Seltene Erden – verborgene Erden

Chemie und Sozialwissenschaften gehören zusammen. Die Wirklichkeit entsteht in der Zusammenschau ihrer Perspektiven.


Im dritten naturwissenschaftlichen Kurs, den Rudolf Steiner zum Thema ‹Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie› im Jahr 1921 gehalten hat, regt er dazu an, klassisch voneinander abgegrenzte Wissenschaftsgebiete ins Gespräch zu bringen. Denn der eingegrenzte Blickwinkel des Fachwissenschaftlers, der nur sein spezielles Fachgebiet verstehe, bleibe an der Oberfläche der Welt und dringe mit seinem Erkennen nicht bis zur Wirklichkeit vor. Als erstes Beispiel weist er auf die Zusammenführung von Astronomie und Embryologie hin, um die äußerlich ins Wesenlose führende Astronomie an den Menschen anzubinden. Entsprechend solle man auch die Chemie an den Menschen heranführen. Lässt man sich auf Chemie ein, so führt diese eigentlich durch sich selbst zu anderen Fachgebieten, denn eine chemische Substanz weist immer über sich hinaus. Sie wird erst zur ‹chemischen› Substanz, wenn wir den Zusammenhang, in dem sie steht, ins Auge fassen, uns also fragen, wie die Substanz entstanden ist und was aus ihr werden kann.

Brücke zum Ganzen

Die Seltenen Erden sind von Natur aus extrem verborgene Erden. Sie sind unsichtbar in vielen Gesteinen und Böden enthalten, aber anscheinend ohne Beziehung zu Lebensprozessen und zum Menschen. Erst durch die forschende Tätigkeit des Menschen sind sie in einem Zeitraum von mehr als 100 Jahren, insbesondere im 19. Jahrhundert, nach und nach zur Erscheinung gebracht worden und als isolierte Substanzen mit spezifischen Eigenschaften eigentlich erst durch den Menschen existent gemacht worden. Die Seltenen Erden haben technische Anwendungen möglich gemacht, die seit den 1970er-Jahren mehr und mehr unser tägliches Leben prägen, insbesondere die Informationstechnologie in all ihren Facetten sowie Techniken zur Gewinnung der erneuerbaren Energien. Die damit verbundenen sozialen Folgen gehören mit zum Bild. Auf der anderen Seite gehen mit der Gewinnung dieser Substanzen massive Einwirkungen auf die Umwelt einher. Alle diese Aspekte sind zu berücksichtigen. Um ein vollständiges Bild dieser Substanzen zu erschaffen, muss also die Brücke von der Mineralogie und Geologie über die Chemie und Technologie zu den Bio- und Sozialwissenschaften geschlagen werden.

Innerer Zusammenhang

Um tatsächlich den inneren Zusammenhang zwischen der Naturgrundlage (Existenz der Seltenen Erden im Mineralreich als verborgene Substanzen) und den Möglichkeiten und Herausforderungen, die die modernen Techniken an unser Bewusstsein stellen, zu ergründen, wird aber auch eine geisteswissenschaftliche Erweiterung des Blickwinkels nötig sein. Im Anschauen der Phänomene können sich die Fachwissenschaftlerinnen zusammenfinden und entsprechen damit dem Ideal, das Rudolf Steiner formuliert hat: «Phänomenologie, das ist das Ideal des wissenschaftlichen Strebens, das in der Anthroposophie vorliegt.»1 «Was hier mit anthroposophischer Geisteswissenschaft gemeint ist – ich muss das immer wieder betonen –, ist kein dilettantisches Treiben, es ist ein Forschen, welches das reine Betrachten der Phänomene aus dem Naturwissenschaftlichen hinüberträgt in das Geistige und dadurch gerade jene Versöhnung finden wird, nach der heute die besten Seelen lechzen: die Versöhnung des äußeren Lebens mit dem inneren Leben, die Versöhnung von Wissenschaft und Kunst, die Versöhnung von Wissenschaft und religiöser Empfindung.»2


Veranstaltung
In der Arbeitsgruppe ‹Seltene Erden – Verborgene Erden› bei der Tagung Evolving Science 2024 – Diversität stärkt Identität der Naturwissenschaftlichen Sektion im Oktober 2024 wollen wir in dieser Weise auf diese heute vielfach erwähnten, aber wenig bekannten Substanzen schauen.


Bild Neodymoxid. Es wird aus Erz gewonnen und kommt vorallem in China und Australien vor. Es wir u. a. genutzt für Kernspintomographen, Mikromotoren und Festplatten. CC BY-SA 4.0.

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Footnotes

  1. Rudolf Steiner, Proben für die Beziehung der Geisteswissenschaft zu den einzelnen Fachwissenschaften. 15. Januar 1921. GA 73a, Dornach 2005, S. 318.
  2. a. a. O., S. 318.

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