Im Gedenken an Karl-Heinz Tritschler (1957–2020)

Am 6.3.2020 ist Karl-Heinz Tritschler in Gurna bei Luxor, Ägypten gestorben. Wir waren gemeinsam auf einer Hochzeit. Sein irdisches Dasein, das durchaus als ein Tanz zwischen geistiger und materieller Welt bezeichnet werden kann, ist auf einer Hochzeit – nach seinem letzten Tanz – an sein Ende gelangt. Der Tanz über die Schwelle als Hochzeitsereignis.


Dieser besondere Mensch hat ein enormes und aussagekräftiges Werk von vielen Tausenden Bildern, eine große Anzahl von Arbeitsbüchern und Texten hinterlassen. Auch Artikel hat er regelmäßig zu den aktuellen Themen seiner Forschungsarbeit im Rahmen anthroposophischer Substanzarbeit, zur Rolle der Kunst und des Denkens im Hinblick auf die Entwicklungsaufgabe des Menschen veröffentlicht. Er war ein Mann des Wortes und der Stille. Er war Lehrer und Künstler – ein wahrhaft freischaffender Mensch.

Karl-Heinz Tritschler hatte mit zwölf Jahren ein Wachtraumerlebnis, durch das ihm seine Bestimmung als Künstler bewusst wurde. Einige Jahre später schaute er in einer außerkörperlichen Erfahrung eine bewegte, goldene Mandorla. Da wusste er, wohin die Richtung geht. Durch eine kleine Privatsammlung ägyptischer Antiken wurden uralte Erinnerungen an die ägyptische Vergangenheit in ihm erweckt. Sie wiesen den Weg nach innen.

Studien der Glasmalerei, Freie Malerei, Kunsttherapie und Kunstpädagogik führten zu einem differenzierten Menschenbild, das es für Karl-Heinz Tritschler mit der Ideengeschichte zu verbinden galt. Auf diesem Weg traten ihm inspirierende Geister zur Seite: Rudolf Steiner, Jean Gebser, Joseph Beuys und andere Denker, denen die Kunst ein zentrales Anliegen war. Was sich über die Jahre von 1987 bis 2007 als ein Ideengeflecht von Malereien, Aufsätzen, Vorträgen und Seminaren zur Kunst- und Kulturgeschichte entfaltete, hat in mehr als 10 000 kleinformatigen Papierarbeiten seinen Niederschlag gefunden. Abgeheftet in Ordnern, führten sie über Jahre hinweg ein vergessenes Dasein. Es waren Vorarbeiten für seinen persönlichen Kunststil, der sich ab 2008 in Gurna, Ägypten, zu entwickeln begann. Viele seiner Bilder entstanden im legendären Marsamhotel. Zahllose Künstler, Schriftsteller, Archäologen und Psychologen haben den Ort aufgesucht, um hier Antworten auf ihre Fragen zu finden. Der Hinweis von Rudolf Steiner, dass die Gegenwart auf dem Hintergrund der ägyptischen Vergangenheit zu verstehen ist, wurde Tritschler zu einem Forschungsmotiv, das nicht zuletzt in der künstlerischen Auseinandersetzung seinen Ausdruck findet.

Das Heilige im Menschen

Seine Vorträge waren besondere Ereignisse. Beseelt und begeistert von einer Frage, errang er dabei vor den Anwesenden – beim Ausbreiten und Aufarbeiten des vorhandenen Materials und Wissens – geistige Klarheit und Durchdringung eines Themas. Es war echte Substanzarbeit. Er ging in seiner Arbeit an die Wurzeln des Geistigen. Dabei war die Überforderung ein ‹pädagogisches Prinzip›, um die Zuhörenden zum Selbstdenken, Selbstentwickeln von Gedankenformen und zum Selbstbewusstwerden anzuregen. Er hat damit viele Menschen erreicht, Gedankenimpulse gegeben und Bewegung ins Denken gebracht.

Der persönliche Wille war ihm das Heilige im Menschen und als Lehrer auch das Unantastbare, das übergeordnete Prinzip. So verlieh er den Menschen, die ihm begegneten, stets Würde und das Gefühl, da zu sein.

Der persönliche Wille war ihm das Heilige im Menschen und als Lehrer auch das Unantastbare, das übergeordnete Prinzip. So verlieh er den Menschen, die ihm begegneten, stets Würde und das Gefühl, da zu sein. Alles hatte eine bestimmte pädagogische Dimension in seinem Schaffen. Ihm war die aktuelle Grundaufgabe der Menschheitsentwicklung, das Erringen von Bewusstsein allgemeiner Antrieb und Lebensmotiv. Wiederbelebung der toten Begriffe, lebendiges Denken und die Beflügelung des Denkens durch seine Öffnung zur Spiritualität waren seine großen Aufgabenbereiche. Dabei war ihm die Kunst, der erweiterte Kunstbegriff, das Medium der Entwicklung und das Werkzeug der gestalterischen Veränderung von Mensch, Kultur und Natur.

Ägypten in der Gegenwart

Ich erinnere mich an Achberg 2008, an den Mann mit dem Hut und dem goldenen Ring am kleinen Finger seiner rechten Hand, der immer vertieft in seine Bücher und Schriften im Café saß. Er war mir aufgefallen. Nach einem ersten Gespräch stellten wir fest, das wir uns wie Brüder ergänzten und jeder von uns sich auf seine Weise intensiv mit Joseph Beuys und dem erweiterten Kunstbegriff auseinandersetzte. Vier Wochen danach waren wir das erste Mal gemeinsam in Ägypten und dann weitere zwanzigmal, zweimal pro Jahr, in Gurna. Er gab ein Seminar, das stets ausgehend von altägyptischer Kunst und dem Spiritus loci eine Einführung in das anthroposophische Menschenbild, den erweiterten Kunstbegriff und die heutige Entwicklungsaufgabe des Menschen war, auf dem Hintergrund des altägyptischen Kulturimpulses und seiner Spiegelung in der Gegenwart. Zudem war das Seminar auch immer Vorbereitung für ein Projekt mit Einheimischen, bei dem es um das Ermöglichen eines Erfahrungs- und Erscheinungsraumes ging, in dem das Schmelzen und Verschmelzen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als praktisch-konkreter Vorgang erlebbar wurde. Im März 2020 hat Karl-Heinz Tritschler erstmals seine Frau Regine, seinen Sohn Katharian und sein Patenkind Karolin mit nach Gurna gebracht. So hatte er seine Nächsten um sich vereint, als es so weit war. Gemeinsam mit zwei Dutzend ägyptischen Freunden haben wir ihn in der Nekropole von Theben zu Grabe getragen. Nach einer letzten Fahrt entlang der Gräberfelder von Gurna ruht und wirkt er nun aus der Erde seines geliebten Ägyptens. Diejenigen, die ihn und sein Werk kennen, werden sicher immer wieder von ihm hören.

Seit 2015 hat er einen Großteil seines Werkes in Österreich, in der Heim.Art-Station in Neufelden bei Linz, versammelt. Interessierte können dort seine Werke und Schriften in einem Archiv studieren.

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