Visionärin im Dialog mit der zeitgenössischen Kunst

Im Aargauer Kunsthaus sind bis 24. Mai Werke von Emma Kunz zu sehen.


Eines der berühmtesten Zitate von Emma Kunz lautet: «Es wird die Zeit kommen, in der meine Bilder verstanden werden.» Die Künstlerin, Heilerin, Forscherin und Visionärin Emma Kunz (1892–1963) hat uns ein reiches und tiefgreifendes Werk hinterlassen, das in eindrücklicher Art und Weise Kunst, Wissenschaft und Religion verbindet. In den letzten Jahren gab es mehrere Ausstellungen in der Schweiz (z. B. in Appenzell 2020 oder in Susch 2019), die die Arbeiten von Emma Kunz einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen versuchten. Nun zeigt das Kunsthaus Aarau ihr Werk.

Die Ausstellung umfasst rund 50 Zeichnungen, von denen einige zum ersten Mal gezeigt werden. Die großformatigen Arbeiten stehen im Gespräch mit neu entstandenen Arbeiten von 15 zeitgenössischen Künstlern und Künstlerinnen. Ziel der Ausstellung ist es, einen unbekannten Blickwinkel auf das Werk von Kunz zu geben, der sich trotz der Tradition durchaus zeitgenössisch zeigt.

Durch den Dialog der Werke der verschiedenen künstlerischen Praktiken kann man bezeugen, wie die Kunst selbst die Kategorie der Kunst transzendiert, die oft eingekapselt und begrenzt wird. In dieser Transzendenz entsteht ein Dialog, so wie ihn Emma Kunz auch geführt hat. Denn Kunz ist nicht in die Schranken des rein Künstlerischen einzuordnen. Ihre Annäherung an die Kunst ist eine ganzheitliche, nämlich in ihren verschiedenen Formen der Untersuchung der Phänomene der Natur. Auf diese Weise treten ihre Arbeiten in Kontakt mit den anderen ausgestellten Werken, deren künstlerische Praxis ebenfalls die Grenzen zwischen Leben und Kunst überwindet.

Ab 1938 widmete sie sich dem Verständnis der Gesetze und Kräfte der Natur. Wahrscheinlich im selben Jahr begann sie, großformatige Zeichnungen auf Millimeterpapier anzufertigen.

Emma Kunz’ Interesse am Heilen führte sie zur Erforschung der Gesetze von Krankheit und Gesundheit, Mikrokosmos und Makrokosmos, Mensch und Gott. Sie verstand den Heilungsprozess nicht durch die Behandlung der Krankheit, sondern durch die Behandlung der Person, die krank ist. Ihr Forschungslabor war ausgestattet mit Mikroskopen, technischen Messgeräten und einem Geigerzähler. Sie selbst glaubte, dass ihre Eingebungen auf Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien beruhten und die Frage sei, ob wir mit ihnen arbeiten könnten. Ab 1938 widmete sie sich ganz dem Verständnis der Gesetze und Kräfte der Natur. Wahrscheinlich im selben Jahr begann sie, großformatige Zeichnungen auf Millimeterpapier anzufertigen. Ihre Freunde nannten sie ‹Penta›, was sich etymologisch auf die Schwingung des Pendels bezieht. In den philosophischen Strömungen der griechischen Antike war das Pentagramm, das in ihren Zeichnungen immer wieder auftaucht, ein Symbol der Pythagoräer und galt als Anagramm der Vollkommenheit und Gesundheit. Es verweist auf das fünfte Element, den Äther, der anders und einzigartig ist und immer unverändert bleibt.

Emma Kunz, Werk Nr. 172, undatiert, Farbstift auf Papier, Ø 68 (Blattmass) Emma Kunz Stiftung, Würenlos © Emma Kunz Stiftung Foto: Conradin Frei, Zürich

Ihre großformatigen Zeichnungen sind hochkomplexe geometrische Gebilde. Emma Kunz verwendete Millimeterpapier, Grafit, Buntstifte, Ölkreide, Lineal, Zirkel, ein kleines Holzbrett, auf dem die vier Himmelsrichtungen eingeritzt waren, und ein Pendel. Zeugnissen zufolge nutzte sie systematisch dieselbe Technik, um ihre Zeichnungen anzufertigen. Sie stellte sich vor das Papier und konzentrierte sich auf ein bestimmtes Problem oder eine persönliche, geopolitische oder heilende Frage. Einige Zeugenaussagen bestätigen, dass sie nicht aufhörte, zu zeichnen, bis die Zeichnung fertig war. Manche Sitzungen dauerten mehr als 24 Stunden und sie war am Ende völlig erschöpft. In den Ergebnissen der Zeichnungen erhielt sie ‹Informationen›. Diese komplexen Kompositionen, die zwischen verschiedenen Kategorien schwanken – von harmonischen Kompositionen zwischen Farbe und Form bis hin zu geometrischen Spannungen in verschiedenen Ebenen, die durch Verflechtungen von Beziehungen und Polaritäten miteinander verbunden sind –, teilten ihr etwas mit.

Hier in der Schweiz im Aargauer Kunsthaus ist eine weitere Gelegenheit, sich dem Leben und Werk dieser faszinierenden Forscherin, Heilerin und Künstlerin Emma Kunz anzunähern.


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