesen psychologischen Zusammenhang zeigen würden. Angst vor Verlust und Freude am Vorhandenen sind zwei Seiten einer Medaille. Das gilt auch für Entschlossenheit und Kompromissfähigkeit: Sich selbst treu zu sein und die Widersprüche des Lebens willkommen zu heißen, gehören zusammen. Am Ende des einstündigen Gesprächs schlug Neubauer eine weite Brücke: Das Schöne an einem Kulturwandel zu mehr Klimaschutz sei, dass es eine zutiefst gemeinschaftliche Sache sei. Wir seien im Klimaschutz auf unsere Mitmenschen angewiesen, dass auch sie etwas unternehmen. Klimaschutz schlägt so in jedem Menschen die Brücke zur Menschheit. Es war still im Unternehmen Mitte, als sie diesen Gedanken vortrug. Was häufig als Vorwand genommen wird, nichts zu tun, das dreht sie in das Gegenteil. Gerade ‹weil› Klimaschutz kein Eigennutz ist, ist er erstrebenswert. Was Luisa Neubauer nicht aussprach, war doch der Goldgrund im Gespräch und füllte die Atmosphäre in dem Caféhaus. Das sah man, wenn man mit dem Blick die Augen anderer suchte: Es geht um die Herzregion, das Mitgefühl, das Maß an Liebe, das man für sich und seine Umwelt hervorzubringen vermag.
Später im persönlichen Gespräch frage ich, wieso den Klimaschutzaktivisten und -aktivistinnen solcher Argwohn und nicht selten Hass entgegenbrande. «Viele sehen sich in ihrer fossilen Lebensleistung entwürdigt», antwortet sie und schlägt wieder einen empathischen Ton an. Es sind wohl tatsächlich zwei Seiten einer Medaille: das Klima der Erde und das soziale Klima.
Veranstaltungen UM Politics Talk
Bild Luisa Neubauer und Philip Kovce, Foto: Wolfgang Held