Wolfgang Schads Weg zur Christus-Michael-Sprache über die Natur

Rudolf Steiner schrieb in seinen letzten Lebensmonaten: «Sprechen wir heute so, dass unsere Gedanken auch die des Christus sein können, so setzen wir den ahrimanischen Mächten etwas entgegen, das uns behütet, ihnen zu verfallen. Den Sinn der Michael-Mission im Kosmos verstehen, heißt, so sprechen können. […] Nicht bloß über Erlösung von der Natur, nicht bloß über Seele und Göttliches sollen wir die Christus-Sprache lernen, sondern über den Kosmos. Anthroposophie […] möchte die Christus-Michael-Sprache sprechen».1


Wolfgang Schad hat sich sein Leben lang bemüht, das Buch der Natur, das Buch des Kosmos zu lesen. Es ging es ihm darum, durch das Studium der Anthroposophie die Christus-Michael-Sprache zu hören und zu denken. Sie zu schreiben, war er zu keusch. Aber sein Bemühen ging darum, die den Sinnen zugängliche Welt mit ideeller Erkenntnis zu durchdringen. Der junge Rudolf Steiner schrieb in seinen Kommentaren zu den naturwissenschaftlichen Schriften Goethes in Kapitel VI (‹Goethes Erkenntnisart›): «Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen. […] Das ist Idealismus, […] der den konkreten Ideengehalt der Wirklichkeit ebenso erfahrungsgemäß sucht, wie die heutige hyperexakte Forschung den Tatsachengehalt. […] Wir […] legen […] einen geläuterten, höheren Empirismus zu Grunde.» Diesen höheren Empirismus beschrieb Schad in seinem Beitrag zum Buch ‹Imagination. Das Erleben des schaffenden Geistes›2 in drei Stufen, die er imaginatives, inspiratives und intuitives ideelles Erkennen nannte.

Imaginatives ideelles Erkennen beginnt damit, sich die bunte Welt sinnlicher Eindrücke ordnend anzueignen, sodass Vorstellungsbilder entstehen, die die Wirklichkeit zum persönlichen Erfahrungsschatz werden lassen. Diese erfahrungsgesättigten Vorstellungen sind die Basis aller ideeller Welterkenntnis und gelingt dadurch, dass die sinnenfällige Wirklichkeit als von einer Idee durchdrungen denkend erfasst wurde. Dies ist die imaginative Stufe ideeller Erkenntnis, für die jeder an der Natur vollzogene Erkenntnisakt Typologie ist.

Typologisieren ist schon auf dieser Stufe ein plastischer Prozess, indem zeitliche Prozesse, Gestalt-Verwandlungen, Metamorphosen gedacht werden, wie die Evolution der Wirbeltiere. Die Beweglichkeit des ideellen Erkennens, die sich zwischen der lebendig-dynamischen Ideenerfassung des Forschenden und ihrer Prüfung an der sinnlichen Wirklichkeit im Wechsel von Deduktion und Induktion vollzieht, wird zum inspirativen Element des Erkennens. Dessen geistiger Gehalt wächst, ohne den prüfenden Kontakt mit der Wirklichkeit zu verlieren und eröffnet Begegnung mit einem Wesen durch intuitive ideelle Erkenntnis. Denn wenn in dem, was bisher Idee genannt worden ist, ein wirkendes Wesen gedacht, ja, erlebt werden kann, dann gilt, was Goethe in seiner Plotinkritik aussprach: «Eine geistige Form wird aber keineswegs verkürzt, wenn sie in der Erscheinung hervortritt, vorausgesetzt, dass ihr Hervortreten eine wahre Zeugung, eine wahre Fortpflanzung sei. Das Gezeugte ist nicht geringer als das Zeugende, ja es ist der Vorteil lebendiger Zeugung, dass das Gezeugte vortrefflicher sein kann als das Zeugende.»3 (Hervorh. VH).

Werden Organismen als Entwicklungsstufen geistig wirkender Wesen erfasst, dann bereitet sich das intuitive ideelle Erkennen auf die Begegnung mit diesem Wesenhaften vor, das auch dann noch existiert, wenn es physisch durch den Tod gegangen ist. Anthroposophie beschreibt den Übergang zu dieser geistigen Wahrnehmung und dann die Wahrnehmungsinhalte selbst. Sie spricht die Christus-Sprache, wenn sie darstellt, wie der Gottessohn sinnlich in Erscheinung trat und diese Erscheinung selbst, die Leiblichkeit Jesu, durch sein Leben und sein Sterben so weiterentwickelte, dass sie als «heilende Arznei» der sich entwickelnden Menschheit dienen kann, wenn sie den Christus-Impuls zur Grundlage ihres Verhaltens und Handelns machen will.

Foto: Ariane Totzke

Wolfgang Schad vermittelte auf der imaginativen Stufe des Erkennens, was auf die ‹Michael-Sprache über die Natur› hinführt, wenn er Pflanzen oder Tiere morphologisch ordnete – schon 1967 bei dem Vergleich der buchenverwandten Bäume, am umfassendsten in der 2. Auflage seines Werkes ‹Säugetiere und Mensch› – und wenn er in seiner Promotion und Habilitation mit inspirativer ideeller Erkenntnis Entwicklungswege der Wirbeltier-Evolutionaufzeigte, die offenbart, wie das Geistwesen Mensch sinnlich in Erscheinung tritt und im Leibe jenes Geistbewusstsein entwickeln kann, dass ihm ermöglicht, in intuitiver ideeller Erkenntnis zur Begegnung mit jenen geistigen Wesen zu kommen, die uns umgeben. Sie macht möglich, eine zukünftige Entwicklung des Menschen gemäß dem Bericht vom Wirken des Gottessohnes als Menschensohn zu denken und nicht nur zu glauben.

Wolfgang Schad führte auf die Michael-Sprache hin – in imaginativer, inspirativer und intuitiver ideeller Erkenntnis. Er steigerte sein Sprechen, indem er in Verehrung Goethes sein eigenes Sprechen durch dessen Dichtungen überhöhte. – Goetheanismus wird ‹das Christentum der Zukunft sein›. ‹Schon jetzt lebt in ihm der Christus-Impuls›. So fasst er Steiners Aussagen zum Goetheanismus zusammen.4

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Footnotes

  1. Aus: Menschheitszukunft und Michael-Tätigkeit, Leitlinie zu den Leitsätzen 112–114 vom 2. Nov. 1924. In: Rudolf Steiner, Anthroposophische Leitsätze (GA 26).
  2. Hrsg. von Roland Halfen und Andreas Neider, Stuttgart 2002, 31–65.
  3. Nummer 27 in ‹Makariens Archiv›, am Schluss von Goethes Roman ‹Wilhelm Meisters Wanderjahre›.
  4. Siehe Anmerkung 2 und GA 169/192; 185/201.

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