Wie eine Subkultur

Hamburg, Deutschland. 2025 ist das 100. Todesjahr von Rudolf Steiner. Wie lebt er in einzelnen Menschen weiter? Henry Holland, Übersetzer aus Schottland, gibt seine Antworten.


Wo hat dich Anthroposophie irritiert?

Anthroposophie tut viel mehr, als mich bloß zu ‹irritieren›. Es ist jedoch bemerkenswert, wie die Erwähnung von Steiners Namen – zumindest im deutschsprachigen Raum – sofort eine Reihe hitziger Reaktionen hervorruft, auch von Personen, die zugeben, eigentlich wenig über ihn zu wissen. Ich bin ohne Kontakt zur Anthroposophie aufgewachsen und erst mit 21 Jahren als Freiwilliger in einer Camphill Community mit ihr in Berührung gekommen. Damals hat sie bei mir definitiv häufig Verwunderung ausgelöst. Ich stelle mir Anthroposophie oft als Subkultur vor, mit einer eigenen Sprache, bestimmten Verhaltensweisen und Symbolen. Wie bei jeder Subkultur – sei es die Folkmusik-Revival-Szene der frühen 1960er-Jahre in den USA oder Dada in Zürich 1916 – steht man erst einmal ratlos da, bevor man lernt, die komplexen sprachlichen und visuellen Codes dieser Kulturen zu verstehen. Im Gegensatz zu den meisten Subkulturen des 20. und 21. Jahrhunderts ist die Anthroposophie jedoch immer wieder erfolgreich darin, ihre Reichweite zu vergrößern und auch den Alltag von Menschen jenseits der gesellschaftlichen Kreise, aus denen sie hervorgegangen ist, zu berühren. Sie tut dies, indem sie Antworten auf zentrale gesellschaftliche Fragen anbietet: Wie können wir unsere Energieerzeugung und -versorgung nachhaltig gestalten? Wie können wir gesunde Nahrungsmittel für die wachsende Weltbevölkerung anbauen, ohne dabei Wasser-, Boden- und Luftqualität zu schädigen? In ihren Bemühungen, nachhaltige Alternativen zu erschaffen, haben sich Anthroposophen und Anthroposophinnen gelegentlich in eine gewisse Orthodoxie zurückgezogen – was irritieren kann. Dann muss ich immer daran denken, wie vollkommen unorthodox Steiner selbst war.


Kontakt Henry Holland

Bild Henry Holland

Letzte Kommentare