Das Paradies endet, wo die Hölle anfängt

In den weltweit erfolgreichen Filmproduktionen dieses Sommers ‹Barbie› und ‹Oppenheimer› stehen sich Dunkelheit und Helligkeit, Tiefe und Oberfläche gegenüber. Die beiden Filme feierten am gleichen Tag Premiere und sind zwei Seiten einer Medaille.


In gigantischer Größe landet Barbie in einer enigmatisch anmutenden Wüstenlandschaft, in der Mädchen mit ihren altmodischen Puppen spielen; sie spielen Mutter und Kind und üben so ihre ‹Bestimmung› als Frauen ein. Doch dann steht nicht mehr Mutterschaft im Vordergrund, sondern Barbie wird zum Symbol neuer Weiblichkeit, zur Frau, die alles kann, alles erreicht, alles unfehlbar in sich vereint. Es ist klar, was hier gesagt wird: Barbie landete am Eingang der 60er-Jahre nicht nur in den Kinderzimmern, sondern in den Köpfen der Kinder. Die Ankunft der Barbie verändert ihr Bewusstsein, das bis dahin einer Einöde glich und nun mit einem neuen, überirdischen Ideal gefüllt wird. So erzählt es der Film. Die kleinen Mädchen beginnen, ihre Babypuppen zu zerschlagen und 1959 beginnt ein neues Zeitalter: Barbie, die perfekte, unbegrenzte Frau, ist geboren!

Parodie des Paradieses

Der Konzern Mattel, der hinter der Barbiepuppe und dem Film steht, verwendet hier ein Storytelling, in dem die Barbiepuppe eine Vorreiterfigur für die Emanzipation der Frauen im 20. Jahrhundert ist. Interessant: 2003 bekam die Barbiepuppe breitere Hüften und eine weniger überzogene Länge. Nach zwei Jahren hieß es: Kommando zurück. Die Botschaft bleibt: die unkörperliche Barbie. Im Film verlassen wir danach die Welt der kahlköpfigen Babypuppen und Teeservices und treten ein ins Barbieland, wo die Menschen immer gute Laune haben, einander immer Komplimente machen, ständig Strand oder Disco auf dem Programm stehen, die Welt heil ist und (!) Barbies wichtiger sind als Kens, der männlich dargestellte Konterpart. Es ist eine glitzernde, lächelnde, zwinkernde Welt aus pinkem Plastik, in die wir geworfen werden und die von der für Independent-Kino bekannt gewordenen Regisseurin Greta Gerwig heftig parodiert wird. (Gerwig schrieb gemeinsam mit Noah Baumbach das Drehbuch für den Film.) Cineasten und Cineastinnen weisen auf den ‹Uncanny Valley›-Effekt hin: Die Wohnungen der Puppen sind im Maßstab zu klein. Dadurch bleibt die Kunstwelt Kunstwelt und gibt nicht vor, echt zu sein, treibt den Anthropomorphismus nicht zu weit, denn zu viel Echtheit stößt ab – es muss künstlich bleiben, der Fantasie noch Spielfläche bieten. Die puppenhafte Umgebung erlaubt, dass die Figuren wenig – zu wenig – puppig sind. Der überzeichnete Glanz dieser Seifenblase platzt, als Barbie während einer choreografierten Tanzeinlage plötzlich fragt: «Denkt ihr jemals ans Sterben?» Von da an beginnt ihre Reise auf die Erde, das Irdischwerden der Barbie. Vieles davon kommt als Selbstreflexion und Selbstkritik am eigenen Kulturbeitrag daher, bis zum Ende hin Barbie doch das Barbieland wiederherstellt, ihren Thron erneut besteigt und nebenher noch die Mutter-Tochter-Beziehung der anderen – menschlichen – Hauptdarstellerinnen heilt.

Die Wirklichkeit als Hölle

In ‹Barbie› wird die Unsterbliche sterblich, wird die (Mode)-Göttin Mensch, in ‹Oppenheimer› wird der Mensch Gott. Der düstere, episch lange Film über den Wissenschaftler Robert Oppenheimer, der als Vater der Atombombe gilt, gibt im Gegensatz zu ‹Barbie› ein dystopisches Bild der Welt ab. In ihm stehen die Faszination für die Beherrschung der Welt, die Durchdringung, Unterwerfung, Überschreitung der Naturgesetze, der Angst vor der Gewalt und Entfesselung der Menschen einander gegenüber. Es ist das Porträt eines Menschen, dessen Genius und Talent ihn an den Rand des Wahnsinns und zugleich in die Tiefen der Persönlichkeit treiben.

Beide weisen die Verantwortung zurück – Barbie, weil sie nichts davon weiß, Oppenheimer, obwohl er davon weiß.

Visuell stehen sich in ‹Oppenheimer› die Polarität einer entweder verdunkelten Welt, in der sich eruptive, zerstörerische Kräfte verbergen, und eines erbleichten, unterkühlten Alltagsgeschehens gegenüber. Immer wieder kulminiert die Dunkelheit in der blendenden Entfesselung der Sonnenmacht. Man sieht in ‹Oppenheimers› geistige Welt hinein, wie er seine Gedanken visualisiert, wie sie sich in Bewegung verlebendigen, wie er sich im Denken von der Materie ablöst und es ihn ins Bewusstsein hebt, jedoch ohne ihn zu erwärmen und menschlicher zu machen. ‹Barbie› hingegen schwelgt in der eigenen optischen Oberflächlichkeit, die dem favorisierten Plastikstoff – das Material, das keinen Willen hat – gleichkommt. Alles, was im Barbieland geschieht, muss mühelos, widerstandslos geschehen, die Farben sind knallig und süßlich und es gibt keine Schatten. Barbie tüncht den Widerstand, Oppenheimer lyncht ihn. Beide wollen die Welt retten, wollen ewigen Frieden: die eine durch charakterlose Nettigkeit, wo jede und jeder in seiner Rolle sich bescheidet – Faschismus nennt das ein Filmkritiker –, der andere durch abgründige Mächtigkeit. Hier ein ewiges Bad in der Sonne, dort der Raub der Sonne. So bedrohen beide Entwürfe das Leben, einmal im Rausch des Konsumierens und das andere Mal im Rausch des Zerstörens. Das klingt vertraut. Beide Figuren weisen die Verantwortung zurück – Barbie, weil sie nichts davon weiß, Oppenheimer, obwohl er davon weiß. Deshalb ist Oppenheimer die um so viel gehaltvollere Erzählung.

In einer Zeit von Verunsicherung und Brüchen loten beide Erzählungen gewollt-ungewollt Sehnsüchte, Grenzen und Entgrenzungen heutigen Lebens aus. Wo die Kamera in den Schlusssequenzen aufs Antlitz von Barbie und Oppenheimer fährt, ihre Blicke in ihrer Tiefe, Trauer und Brüchigkeit für Sekunden über die Leinwand sendet, da schimmert die Hoffnung auf. Dort, wo sich im Blick das Menschliche Bahn bricht, das sich weder wie in der Plastikwelt vergisst, noch wie in Los Alamos die Sonne vergisst, sondern in ihrem Angesicht selbst Sonne werden möchte, da liegt die Mitte, da ist das Land zwischen dem Grat, den beide Filme ziehen. So liegt der Mythos nicht in den bildgewaltigen Filmen, sondern in dieser Mitte, die die Erzählungen ‹Oppenheimer› und ‹Barbie› umzirkeln.


Bild Atombomben­abwurf auf Nagasaki am 9. August 1945. Foto: Charles Levy, U.S. National Archives and Records Administration. Gemeinfrei. Farblich verändert.

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