Von der Haltung des Herzens

In den letzten Jahren hat sich die gesellschaftliche Spaltung in den USA verschärft. Der Kampf zwischen den beiden Parteiplattformen durchzieht das Denken und die Medien mit hypnotischer Wirkung. Dies verschließt den Blick für hoffnungsvolle Potenziale.


Das ökonomische Denken in den USA sieht den Markt als Wettbewerb, als einen von persönlichen Eigeninteressen inspirierten Wettbewerb um finanzielle Gewinne. Heutige Konservative begründen es damit, dass Menschen von Natur aus eigennützig seien. Die Freiheit zu schützen heiße dabei, die Märkte nicht zu regulieren, mit wenigen Ausnahmen wie der Verhinderung von Monopolen. Dadurch könnten auch konkurrierende Gruppen und Einzelne zu Reichtum und Macht kommen. So würden sich die Ideale von Freiheit und Vielfalt die Hand reichen. Obwohl das gut gemeint ist, führen staatliche Eingriffe um einer gerechteren Umverteilung willen zur Konzentration der staatlichen Macht, die – das darf nicht vergessen werden – Polizei und Militär unterhält. Das zeige, dass die vermeintlich guten Absichten blauäugig sind und Tyrannei und Verschwendung die Tür öffnen.1 Bei den Liberalen ist die Denkweise ähnlich, doch wird die Demokratie dazu herbeigerufen, den Markt durch Umwelt-, Wahl- und Arbeitsgesetze zu regulieren und den Einsatz von Steuern zur Umverteilung von Reichtum durch öffentliche Programme zu nutzen.2

Red, White and Blue noise, Ella Lapointe, Gouache auf Papier und digitale collage, 2020.

Diese Parteiprogramme verstellen den Blick auf das soziale Potenzial, das dem Vereins- und Gesellschaftsleben in den USA innewohnt. In den frühen Jahrzehnten der Republik beschrieb Tocqueville eine weit verbreitete Tendenz zu spontan begründeten Vereinigungen (associations) für das Gemeinwohl. Während man sich in Frankreich an die Regierung wenden würde, um eine Idee zum Wohle aller umzusetzen, komme es einem Menschen in den USA nicht in den Sinn, die staatliche Autorität um Hilfe zu bitten. Er würde seinen Plan veröffentlichen, anbieten, ihn auszuführen, andere zur Unterstützung seiner Bemühungen aufrufen und persönlich gegen die Hindernisse vorgehen.3 Diese «Haltung des Herzens» (habit of the heart) weist in zwei Richtungen: die wirtschaftliche und die kulturelle.

Wirtschaftsverband versus Wettbewerb

Privates Engagement gewinnt in der Sozialökonomie immer größere Bedeutung. Heute kann man in 38 US-Staaten eine Benefit Corporation gründen, deren Aufgabe es ist, steuerlichen, sozialen und ökologischen Wohlstand zu schaffen. [Anm. d. Red.: Benefit Corporations sind eine vor zehn Jahren entstandene us-amerikanische Unternehmensform, die es z. B. in Deutschland nicht gibt.]4 Jährlich prüft die Corporation ihr Engagement bezüglich materieller, ökologischer und sozialer/kultureller Wertschöpfung. Diese Corporations zeigen, dass es möglich ist, Unternehmen so zu führen, dass es zum Wohl der Arbeitenden, der Verbrauchenden und der Umwelt geschieht. Das Ziel ist, wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Förderung der gesellschaftlichen Solidarität oder Nachhaltigkeit zu entwickeln. Kern dieser Perspektive ist es, die Idee des Homo oeconomicus oder des rationalen Egoisten als Ausrichtung des Wirtschaftens infrage zu stellen.

Geld, das zur Unterstützung einer Kultur verwendet wird, aber durch Zwang (Besteuerung) gesammelt wurde, droht die eigentliche Authentizität der Gemeinschaft zu korrumpieren.

Nach wie vor ist die Überzeugung verbreitet, dass nur eine Minderheit von Menschen zu Altruismus fähig sei. Einige der bemerkenswertesten Forschungen der jüngeren Sozialwissenschaft zeigen, dass das falsch ist.5 Es sind nur Gewohnheiten und Dogmen, die uns davon abhalten, anzuerkennen, dass Menschen freiwillig mehr Altruismus praktizieren könnten, wenn man ihnen ermöglicht, jenseits der Dollars die Produktionsbedingungen, die Fürsorge für die Arbeitenden und die ökologischen Praktiken zu sehen.

Red, White and Blue noise, Ella Lapointe, Gouache auf Papier und digitale collage, 2020.

