Formen sind Impulsgeber

Astralux führt Herstellung und Vertrieb der Dörfler-Leuchten weiter.

Man kennt sie. Gefühlt gibt es kaum eine anthroposophische Einrichtung, wo sie nicht installiert sind. Auch über meinem Schreibtisch im Goetheanum hängen sie: die Dörfler-Leuchten.


Um mehr über sie zu erfahren, geht die Fahrt nach Breitenbach im Schweizer Kanton Solothurn. Die Räume von Astralux befinden sich im Industriegebiet. In der unmittelbaren Nachbarschaft befindet sich eine Stoffbandfabrik, auf dem Gelände fällt die Firma für Kunststoffverbundstoffe ‹brac› mit ihrer funktionalen Gebäudehülle auf. Seit Mai 2022 logiert im Altbaubestand des Geländes das Bakelit-Museum mit Produkten aus Haushalt und Technik aus der Frühzeit der Kunststoffe.

Von Arto- zu Astralux

Warmherzig empfängt Dragan Senfner uns, Xue Li als Fotografin, Louis Defèche als Kollegen und mich. Eine Lebensbegegnung mit den heute 84-jährigen Gründern führte ihn zum Entschluss, die Dörfler-Leuchten weiterhin verfügbar zu machen. Dafür hat der Eurythmist Anfang des Jahres den Bestand der Firma Artolux in die dafür gegründete Firma Astralux überführt.

Wir steigen zwei Etagen eines schmalen, hellen Treppenhauses hinauf. Das Gebäude hat bessere Tage gesehen. Doch hinter der Tür zu Astralux verändert sich die Atmosphäre schlagartig. Nun ist Frische und Ordnung zu erleben. An der Decke über mir hängen dicht an dicht Dutzende Pendelleuchten, keine gleicht der anderen. Es riecht nach Lösungsmitteln – für mich unerwarteterweise: Seit wann riechen Lampen?

Der Geschäftsführer führt uns rechts ins Büro. An der Wand neben und über der Tür sind Wandleuchten ausgestellt, nicht weniger dicht als im Flur, sowohl in den weitgehend bekannten kristallinen, also eher eckigen, als auch in den mir bislang nicht bekannten floralen, also runden Formen. Die Formenvielfalt der Dörfler-Leuchten wird hier auf wenigen Quadratmetern deutlich.

Unter diesem Namen sind die Pendel- und Decken-, die Wand-, Tisch- und Stehleuchten vielen bekannt. Sie werden zuletzt seit 1997 in Breitenbach unter dem Namen Artolux von Ursula und Rudolf Dörfler produziert. Sie haben 64 Jahre lang an der Entwicklung der Leuchten gearbeitet und sind dabei offen für Innovationen geblieben. Als beispielsweise Halogenleuchtmittel Mode wurden, haben sie ihre Leuchten, wo nötig, entsprechend angepasst. Angepasst, denn Halogenlampen brauchen einen Transformator, was das Design beeinflusst. Jetzt, da sich die led-Technik als Standard erweist, können die Leuchten auch mit diesen Leuchtmitteln ausgestattet werden.

Formenhalt

Nach der Begrüßung geht es in die erste Produktionshalle: Links befinden sich vom Boden bis unter die Decke unzählige Schubladen mit für die Produktion benötigten Kleinmaterialien, von Schrauben über Drähte bis hin zu Fassungen. An der Wand direkt gegenüber befindet sich ein Industrielift. Ein paar Schritte weiter sind links Hartfaser- und Acrylglasplatten aufgestellt. Tilo Emanuel Nissen, der Geschäftspartner von Dragan Senfner, zeigt die Tönungen der Acrylglasplatten: weiß, opal (milchig) und transparent. Transparent? Ich werde zukünftig darauf achten, wo ich auf diese Plattenvariante stoße.

Rechterhand stehen mehrere Maschinen zum Zuschneiden der Plättchen und zum Fräsen der Öffnungen zwischen Wand oder Decke und der Fassung für die Leuchtmittel. Die Plättchen werden im Montageraum zum Schirm zusammengefügt. Wie kann man aber mehrere Plättchen, und diese in polyedrischen Raumformen, so halten, bis sie verleimt sind? Die Plättchen werden mithilfe eines Bandes provisorisch aneinandergeklebt. Die vorproduzierten Winkel an den Verbindungsseiten helfen, dass die Plättchen richtig positioniert sind. Doch ohne Geschicklichkeit gelingt auch dies nicht. Hier geht Dragan Senfner seinem Kollegen praktisch zur Hand – neben der gemeinsamen Geschäftsführung gehört die Montage zu seinen Aufgabengebieten.

