Was ist ein Bild?

Die Ausstellung des Jawlensky-Preisträgers Frank Stella ist bis zum 9. Oktober zu sehen.


Was ist ein Bild? Ein begrenztes Etwas an der Wand? Etwas Wahrgenommenes, das sich mir als Erinnerung einprägt? Eine Vorstellung, die sich zwischen mich und die Welt schiebt? Etwas, das ich als ein sich zur Gestalt verdichtendes Kraftgebilde in mir trage und gegebenenfalls aus mir heraussetze in die Wahrnehmbarkeit? Eine Komposition, die nach und nach Gestalt annimmt, in der Auseinandersetzung mit der Fläche, dem Material, dem Raum? Das Ausfüllen, Ausführen eines Konzeptes in einem vorgegebenen Rahmen? Haben Bilder rechteckig, quadratisch oder rund zu sein? Was passiert, wenn die äußere Form aufbricht – aus dem Rahmen, in den Raum? Ist es dann (noch) Bild oder (schon) Objekt? Ist ein Bild überhaupt an eine bestimmte Dimensionalität, an eine Erscheinung im Raum gebunden?

Solche essenziellen wie formalen Fragen stellen sich angesichts der Werke des 1936 geborenen, in New York lebenden und arbeitenden Künstlers Frank Stella, die bis zum 9. Oktober im Museum Wiesbaden zu sehen sind. Dort wurde der Künstler kürzlich mit dem Alexej-von-Jawlensky-Preis ausgezeichnet. «I work away from the flat surface but I still don’t want to be threedimensional; that is, totally literal […] more than two dimensions but short of three, so, for me, 2.7 is probably a very good place to be», so der Künstler über sich selbst.

In Stellas frühen ‹Black Paintings› (um 1960) erscheint das Bild als reine Oberfläche ohne Inhalt und Bedeutung – abgesehen von der einem Konzept folgenden Pinselführung, die in Form von regelmäßigen Streifen sichtbar wird. Durch die Farbe Schwarz wird dieses Nullpunkt-Erlebnis noch verstärkt. Anders als bei den schwarzen Bildern von Mark Rothko haben die Bilder von Stella mittels der Farbe keine Tiefe, die in das Gemüt des Betrachtenden eindringt. Die Leinwand als solche bekommt so schon Objektcharakter.

In Stellas nächsten Schritten bricht der gewohnte Umriss des Bildes auf und mittels Materialcollagen wird die Zweidimensionalität gesprengt. Schließlich löst sich das Bild weiter von der Wand, die wie in der Serie zu Melvilles ‹Moby Dick› nur noch als Halterung zu dienen scheint: Jetzt wird die Auseinandersetzung mit dem Raum konkret, ja sogar spielerisch. Die Farben lösen sich von der Form des Trägers, es gibt Ein- und Durchblicke, und sogar die Farbflächen erscheinen in sich bewegt. Nicht zuletzt durch die so ermöglichten Lichtspiele bekommen diese ‹Bilder› nicht nur räumlich Tiefe. Sie sind Ausdruck eines lebendigen Experimentierens, das auch die Betrachtenden zu einem solchen herausfordert.

Werk von Frank Stella, Foto: Stephan Stockmar

Mit der jüngsten Werkserie aus dem Jahr 2021 geht der nun 85-jährige Stella in seinem Experimentieren mit dem ‹Bild› noch einen Schritt weiter: Unter dem Titel ‹Salmon Rivers of the Maritime Provinces› hat er am Computer dreidimensionale Gebilde entworfen, variiert und dann als 3-D-Drucke ‹ausgeworfen› – ohne jedoch eine bloße Illusion zu erzeugen: Der technische Entwurfs- und Ausführungsvorgang bleibt präsent; die beliebige Reproduzierbarkeit der Formen wird eingefangen durch manuelle und somit individualisierte Farbgebung. Auch die Aufhängung der Gebilde an handwerklich gefertigten Gestellen hält sie in der sinnlichen Welt. So wird der sich aufdrängende Charakter einer algorithmisch generierten Folge spürbar aufgebrochen.

Was bei Alexej Jawlensky – dem Namensgeber des Preises, den Frank Stella nun erhalten hat – als serieller Prozess im dem Inneren der Seele seinen Ursprung hat, wird hier bewusst ganz ins Äußere ‹übersetzt›, in ornamental-dekorative Gebilde, ohne sich jedoch (wie etwa im Jugendstil, der wie Jawlensky im Wiesbadener Museum sehr präsent ist) durch Gefälligkeiten anzubiedern. Dadurch werden neue Grenzerfahrungen möglich, die allerdings aktiv ergriffen werden müssen. So bleibt das spielerische Potenzial des Künstlers mehr oder wenige verborgen; die Werke scheinen sich von seiner Person abzulösen. Und doch ist es der Künstler, dem sie ihre Wirkung verdanken. Die Existenzialität steht gewissermaßen frei im Raum – als Frage nach dem Menschsein in der (modernen) Welt. (Bild-)Tradition ist als Geschichte insofern gegenwärtig – im Sinne einer Fortführung der ewigen Auseinandersetzung des Künstlers mit der Frage nach dem ‹Bild›.

Bis zum 14. August ist im Museum Wiesbaden auch noch die Jubiläumsausstellung ‹Alles! 100 Jahre Jawlensky in Wiesbaden› zu sehen: mit 111 Werken aus allen Schaffensperioden des Künstlers der komplette Sammlungsbestand des Museums, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg systematisch wieder aufgebaut wurde. Jawlensky hat sich 1921 in Wiesbaden niedergelassen und dort bis zu seinem Tod 1941 gelebt. Er gilt als einer der ‹Erfinder› des Malens in offenen Serien, die in ihrer Gesamtheit wie eine immer mehr in geistige Dimensionen führende Auseinandersetzung mit dem Wesen des Menschen erlebt werden können. Hier wird der Bildraum auf andere Weise erweitert – ohne die klassische Form des Bildes zu sprengen.


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