Die Globalisierung steigert die Anonymität und macht es deshalb dem Egoismus leichter, sich zu entfalten. Rudolf Steiner sah deshalb die größte Herausforderung der modernen Ökonomie darin, die persönliche Empathiefähigkeit gegenüber Wesen und Dingen zu fördern. Dabei käme es darauf an, so Steiner, in den Wirtschaftsverbänden und Unternehmen die Bedingungen des Wirtschaftens gedanklich zu durchdringen, um von diesem Verständnis entzündet freiwillig Solidarität und Altruismus in der gesamten Wirtschaft zu begründen. Es ist interessant, die sozialen Motive und Energien, die auch in Genossenschaften, ethisch arbeitenden Banken, nachhaltigem Investment, Biohandel und der Community Supported Agriculture am Werk sind, in diesem Licht zu betrachten. Das ist eine eine vielversprechende Richtung in den USA, die aus der assoziativen Tradition des Landes erwächst. Das ist eine andere Tendenz als das, was im Silicon Valley und in den riesigen Konzernen am Werk ist, die durch Marketing, Manipulation und Billigpreise die Bedingungen ihrer Tätigkeit verschleiern. Dieser ganzheitliche Trend bringt den Unterschied zwischen einer sozialen Wirtschaft und einer Mensch und Erde auslaugenden Ökonomie drastisch ans Licht. Rudolf Steiner schlug auch vor, dass Kapital vergesellschaftet werden solle. Es sollte sozialen und kulturellen Zwecken zugeführt werden, die der Gesellschaft als Ganzes dienen, nicht dem privaten Vermögen.6 Dies führt zu einer zweiten vielversprechenden Richtung: der demokratischen Philanthropie.

Demokratische Philanthropie versus plutokratische Philanthropie

Die oben erwähnte, von Alexis de Tocqueville beschriebene Haltung ist in den USA mit der sozialen und kulturellen Arbeit verbunden, allerdings nicht mit der Wirtschaft. Es ist erhellend, Thomas Jeffersons ursprüngliche Satzung zur Trennung von Kirche und Staat in diesem Licht zu betrachten.7 Er charakterisierte, wie das Geben aus Respekt, Hoffnung und gutem Glauben heraus eine hygienische Funktion für die Kultur darstellt. Geld, das zur Unterstützung einer Kultur verwendet wird, aber durch Zwang (Besteuerung) gesammelt wurde, droht die eigentliche Authentizität der Gemeinschaft zu korrumpieren. Finanzielle Unterstützung, die aus Dankbarkeit und Enthusiasmus fließt, verlangt von den Kulturschaffenden und -unterstützenden weit mehr, als wenn die Unterstützung per Gesetz zugesprochen wird.

Weltweit einzigartig ist in den USA das Spenden von Einzelpersonen, aber die wirtschaftliche Ungleichheit nimmt gleichwohl zu. Das Gefühl, dass Einzelne durch freie Initiative einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten können, steht einer Verknappung des Einkommens gegenüber, sodass die Menschen über ein schwindendes philanthropisches Kapital verfügen. Dies ist nicht auf einen Mangel an Kapital zurückzuführen. Es ist ein Verteilungsproblem (nicht nur ein Umverteilungsproblem). Die Wohlhabenden gründen philanthropische Stiftungen und Initiativen, die großen Einfluss ausüben, ohne dass sie ihre Nachbarn durch Begeisterung und Interaktion überzeugen müssen!

Das Gefühl, dass man geben und sich freiwillig engagieren kann, um zum Gemeinwohl beizutragen, ist ein Eckpfeiler der Erfahrung von Freiheit und Selbstbestimmung in den USA.

Dies ist eine zutiefst bedeutsame Entwicklung! Das Gefühl, dass man geben und sich freiwillig engagieren kann, um zum Gemeinwohl beizutragen, ist ein Eckpfeiler der Erfahrung von Freiheit und Selbstbestimmung in den USA. Es trägt zum Gefühl der Zugehörigkeit und der Handlungsfähigkeit bei. Wie Tocqueville schon feststellte, ist es auch eine Schule für die Erfahrung politischer Freiheit. Wenn sie verloren geht, geht das Gefühl der politischen Freiheit mit ihr, und das gesunde Gefühl für wirtschaftliche Assoziation.

Wenn wir uns eine assoziative Wirtschaft vorstellen können, können wir uns auch ein unabhängiges kulturelles Leben in den USA vorstellen, das durch demokratisches Geben unterstützt wird. Dies könnte neben einem menschenwürdigen Einkommen und Arbeit in der Wirtschaft auch Gutscheine für kulturelle und soziale Arbeit beinhalten, die von Dankbarkeit, Begeisterung und Hoffnung aller Bürgerinnen und Bürger geleitet werden.

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Footnotes

  1. Milton Friedman, Capitalism and Freedom: Fortieth Anniversary Edition. University of Chicago Press, 2009.
  2. Thomas Piketty, Capital in the Twenty-First Century. Harvard University Press, 2017.
  3. Alexis de Tocqueville, Democracy in America. Library of America, 2004.
  4. Mehr Infos über Benefit Corporations: Utopia/Nachhaltige Unternehmensformen
  5. Kai Ruggeri, et al., Replicating Patterns of Prospect Theory for Decision under Risk. Nature Human Behaviour 4, Nr. 6 (Juni 2020), S. 633.
  6. Rudolf Steiner, Nationalökonomischer Kurs. Verlag der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung, 1965.
  7. Thomas Jefferson, Writings. Library of America, 1984.

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