Nichts als Bewegung

«Mal sehen, wie sie heute gelaunt ist», sagt der Freizeitschaffner, als die Sitzbank zittert und der ganze Waggon zu rumpeln beginnt.


Dann rollt die Bahn an, ein Sieg über den Stillstand. Langsamer als alles, was man an Beschleunigung gewöhnt ist, nimmt die Dampflok Fahrt auf. Stille Begeisterung erfasst die Fahrgesellschaft und es ist, als würden Kessel, Dampfkammer und Schornstein der Lok die Emotion teilen. Man versteht, dass hier manche ihre ganze Freizeit hingeben, damit dieses Stahlungetüm die 14 Kilometer von Kandern bis Haltingen bei Basel überwindet. Dampf und Qualm überall und das rhythmische Rattern. Wenn der Lokführer über das Ventil Dampf ablässt und ein Pfeifton sich über das Stampfen hebt, klingt es, als würde der Stahlkoloss jubeln. Glühende Kohle erhitzt Wasser auf 300 oder 400 Grad und mit 15-fachem Druck lässt es einen Kolben vor- und zurückfahren. Ein Planetengetriebe macht aus diesem Hub eine Kreisbewegung und schon geht es los. Das begann vor 250 Jahren. Vor etwas mehr als 125 Jahren wird es dann flüssig. Jetzt ist da kein Dampf mehr, sondern flüssiger Treibstoff, flüssige Kühlung und Schmierung wandert durch die Maschine. Aus dem einen Kubikmeter großen Kessel wird ein Zylinder im Maß von Kubikzentimetern. Pustet die Dampfmaschine den Dampf wie aus eisernen Lungen die Luft, so gehört zum Verbrennungsmotor der Fluss der Brennstoffe. Aus Stampfen wird Rattern und Surren. Dabei hat jeder Motor seine eigene rhythmische Charakteristik, vergleichbar dem Herzschlag. Im 2/4- und 4/4-Takt mit 4, 6 oder 8 Zylindern tun die Kolben ihren Dienst und erzeugen je nach Bauart als Boxermotor, wo die Zylinder gegenüberliegen, als V- oder als Reihenmotor eine besondere Art des Willensrhythmus.

Foto: Jeff Coopers, Quelle: Wikimedia commons

Ein Motor wie ein Gedanke

Das Jahr 2021, genau 200 Jahre nachdem Michael Farraday den ersten Elektromotor gebaut hat, geht in die Geschichte als Wendepunkt dieses Maschinenzeitalters ein, denn im Dezember 2020 waren in Ländern wie Deutschland schon ein Viertel aller Neuzulassungen Autos mit elektrischem Antrieb und Ende des Jahres könnten es die Hälfte sein. Nach dem Pionier Norwegen, wo schon im vergangenen Herbst mehr als 60 Prozent der Neuzulassungen keinen Tankstutzen mehr hatten, ziehen nun also viele Länder nach. Doch was ist beim E-Motor anders? Es bewegt sich nichts mehr! Während sich im Benzinmotor mit Anlasser, Öl-, Wasser- und Treibstoffpumpe, mit Einspritzpumpe, Ventilator und Ladeluftverdichter eine Fülle an Maschinen neben dem eigentlichen Zylinder- und Kurbelgehäuse drehen, also ein ganzes Orchester an Motoren den Vortrieb erst ermöglichen, bewegt sich im Elektromotor fast nichts. Und: Endlich ist da keine Hubbewegung mehr, die in Rotationsbewegung übersetzt werden muss, sondern es beginnt schon bei der Krafterzeugung mit Rotation. Elektromagneten wirken auf eine Welle, sodass diese sich dreht. Was in der Dampfmaschine die Brennkammer ist und im Verbrennungsmotor die Explosionskammer im Zylinder, das leistet hier der Magnetismus. Man erinnere sich an das kindliche Staunen, wenn man mit einem Magneten wie von Zauberhand Eisenspäne über ein Papier zieht, die eigentliche Magnetkraft ist unterhalb der Sinneswahrnehmung.

Dem Elektro­motor gehört der Augenblick, er kann ohne Vorlauf, ohne Verzögerung seine Leistung entfalten. Eine Maschine wie ein Gedanke.

Zwei meiner Kollegen am Goetheanum fahren mittlerweile ein elektrisch betriebenes Auto. Die Tatsache, dass keine Flüssigkeiten mehr zirkulieren, spüre man, beteuern sie: «Das Fahrzeug ist in meinem Erleben trocken. Es ist, als ob man mit Mineralien operiert. Es ist vollkommen still.» Er beschreibt den merkwürdigen Eindruck, wenn das Auto steht: «Dann gibt es keine Aktivität.» Während ein Verbrennungsmotor durch den Leerlauf die Möglichkeit seiner Kraftentfaltung äußert, ist im Elektroantrieb diese Potenz nicht wahrnehmbar. Es sei, so Jonas Lismont, ‹abstrakte Energie›, die sich sofort in Bewegung verwandelt. Dieses ‹sofort› ist charakteristisch für den E-Antrieb: «Der Elektroantrieb ist unmittelbar, es gibt keine Verzögerung, kein Anlaufen, um die Kraft zu sammeln, wie bei einem Verbrenner, der erst auf Drehzahlen kommen muss. Diese Augenblicklichkeit der Beschleunigung hat etwas Intellektuelles. Es ist wie ein Gedanke, der in dem Moment, wo er gedacht wird, sogleich die innere Welt verwandelt – es ist Wille ohne Verzug.»

Seelisch fern und geistig nah

Damit ist die Motorisierung zeitlich an einem Ziel angekommen: Eine Dampfmaschine muss man Stunden bevor sie Leistung bringen soll anfeuern, ein Verbrennungsmotor braucht einen Atemzug, um die notwendigen Drehzahlen für seine Kraftentfaltung zu erreichen. Dem Elektromotor gehört der Augenblick, er kann ohne Vorlauf, ohne Verzögerung seine Leistung entfalten. Eine Maschine wie ein Gedanke. Deshalb ist es nicht falsch, diese Fahrzeuge als Computer auf Rädern zu bezeichnen. Und womit ‹bezahlt› man diese Dienstbarkeit? Mit Seelenlosigkeit. Weil im Elektromotor der Feuerprozess verschwunden ist, vermag diese Maschine auch nicht mehr zu befeuern. Durch die intuitive Bedienung, ein Blick nach rechts und schon blinkt das Auto, rückt die Technik näher und näher, durch den Verlust des Feuerprozesses rückt sie seelisch weiter weg. Weil sie gedanklich nah ist, aber seelisch fern, ist es leichter, sich nicht von ihr mitreißen zu lassen und sie vielmehr zu beherrschen.

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare