Warum das Bild wichtig wird

Im ganzen Mittelalter finden wir das Bild der Taube, die z. B. den Evangelisten ins Ohr fliegt, um sie zu inspirieren. Der Raum ‹hinter› den Menschen war der entscheidende – beeindruckend manifestiert in der Pharaonenstatue des Chefren, hinter dessen Kopf der Horusfalke platziert ist.


Mit der Entwicklung der Zentralperspektive, der Fernrohre und des naturwissenschaftlichen Experiments hat sich das Wahrnehmen umgewendet auf die vor Augen liegende Welt; die visuelle Erfahrung ist zum Ausgangspunkt der Realitätsempfindung geworden. Was wir sehen, ist objektiv und sicher. […] Die Konsequenzen dieses ‹iconic turn› lassen sich bis in die Zeitschriftenlandschaft hinein verfolgen: Die Texte treten immer mehr zurück, an ihre Stelle treten Bilder. Offensichtlich überanstrengt uns der bloße Text heute, während das Bild unmittelbar einlädt, Aufmerksamkeit weckt, Emotionen berührt. Das Wort allein genügt nicht mehr, es bedarf zunehmend der bildlichen Begleitung. […] Man schreibt dem Gedanken also dann Evidenz und Überzeugungskraft zu, wenn er durch bildhafte Anschaulichkeit autorisiert ist, oder noch elementarer: Interesse und Motivation, einen Gedanken überhaupt aufzunehmen, hängen nicht unwesentlich vom visuellen Reiz ab.


Aus Andre Bartoniczek, Die Zukunft entdecken. Kapitel: Was ist Anschaulichkeit? Stuttgart 2014.

Grafik Sofia Lismont

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