Was meine ich mit Führung?

Führung kann heute eigentlich nur noch ein Ziel haben: Selbstführung. Will Führung etwas anderes, diskreditiert sie sich. Wenn Führung nicht zur Selbstführung führen will, missbraucht sie jene, die sie führt.


Tango getanzt von Cor Klinkert und Liesje Santen in 1930. Ausschnitt aus dem Film von Polygoon-Profilti.

Führung lässt frei, wenn sie sich überflüssig machen will. Tut sie das nicht, dient sie der Abhängigkeit. Die Frage lautet: Wem dient Führung? Der Freiheit oder der Abhängigkeit? Beispiel Tango: Da führt der Mann die Frau. Man könnte meinen, er sei der Bestimmer, der ihr zeige, wo’s langgeht. Doch das ist ganz falsch. Der Herr führt die Dame im Dienste ihrer Bewegung. Er bestimmt nicht, was sie zu tun hat, sondern verschafft ihr den Spielraum für ihre Bewegung. Es geht um ein feines Zusammenspiel. Für die Tänzerin ist es das Größte, sich dem Tänzer ganz hinzugeben, sich auf den von ihm geschaffenen Spielraum einzulassen und ihn auszukosten. Sie geht ganz mit, ohne sich dabei aufzugeben. Hingabe, die in Aufgabe verfließt, ist nicht attraktiv. Zurückhaltung, um Eigenständigkeit zu behaupten, auch nicht. Sich nicht einzulassen ist keine Eigenständigkeit. Das Zauberwort, das Tänzerinnen und Tänzer verbindet, heißt Vertrauen. Die Tänzerinnen, die sich vertrauensvoll hingeben, ohne sich dabei aufzugeben, sind die begehrtesten. Sie sind es, welche die Männer über sich hinauswachsen lassen. Misstrauische Frauen lassen Männer erstarren und zwei linke Beine bekommen. Und wiederum ähnlich geht es Frauen, die von misstrauischen Männern und solchen, die Führung falsch verstehen, geführt werden. Sie können sich nicht hingeben, wenn der Mann alles oder nichts sein will. Sie stolpern dann über seine Beine oder stehen anderen auf den Füßen. Führung im Dienste der Bewegung des anderen. […] Wenn zwei den Tango gekonnt tanzen, ist nicht mehr zu erkennen, wer führt und wer geführt wird. Beide führen einander in Freiräume, die sie ohne den anderen niemals betreten könnten. Führung wird Freiraumforschung.


Aus: Daniel Häni, Philip Kovce: ‹Was fehlt, wenn alles da ist? Warum das Bedingungslose Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt›, vorgelesen von Andrea Pfaehler auf Youtube: ‹Grundeinkommen, der Tanz der Freiheit›.

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare