Europa – die Suche nach der versunkenen Mitte

Markus Osterrieder hat vor zehn Jahren über den Ersten Weltkrieg und seine Ursachen das umfangreiche Buch ‹Nationalitätenfrage, Ordnungspläne und Rudolf Steiners Haltung im Ersten Weltkrieg› geschrieben.


Jetzt hält er Vorträge zum Thema Europa: ‹Die Suche nach der versunkenen Mitte›. Die dramatischen gegenwärtigen politischen Ereignisse machen deutlich, wie zentral diese Frage ist. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchten vor allem Geografen, den Platz der Deutschen in Europa räumlich zu fixieren, während Dichter wie Friedrich Schiller oder Friedrich Hölderlin eine poetische Vision merkurial wirkender, zu einer eigenen gei­stigen Aufgabe ‹erwachter› und darin geeinigter ‹deutschen Lande› entwickelten. Doch die Imagination des «wehrlos Rat gebenden» mittleren Europa, das einem Kind das Leben schenkt, wurde nach 1840 häufiger durch die zwiespältige, weil zunehmend imperial-machtpolitisch verstandene Verzerrung verdrängt, man habe «vom Mittelpunkte Europas durch deutsche Kraft und Bildung den Orient zu erobern» oder sogar «allordnend die Geschicke der Welt zu bestimmen».

Vor dem Hintergrund seiner Geburt in der Donau-Monarchie ging es in Rudolf Steiners Leben und Werk nicht zuletzt um die Verwirklichung der Möglichkeit, wie einem mittleren europäischen Kulturraum der soziale Boden geschaffen werden könne, in dem der suchende Mensch seinen inneren Wesenskern, sein ‹Ich› zur Entfaltung bringen würde. Dies war für ihn jedoch verbunden mit dem Ergreifen einer der europäischen Mitte gemäßen Spiritualität, die zum Geburtshelfer der menschlichen Emanzipation und Individuation werden sollte. Dies benannte er in Anknüpfung an «Goethes Geistesart» als «Streben nach Individualität», «das Sein im Werden, das Zu-etwas-hinstreben, das Erblicken in weiter Ferne desjenigen, was man eigentlich sein will.»

Am Beginn des 21. Jahrhunderts zeigt sich erneut, dass angesichts der sich zuspitzenden Krisen und Neuordnungen der Welt gerade die Europäer «dastehen und Maulaffen feilhalten und nicht verstehen, was da herankommt und was eigentlich zu tun ist». In diesem Sinn sind die Fragen, die Rudolf Steiner während seines Erdenlebens bis 1925 aufwarf, immer noch von existenzieller Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft der zusammenwachsenden Menschheit.


Der Vortrag ist nur als Liveveranstaltung zugänglich. Tickets über: tickets.goetheanum.ch

Bild Markus Osterrieder. Quelle: Verlag Urachhaus

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