Wiedergesehen am Goetheanum: Hans Hermann

Mit der großzügigen Retrospektive und Ausstellung ‹Das offenbare Geheimnis der Farbe› wurde 2022 am Goetheanum der Künstler Hans Hermann (1922–2002) gewürdigt – 20 Jahre nach seinem Tod und 36 Jahre nach der überhasteten Beendigung seiner Tätigkeit als Leiter der Sektion für Bildende Künste und der Malschule am Goetheanum.


Barbara Schnetzler kuratierte und komponierte in mehreren Räumen den Weg von ersten Motiven bis zur schieren Farbenfreude. Der Klangkünstler, befreit von Vorbildern, Einflüssen, Motiv, zeigte sich immer deutlicher und schöner, je älter er wurde. Ein sensibler Farbklangkünstler war er wohl schon in jungen Jahren, doch mehr und mehr auch im Gespräch und in der Zusammenarbeit mit seinen Studentinnen und Studenten sowie in seinen Kursen und Tagungen.

Hans Hermann, in Pratteln in der Nähe des Goetheanum geboren und aufgewachsen, war in der Jugend (und vielleicht immer) Autodidakt: ein unabhängiger, selbstmotivierter Lernender und Forschender. 38-jährig ging er als Student an die Malschule von Emil Schweigler am Goetheanum und leitete ab 1972 als dessen Nachfolger die Sektion für Bildende Künste und die Schule im Norddachatelier.

Hans Hermann, Klänge für Verborgenes, 1989, Acryl

Aus seiner Initiative entstanden die jährlichen Künstlertagungen am Goetheanum, wo Malerei, Bildhauerei, Architektur, Eurythmie und Musik zusammenarbeiten und sich begegnen konnten. In Basel gründete er die vom Goetheanum unabhängige Galerie Aenigma. «Hans Hermann trat nie sehr in den Vordergrund mit seinen eigenen Werken. Ihm waren die sozialen Prozesse zwischen den Menschen und der daraus entstehende Malprozess immer viel wichtiger. Auch hatte er nie den Drang, viele Ausstellungen seiner Bilder zu inszenieren.» (Nicola Schneider Hermann im Kunstband)

Er war einer, der vom Lehrer und Kursleiter unkonventionell zum Freund wurde. Sein Umkreis erlebte ihn mal als Indianer und Schamane, mal als Raubtier und Adlerkopf. Er malte nicht allein geheimnisvolle Stimmungen und zarte Zwischentöne. Hans Hermann hatte auch ein produktives, unerschrockenes, neugieriges Verhältnis zur Technik. Mit dem Sportwagen fuhr er nicht nur zum Goetheanum hoch. Zu Hause richtete er ein eigenes Tonstudio ein und produzierte für den regionalen Rundfunk vom Jazz über Bach bis zur Guggenmusik der Basler Fasnacht. Eigene Vorträge nahm er selber auf Tonband auf. Mit dem aufkommenden Videoformat kaufte er sich eine Videoausrüstung, gründete ein eigenes Filmstudio, erhielt Aufträge von Portus-Bau, Drogeriemarkt dm, Weleda, forschte und experimentierte mit Christof Graf und suchte nach einem Weg, Eurythmie filmisch umzusetzen.

Hans Hermann, Rittersporn, 1967, Gouache

Konsequenterweise rief Hans Hermann im Jahr 1986 zweimal zu Treffen anthroposophischer Medienschaffender auf (Journalisten, Medienerzieher und Filmer). Es war sein letztes Jahr am Goetheanum. Der Vorstand forderte ihn, 64-jährig, auf, nach 14 Jahren als Sektionsleiter zu gehen. Es musste offenbar schnell gehen. Ein Nachfolger war noch nicht da, deshalb übernahm der Gesamtvorstand interimistisch die Leitung der Sektion, bis Christian Hitsch erst 1989 die Leitung antrat.

Nicola Schneider Hermann, seine letzte Ehefrau, regte die Ausstellung an und setzte sich dafür ein, dass sie auch zustande kam. Sie ist die Herausgeberin des Kunstbandes ‹Hans Hermann. Werk und Leben› (Schneider-Editionen, 2022) mit wunderbaren Bildreproduktionen, Texten von Hans Hermann, vielstimmigen Beiträgen und einem aus seiner Nähe erlebten Lebensabriss. Ein origineller Mensch, Künstler und Anthroposoph! Die lebhafte Vernissage besuchten viele Menschen (auch aus Hermanns späteren Kursen), die hier noch nicht gesehen wurden, und in der Klavierbegleitung und mit der Jazzstimme einer Urenkelin erklangen Töne, die (wahrscheinlich) im Goetheanum noch nie zu hören waren.


Titelbild Malerei von Hans Hermann, 1970

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