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Seelische Beobachtung und Meditation

Gesellschaftlich stößt Meditieren auf ein wachsendes Interesse, doch die Mittel zum Verständnis dieser Seelentätigkeit müssen noch erwachen.


Achtsamkeit und Meditation erleben einen wahren Boom. Offenbar spüren die Menschen, dass sie dem zunehmenden beruflichen wie privaten Stress etwas entgegensetzen müssen. Das Wort ‹Mindfulness›, die englische Bezeichnung für ‹Achtsamkeit›, wurde im vergangenen Jahr 30 Millionen Mal gegoogelt. Das ist eine Verdreifachung in einem Zeitraum von sechs Jahren. Auch die Wissenschaft befasst sich damit. Die US-amerikanische Herzgesellschaft erklärte unlängst, dass Meditation zur Gesundhaltung des Herzens als Ergänzung zu bekannten Maßnahmen wie etwa ausreichender Bewegung und Nichtrauchen sinnvoll ist. Selbst der menschliche Alterungsprozess, so wurde nachgewiesen, wird durch Meditation verlangsamt.

Dass Meditation auf den Körper wirkt, scheint unbestritten. Jon Kabat-Zinn, der die Achtsamkeitsmeditation weltweit bekannt machte und das Zentrum für Achtsamkeit in Medizin, Gesundheitswesen und Gesellschaft (CFM) begründete, weist in einem Gespräch in SRF1 auf wissenschaftliche Untersuchungen hin, die beweisen, dass Meditation die «Physiologie sowie die Architektur und die Struktur des Gehirns» verändert. Er spricht über den «Homo sapiens sapiens» als die «Art, die weiß, dass sie weiß, dass sie weiß». (1)

Es scheint, als könnte das ‹neue› Wissen vom Kraftquell der Meditation dazu verhelfen, die Realität und die Unabhängigkeit des menschlichen Geistes zu finden. Allerdings staunt man zwar über die Wirkung von Meditation, die Wissenschaft kann sie aber nur materialistisch erklären, indem sie die Vorgänge im physischen Bereich des Menschen untersucht. Meditation findet aber im Bewusstsein statt. Um dieses zu beobachten, fehlt noch weitgehend das entsprechende Organ, ja überhaupt das Verständnis, dass dies möglich ist. Vielleicht ist es nicht vermessen, zu sagen, dass der Mensch, so wie er zu Beginn der Neuzeit begonnen hat, die Natur zu untersuchen und die Erde zu entdecken, es heute lernen muss, sein Bewusstsein mit dem inneren intuitiven Blick zu erforschen. Da es sich um eine seelisch-geistige Realität handelt, ist die Beobachtung, die sich ihr zuwendet, eine «seelische Beobachtung». (2)

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Es ist die allerwichtigste Beobachtung, die der Mensch machen kann, da er selbst es ist, der das, was beobachtet wird, hervorbringt.

Eine Schwierigkeit, die sich jeder Meditation zeigt, ist die Tendenz der Gedanken, sich zu verselbstständigen. Je stärker der Wille in die Gedankenbildung fließt oder je mehr waches Bewusstsein in der inneren Willensentfaltung entsteht, umso wirksamer wird diese Tendenz zurückgedrängt. Gelingt es, Wollen und Denken ganz zu verschmelzen, so wird der Wille von seiner schlafenden, unbewusst-egoistischen Natur befreit und von dem sinnlichkeitsfreien universellen Wesen des Denkens durchdrungen. Auf diesem Wege kann der Gehalt von Mantren oder Sinnbildern real wirksam werden und impulsierend auf die Seele wirken.

Rudolf Steiner bezeichnete das Denken nicht als Wirkung, sondern als Ursache der Vorgänge, die im physiologischen Bereich mit ihm in Verbindung gebracht werden: «Wer über einen erweichten Boden geht, dessen Fußspuren graben sich in dem Boden ein. Man wird nicht versucht sein, zu sagen, die Fußspurenformen seien von Kräften des Bodens, von unten herauf, getrieben worden. Man wir diesen Kräften keinen Anteil an dem Zustandekommen der Spurenformen zuschreiben. Ebenso wenig wird, wer die Wesenheit des Denkens unbefangen beobachtet, den Spuren im Leibes­organismus an dieser Wesenheit einen Anteil zuschreiben, die dadurch entstehen, dass das Denken sein Erscheinen durch den Leib vorbereitet.» (3) Um das Denken in seiner Realität zu beobachten, kann es nur seelisch beobachtet werden. Es ist die «allerwichtigste Beobachtung» (4), die der Mensch machen kann, da er selbst es ist, der das, was beobachtet wird, hervorbringt. Auch hier ist der Wille wirksam, dessen Erzeugnis, in diesem Falle der Begriff, zugleich die denkende Beobachtung ausführt. So fallen auch in der seelischen Beobachtung Denken und Wollen zusammen. Das Denken wird aktiviert und der Wille von seiner unbewussten Verbindung mit der Leiblichkeit gelöst und dadurch passiv-empfangend. Es ist eine meditative Tätigkeit, die nicht nur stressmindernd und belebend wirkt, sondern in welcher auch individuelle Entwicklungsimpulse erfahrbar werden, die jene höheren Erkenntnisstufen, wie sie in der Anthroposophie beschrieben werden, keimhaft enthalten.

Herbert Witzenmann hat in seinem erkenntniswissenschaftlichen Werk, anknüpfend an die ‹Philosophie der Freiheit› Rudolf Steiners, diese Beobachtungsmethode maßgeblich zu einer meditativen Forschungs- und Erkenntnismethode weiterentwickelt. «Meditation ist die moralische Intuition des Menschenwesens, die moralische Fantasie der Umbildung des Weltprozesses im Menschen und die moralische Technik der Freiheit. Hierin liegt der Unterschied der modernen Meditation zu allen früheren Formen des meditativen Lebens.» (5)


Die Tagung ‹Seelische Beobachtung und Meditation› vom 19. bis 21. Oktober 2018 am Goetheanum zu seinem 30. Todestag möchte auf den Beitrag von Herbert Witzenmann zu einer modernen Meditationskultur aufmerksam machen. Informationen und Anmeldung www.witzenmannzentrum.ch

(1) SRF Kultur, Sternstunde Philosophie, Sendung am 15.2.2016
(2) Rudolf Steiner, Die Philosophie der Freiheit, Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode, Rudolf Steiner Verlag, Dornach
(3) Ebda.
(4) Ebda.
(5) Herbert Witzenmann, Was ist Meditation? Gideon Spicker Verlag, Dornach

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