Der fertige Schirm kommt zurück in die erste Halle. Beim ersten Eintritt hatte ich links ob der Fülle der Schubladen übersehen, dass es einen Zugang zum vierten Funktionsbereich gibt: der Kammer fürs Lackieren. Hier erhalten die Platten eine matte Oberfläche, damit sie nicht spiegeln. Der Fachausdruck dafür ist etwas vornehmer: Sie werden satiniert. Von hier kam also der Geruch der Lösungsmittel!

Formenwunder

So weit, so gut – es ist also wie beim Basteln mit Papier: Man muss das Material zuschneiden und verkleben. Nur komplexer, wie die passgenauen Winkel an den Seiten der Plättchen zeigen.

Aber halt, was ist beispielsweise mit den floralen, den runden Formen? Diese lassen sich ja nicht aus wie auch immer zugeschnittenen kantigen Plättchen bilden! Hier liegt oder besser steht das Geheimnis in einem anderen Gebäude.

Wir fahren mit dem Industrielift gemächlich ins Erdgeschoss und gehen rechts zu einem Nebengebäude mit einem großen Ofen. Er hat mehrere Kammern. Sie erinnern mich mit ihren hohen Türen an schmale Spinds. Hinter ihnen werden jeweils einzelne Acrylglasplatten auf etwa 180 Grad erst erwärmt und dann auf der benachbarten Maschine weiter bearbeitet.

Je nach Lampenform kommen zwei Verfahren zum Einsatz: Bei einem wird die erhitzte Platte von unten mit Druckluft in eine Negativform geblasen. Der Luftdruck von etwa 10 Bar kommt von einem Kompressor im Keller und wird so lange aufrechterhalten, bis die so in Form gebrachte Acrylglasplatte abgekühlt ist. Nahtlos erscheinen nun die einzelnen Seiten der Form. Bei einem anderen Verfahren wird die erhitzte Platte ebenfalls von unten mit hohem Luftdruck zu einer Art Ballon aufgeblasen, welcher sich nach rechtzeitigem Abschalten des Luftdrucks über einen hochfahrenden Formenstempel legt und so die Leuchtenform beim Abkühlen annimmt. Auch dadurch bilden sich fugenlose Leuchten.

Entwicklungen bis in die Produktionsmaschinen

Von Raum zu Raum und damit von Produktionsschritt zu Produktionsschritt wird deutlich, wie sehr jede Leuchte das Ergebnis einer komplexen Folge von Handarbeit ist. Tilo Emanuel Nissen, selbst Schreiner, Maschinenbauingenieur und Eurythmist, weist in diesem Zusammenhang auf das Geschick von Rudolf Dörfler auch beim Maschinenbau hin. So ist eine der benötigten Fräsmaschinen ein kompletter Eigenbau und die Maschine zur Bearbeitung der heißen Acrylglasplatten eine Spezialanfertigung nach den Wünschen Rudolf Dörflers.

Seine Beschäftigung mit platonischen Körpern und eine Begegnung mit dem Architekten Rex Raab führten zum weiteren Studium von Raumformen. 1958 begannen dann Rudolf Dörfler und seine Frau, die Eurythmistin Ursula, mit der Produktion von Leuchten. Diese sind heute in aller Welt in anthroposophischen Einrichtungen zu finden, aber auch in Gemeindehäusern und Firmen. Die meisten Kundinnen und Kunden kommen aus Europa, doch gehören weltweite Sendungen zum Tagesgeschäft. So fand wenige Tage vor der Besichtigung unter anderem eine Verschickung nach Island statt, eine weitere nach Israel stand bevor.

