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Venezuela: Gefahr eines Bürgerkrieges

Gerüchte über einen Krieg verbreiten sich in Südamerika um Venezuela herum. Wieder einmal stehen sich die großen Blöcke frontal gegenüber. Einige Länder fordern offen den Sturz des Präsidenten, wenn nötig mit Gewalt, einige unterstützen die Regierung der ‹Bolivarischen Revolution› und wieder andere sind nuancierter. Bernhard Steiner, der selbst in Venezuela lebte, wirft einen Blick auf die Situation.


Je nach Blickwinkel, mit dem man auf die Lage in Venezuela schaut, entsteht ein unterschiedliches Bild. Einmal ist es eine von einer Diktatur unterdrückte Bevölkerung in ihrem Freiheitskampf, das andere Mal zeigt sich ein Land, das durch Boykott und Wirtschaftssanktionen in die Knie gezwungen werden soll, um sich als Gewinn die größten nachgewiesenen Erdölvorräte der Welt anzueignen.

Umstrittene Wahl

Die öffentlichen Medien verbreiten das erste Bild und fordern Sanktionen gegen den mit 68 Prozent gewählten Präsidenten Nicolás Maduro, um ihn definitiv zu stürzen. Er sei illegitim, da die Präsidentschaftswahlen vom Mai 2018, auf die sich Maduro heute beruft, von einer illegitimen verfassunggebenden Versammlung angesetzt worden waren. Außerdem gewann Maduro die Wahlen mit einer Beteiligung von unter 50 Prozent, da weite Teilen der Opposition zum Wahlboykott aufgerufen hatten. Weil die Regierung von Präsident Maduro illegitim sei, ernannte sich am 23. Januar der Parlamentspräsident Juan Guaidó selbst zum Interimspräsidenten. Von den USA, Kanada und einigen Staaten Südamerikas wurde er schnell anerkannt (es gab Absprachen im Vorfeld), während die Europäische Union mit einer Anerkennung Guaidós gezögert hat, denn die Meinungen der einzelnen Verantwortlichen in den Staaten gehen auseinander.

Mittlerweile hat die deutsche Bundesregierung Guaidó anerkannt, sich dabei aber eine Rüge der Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages eingeholt, denn völkerrechtlich ist die Anerkennung des selbsternannten Interimspräsidenten ein außenpolitisches und diplomatisches Novum. In der Stellungnahme heißt es: «Bislang war es jahrelange deutsche Staatspraxis, lediglich Staaten anzuerkennen und keine Regierungen oder Präsidenten.» Die USA machen zusätzlich Druck und drohen mit einer Intervention: «Die militärische Option ist noch nicht vom Tisch», erklärte kürzlich der US-amerikanische Sicherheitsberater John Bolton. Er kündigte an, alle Einnahmen Venezuelas aus dem Erdölexport in die USA einzufrieren und die Kontrolle über die eingefrorenen Ölgelder dem venezolanischen Oppositionsführer Juan Guaidó zu übergeben. Das wäre ein großer Verlust für Russland und China, die viel in Venezuela investiert haben. Gegenwärtig haben wir eine Pattsituation. Diese wird so lange dauern, wie die etwa 2000 venezolanischen Generäle (etwa so viele wie die der NATO) zu Maduro halten. Das Militär ist jetzt das Zünglein auf der Waage. Sie sind die großen Profiteure der mit Erdölgeld geschmierten Korruption. Wie kam es dazu?

Überwindung von innen

In Venezuela hatte sich mit der Wahl von Hugo Chávez im Jahre 1998 ein Politiker durchgesetzt, der mit der ‹Bolivarischen Revolution› neue Akzente im Kampf gegen das von Korruption durchdrungene System setzte. Er versuchte direkt-demokratische Partizipationsmöglichkeiten in das politische System einzuführen. Der Lebensstandard stieg tatsächlich und in den folgenden Jahren und wurde Chávez noch zweimal wiedergewählt. Er überstand 2002 einen Putschversuch, an dem, wie später nachgewiesen wurde, die CIA beteiligt war. Im Jahre 2004 stellte er sich einem Referendum zu seiner Abwahl, aus dem er als Sieger hervorging. Als er 2013 an Krebs starb, übernahm der Vizepräsident Nicolás Maduro das Amt. In den Wahlen des Jahres 2013 gewann Maduro mit über 50 Prozent der Stimmen.

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Das sind die Lehren, die wir aus den Interventionen in fremde Staaten wie Libyen, Irak, Syrien, etc. ziehen sollten. Eingriffe von außen erweisen sich als schädlich.

Venezuela war immer stark vom Auf und Ab des Erdölpreises abhängig. Statt in die Verbesserung der Anlagen und den Aufbau der Industrie zu investieren, zog die Regierung unter Chávez und später unter Maduro es vor, das Geld unter den loyalen Gefolgsmännern zu verteilen. Die gegenwärtige Regierung hat jetzt das Problem, dass die meisten Raffinerien des verstaatlichten venezolanischen Erdölunternehmens PDVSA (Petróleos de Venezuela s.a.) gar nicht auf venezolanischem Boden stehen, sondern über verschiedene Inseln der Karibik und an der Südküste der USA verteilt sind und dass die Zentrale der CITGO (eine 100-prozentige Tochter der PDVSA) in Houston steht. Das erleichtert die Beschlagnahme der Lager- und Vermögenswerte. Venezuela ist also erpressbar. Das merkte die Regierung Maduro auch, als sie jüngst in ihrer Not über das in der Bank of England gelagerte Staatsgold verfügen wollte. Es wurde ihr verweigert mit dem Argument, sie sei illegitim. Die Regierung Maduro mag korrupt sein, aber ihre Überwindung muss von innen kommen, vom Volk selbst. Das sind die Lehren, die wir aus den jüngsten Interventionen in fremde Staaten wie Libyen, Irak, Syrien etc. ziehen sollten. Eingriffe von außen erweisen sich als schädlich.

Südamerika den Nordamerikanern

Leider hat der Versuch der Vereinigten Staaten von Amerika, in Süd- und Mittelamerika einzugreifen, eine lange Tradition. Die im Jahr 1823 vom damaligen US-Präsidenten James Monroe verkündete ‹Monroe-Doktrin›: ‹Amerika den Amerikanern› verwandelte sich im Gang des 20. Jahrhunderts in ein ‹Südamerika den Nordamerikanern›. Die Reihe der Eingriffe ist lang und braucht hier nicht aufgezählt zu werden. Völlig unbekannt geblieben und auch nicht im Bewusstsein vieler Südamerikaner ist der blutigste Krieg um Öl und Gasvorkommen, der auf dem Kontinent stattfand, der Krieg des Chaco (1932 bis 1935). In den Sumpfgebieten zwischen Bolivien und Paraguay vermutete man größere Ölvorkommen. Während die Standard Oil of New Jersey (USA) Bolivien unterstützte, hatte die Royal Dutch Shell (Niederlande und Großbritannien) die paraguayischen Regierungskreise hinter sich. In den Sumpfgebieten starben etwa 90 000 Menschen zum Teil unter schrecklichen Bedingungen, verhungert, verdurstet und an Malaria. Am Ende stellte sich heraus, dass die Erdölvorkommen gar nicht so groß waren wie zuerst vermutet.

Die Gefahr eines Bürgerkrieges ähnlicher Art ist in Venezuela nicht gebannt. Gefährlich ist die Situation, weil wieder verschiedene Akteure aus dem Ausland unter dem Vorwand humanitärer Hilfe mitmischen wollen und dabei ihre wahren Intentionen verschleiern.


Foto: Jonathan Mendez, Luftbild von Caracas

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