Gerard Wagner, Grün zu Schwarz, Skizze aus dem Unterricht, um 1990, Aquarell auf Papier

Dazwischen sein

Dieses Buch ist Dokument des Gespräches – der Farben und Formen, der Bilder untereinander, der Kunstschaffenden miteinander, mit ihren Materialien und mit sich selbst, der Lehrenden und Lernenden und schließlich zwischen den Bildern und den Betrachtenden.


Wenn ich dieses Buch anschaue und lese, werde ich Teil des Gespräches. Es geht um ein ‹Dazwischen-Sein›, auch in den Bildern. «Man müsse sich genau an jenem Wendepunkt auf der Leinwand befinden, wo man eigentlich wie in zwei Räumen leben würde und wo sich zwei Räume durchdringen», gibt Hannes Weigert Patrick Müllerschön wieder. «Kann ich vielleicht eine Art ‹Zwischenraum› lassen (oder einen Schwellenmoment gestalten), in den der Betrachter eintreten kann, um das Bild selbst erst in sich in Zusammenhang zu bringen?», fragt sich Miriam Wahl im Selbstgespräch. Es folgt als Zitat Rudolf Steiners Beschreibung eines möglichen Gespräches zwischen Sehendem und Malendem. Sibylle Wissmeyer mailt an Hannes Weigert: «Ich will mich beim Malen dort aufhalten, wo eine imaginäre Ebene durch mich selbst von der Ich-Seite her kommend im Verhältnis zu den sinnlichen Malmitteln von der anderen Seite kommend erst entsteht.»

Auf Hannes Weigerts Frage hin, was ihm der Tod bedeute, erinnert sich der kanadische Bildhauer David Rabinowitch, wie in ihm schon als Kind beim Anschauen von Bildern Jan van Eycks ein Gefühl für eigene schöpferische Fähigkeiten entstand. So empfindet er sich zusammen mit anderen in einem Strom durch die Zeiten hindurch und dies weckt in ihm die Ahnung der «eternality of the soul».

1 Gerard Wagner, Grün zu Schwarz, Skizze aus dem Unterricht, um 1990, Aquarell auf Papier, 2 Arnkjell Ruud, Hüter (nach einer Skizze von Rudolf Steiner), 13.12.2013, Malerverksted, 3 Sibylle Wissmeyer, o. T., 2018, Acryl auf Leinwand

Bewusstsein der Malerei

In diese Gespräche vertieft, ergibt sich mir ein Weg durch ‹Das Bewusstsein der Malerei›, so der Titel dieses Dokuments. Er führt in Bild und Wort an die Grenzen der Sinneswelt im Natur- und Farberleben, in die Auseinandersetzung von Schwarz und Weiß, zur Begegnung mit dem Tod. Die ‹Blaue Karte› mit ihrem von Steiner entworfenen Zeichen wird auf diesem Weg zum Begleiter über die Schwelle und eröffnet einen neuen Raum – die Welt der Verstorbenen. Die Reihe von ‹77› Bildern, die Hannes Weigert als Reaktion auf das Massaker von Utøya am 22. Juli 2011 gemalt hat, «ist ein Gang ins Totenreich» (Lars Krüger). «Die Bilder zeigen Konturen eines menschlichen Kopfes, der dem Betrachter nicht zugewandt ist. Er zeigt nach innen, zur Innenseite des Bildes. […] Dies ist ein Weg, der durch Erscheinung und Dunkelheit, Verschiebung und Umwandlung gekennzeichnet ist. Am Ende der Straße hat sich das Motiv wieder dem Zuschauer zugewandt», schreibt Aina Bergsma. Und Bodo von Plato: «Mir bleiben Fragen. […] Diese Bilder sind keine Nachahmung – ahnen sie voraus? Sie sind keine Darstellung eines Übersinnlichen – aber Formgebung nicht sinnlicher Erfahrung?»

Arnkjell Ruud malt nach einer Skizze von Steiner den Hüter der Schwelle mit einem von oben einschlagenden schwarzen T auf dem Haupt. Er weist den Weg in einen neuen Farbenraum, den Walter Johannes Stein experimentell mit dem Stereoskop erforscht hat. In diesem räumlichen Spektrum verbinden sich die Enden einmal durch Drehung im vermittelnden Grün, zum anderen entsteht durch Berührung ein Neues: Pfirsichblüt.

4 Hannes Weigert, o. T., um 2010, 5 Miriam Wahl, o. T. (Gelbe Formen), 2020, Tempera auf Leinwand

Sibylle Wissmeyer greift in ihren Bildern den Gegensatz von Hell und Dunkel wieder auf und entwickelt daraus neue, sinnlich-übersinnlich erscheinende Gestaltungen: «Der Tote gestaltet mit / Er gibt die Substanz immer überall in der Welt.» Dies wird Hannes Weigert im Anblick des Leichnams eines verstorbenen Künstlerfreundes zur realen Erfahrung: Seine «Bilder umgaben den Leichnam. Sie erschienen mir wie von einer anderen Seite her gemalt. […] Sie schienen zu sagen: Es gibt etwas Stärkeres als den Tod; das Malen ist eine gute Vorbereitung auf das Sterben.» Malend den sinnlich-sichtbaren Außenraum erfahrend, findet er den Weg in einen unsichtbaren Innenraum. Und so schließt sich der Kreis im Öffnen neuer Räume: «Das Auge sieht nie das Unsichtbare, aber man erfährt es dadurch, dass das Auge die Wirkung des Unsichtbaren auf das Sichtbare wahrnimmt.» (Bo Werner Eriksson)

Stehen ziemlich am Anfang des Dokumentes zwei kleine ‹Letzte Bilder› von Ludwig Arnold, die die Un-Endlichkeit des Raumes zu ergründen scheinen, so am Ende zwei mit ‹H.› gezeichnete Bilder, die das Motiv von Punkt und Umkreis bewegen, in dem sich die verschiedenen Sphären durchdringen.

Kann ich vielleicht eine Art ‹Zwischenraum› lassen (oder einen Schwellenmoment gestalten), in den der Betrachter eintreten kann, um das Bild selbst erst in sich in Zusammenhang zu bringen?

Das fein komponierte Buch atmet auf eine sehr konkrete Weise Schwellenluft. Es ist ein Studienbuch, selbst hervorgegangen aus dem Studium des malerischen Werkes Rudolf Steiners, dessen Anregungen auf verschiedensten Wegen eigenständig aufgreifend. Durch den selbstverständlichen Einbezug von gegenüber der Anthroposophie unverdächtigen Künstlern wie Philip Guston, Jackson Pollock oder David Rabinowitch wird deutlich: Das ‹Dazwischen-Sein› ist aller wirklichen Kunst eigen.

Es gibt weder ein erläuterndes Vor- noch ein Nachwort, auch keine Künstlerviten; neben den Bildern nur Texte von Kunstschaffenden, über Kunst, dazu weitere Gesprächsfetzen, Selbstreflexionen und Zitate im Appendix. So ist es jedem selbst überlassen, sich zu orientieren. An prekären Stellen des von mir ausgemachten Weges kommen Bilder und Worte als Zeugen eines völlig ungefilterten Wirklichkeitsbezuges ins Spiel – zugleich eine Hommage an die Malerverksted Vidaråsen in Norwegen.1


Buch Hannes Weigert (Hg.) Das Bewusstsein der Malerei Ensemble Nr. 1, Freie Akademie am Loidholdhof
Bestellung über: hannesw@frisurf.no

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Footnotes

  1. Malerverksted – arkivl

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