Noch heute zeigt sich im Lager die Produktivität der beiden Dörflers. Sie haben nicht nur für laufende Bestellungen produziert, sondern auch zahlreiche Leuchten ‹auf Lager› – ein Schatz, auf den die Nachfolger zurückgreifen können. Darüber hinaus zeichnet sich die Arbeit der Inneneinrichter durch Sonderanfertigungen aus. Denn um architektonische Räume gut und zu ihnen passend auszuleuchten – gerade wenn sie individuelle Formen und von Gebäude zu Gebäude unterschiedliche Rahmenbedingungen aufweisen –, braucht es maßgeschneiderte Anfertigungen. Gut, wenn man sich mit räumlicher Geometrie auskennt, seien es platonische oder eurythmische Formen.

Material

Die Besichtigung der Werkräume findet einen Abschluss – wir sitzen für einen Nachklang wieder im Büro. Mein Bild von ‹der› typischen Dörfler-Leuchte hat sich geweitet, gerade durch die Vielfalt an Formen und Größen. Auch erfuhr ich, dass im Betrieb gegebenenfalls Leuchten repariert werden. Das macht das Angebot nachhaltig.

Wie sieht es aber mit dem verwendeten Hauptmaterial, dem Kunststoff Acrylglas, aus? Warum ausgerechnet Kunststoff in einem anthroposophischen Unternehmen, von dem man Natürlichkeit und Nachhaltigkeit erwartet? Nun, viele der anthroposophisch inspirierten Gebäude wurden mit Beton gebaut, weil sich dieses nahezu beliebig formen lässt. Acrylgals lässt sich ebenso ziemlich beliebig und zudem ergiebig formen, sofern man die Materialeigenschaften gut kennt und beherrscht.

Tilo Emanuel Nissen: «Rudolf Dörfler hat oft als mündlich überliefertes Zitat Rudolf Steiners erwähnt, dass es ein künstliches Holz zur Formgestaltung brauche.»

Dragan Senfner: «Wir leben in einer weitgehend begradigten Welt. Acrylglas ermöglicht, lebendige Formen zu schaffen. Das ist wichtig, weil die Formen, die uns umgeben, auf uns wirken.»

«Formen sind immer ein Impulsgeber, wirken auf das Ätherische, regen es idealerweise an, sich zu bewegen», fährt Tilo Emanuel Nissen fort. «Lebendige Formen sind eine Nahrung für die Seele.»

Licht

Über eines haben wir noch nicht gesprochen: über das Licht. Es ist ja unsichtbar – Farben werden durch ‹Widerstand› sichtbar, etwa indirekt beim Schattenwurf oder bei einer – wie sie Johann Wolfgang Goethe nennt – Trübung: Liegt eine Trübung vor etwas Hellem, entstehen Gelb und Rot – wie beim Abendrot, weil hinter der Atmosphäre, der Trübung, die helle Sonne steht; liegt Helligkeit vor der Finsternis, entsteht Blau – wie beim Himmel, wenn die hell erleuchtete Atmosphäre vor dem dunklen Weltenall liegt.

Wir sprechen trotzdem von Sonnenlicht, assoziieren mit ihm Wärme. Beide sind für viele Lebewesen existenziell. Rudolf Steiner hat einmal darauf hingewiesen, dass bei Verdichtung von Wärme Licht entstehe (16. März 1908, ga 102, 2016, S. 86); ein Licht, das kalt erscheint, ist vielen unangenehm. Ein Bestandteil im Produktionsprozess von Acrylglas ist Erdöl; dieses ist aus pflanzlicher Substanz durch Wärme entstanden.

Für Astralux ist wichtig, dass das Licht ‹da› ist, es soll nicht auffallen; es soll angenehm sein und durch die durchlichteten Formen zum Beleben des Menschen beitragen.

In manchen Unternehmen steht aktuell ein Generationswechsel an oder wurde vollzogen. Mit Dragan Senfner und Tilo Emanuel Nissen haben sich zwei gefunden, die solch ein Erbe aufgreifen und weiterführen möchten. Und zwar ausdrücklich aus der Anthroposophie heraus, als gelebte Anthroposophie.

Als ich an meinen Arbeitsplatz zurückkehre, fällt mir auf, dass auch die Leuchten im Goetheanum eine viel größere Anzahl an Formen und Größen besitzen, als ich bisher wahrgenommen hatte. Nur eine Form finde ich hier nicht: die florale. Vielleicht liegt das an der Formensprache des Zweiten Goetheanum?


Fotos: Xue Li

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