Bewegte Berge

Schwingungen in der Landschaft

Starr, ruhig, unbeweglich – das sind einige der Worte, mit denen wir Berge beschreiben. Wenn überhaupt, wird Geologinnen und Geologen gelehrt, dass solche Bewegungen über Äonen von Zeit stattfinden. Bewegung in menschlichem Zeitmaßstab ist also eine Überraschung. Doch in unserem Zeitmaßstab beben und schwanken die Berge ständig. Sie sind lebendig. Mit musikalischer Energie – was ist das?


Jedes Objekt will mit einer bestimmten Frequenz – der sogenannten Eigenfrequenz – schwingen, je nachdem, wie es geformt ist und woraus es besteht. Resonanz ist, wenn die Anregung just diese Frequenz hat. Bekannte Beispiele sind Stimmgabeln und Weingläser; wenn Energie die Eigenfrequenz des Objekts anregt, wird es stärker erschüttert. Bei Brücken wird die Anregung oft durch Windwirbel ausgelöst, die mit den Brückenstrukturen wechselwirken und, wenn in Resonanz, stark genug sein können, die Brücke zu zerstören. Auch können Gruppen von synchron in Resonanz mit einer Brücke marschierenden Soldaten das Bauwerk zum Einsturz bringen. Bei Wolkenkratzern kann die Ursache auch in Schwingungen von unten liegen. So ist zum Beispiel bekannt, dass die Spitze des Kirchturms des Kölner Doms ständig bis zu einen Millimeter schwingt. Die anregende Kraft dafür aber ist die sogenannte Seismizität (innere Bewegung) der Erde, die den Dom trägt.

Auch das Glockengeläut oben oder vorbeiziehende U-Bahn-Züge unten finden sich in dem Bewegungsmuster der Kirchturmspitze wieder. An besonderen Tagen läutet die berühmte 24 000 Kilogramm schwere Petersglocke, eine der größten frei schwingenden Glocken der Welt. Wie auf einer Partitur lasen Geophysiker die feierlichen Klänge aus ihren Erdbebendaten ab. Das Geläut ließ die Türme des Doms schunkeln wie im Karneval: Sie wiegten sich um einen Fünftel Millimeter hin und her.1

Der Herzschlag Zermatts

Ein internationales Forscherteam hat die Schwingung des Matterhorns gemessen.2 Der Gipfel schwingt in etwas mehr als zwei Sekunden um einige Nanometer bis Mikrometer (ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters, ein Mikrometer entspricht einem tausendstel Millimeter). Die Bewegungen auf dem Gipfel sind bis zu 14 Mal stärker als am Fuß des Berges: Die ganze Landschaft schwingt also mit! Die Grundschwingungen von Bergen wie dem Matterhorn werden hauptsächlich durch das Brummen der oben erwähnten seismischen Energie verursacht. Ein großer Teil dieser Energie stammt von Erdbeben, die ständig auf der ganzen Welt zu spüren sind. Aber die Daten weisen auch auf eine andere, unerwartete Quelle hin: die Ozeane. Meereswellen, die sich über den Boden bewegen, erzeugen kontinuierliche Hintergrundschwingungen, die als Mikroseismik bekannt sind und weltweit gemessen werden können. Verblüffenderweise hatte die Mikroseismik eine ähnliche Frequenz wie die Eigenfrequenz des Matterhorns. Das Matterhorn schwingt mit einer Frequenz von etwa 0,42 Hertz in Nord-Süd-Richtung und mit einer ähnlichen Frequenz in Ost-West-Richtung. Saisonale Schwankungen, etwa durch Temperatur- oder Eisveränderungen, konnten nicht festgestellt werden.

Forschende des Schweizerischen Erdbebendienstes führten ähnliche Messungen am Großen Mythen durch. Sie stellten fest, dass dieser Berg aufgrund seiner Größe etwa viermal so oft schwingt wie sein großer Bruder im Wallis: Alle Berge schwingen, doch jeder reagiert auf seine eigene Art und Weise. Sie spiegeln Erd- und Wasserbewegungen – u. a. die Gezeiten. Sehen wir hier einen Tastsinn für Erdentiefe, Mond und Kosmos?

Dynamische Bewegungen

Neben diesen Oszillationen haben die Berge an zwei weiteren Bewegungen teil, an der Tektonik3 und den Wasserwirkungen. Letztere offenbaren sich gedanklich u. a. den ‹rockhounds› (Steinklopfern/Mineralogen), die sich mit der Chemie und Thermodynamik der Entstehung und Verwandlung der verschiedenen Gebirgsmineralien beschäftigen.

Ähnlich wie das Blut beim Menschen, bietet Wasser ideale Wege für die Bewegung und Verteilung von Elementen in Gesteinen, wenn das Gestein auf unterschiedliche Druckeinwirkungen und Temperaturen reagiert (Metamorphose). Wassermangel im Gestein kann den metamorphen Prozess hemmen (Hemmung der Reaktionskinetik).

In der Regel wird dem Gestein während der fortschreitenden Verschüttung (Subduktion) mit zunehmendem Druck und steigender Temperatur Wasser entzogen (Dehydrierung), zum Beispiel bei der Subduktion im Rahmen der Gebirgsbildungstektonik. Bei der Exhumierung von Gesteinen kann dem Gestein auch Wasser zugeführt werden (Hydratation). In den Alpen sehen wir Perioden von Hydratation und Dehydratation, was auf dynamische Bewegungen hinweist. Die Erde nimmt in unserem Sonnensystem eine Sonderstellung ein, da sie der einzige Planet ist, der aktive tektonische Prozesse aufweist. Das Recycling von Wasser und Gestein innerhalb der Erde in tektonisch aktiven Regionen wurde als ein Mechanismus vorgeschlagen, der zur Bildung unserer Atmosphäre beiträgt und somit die idealen Bedingungen für Leben schafft.4 Trotz dieser drei so markanten Bewegungen bleibt der Berg für uns ruhig und majestätisch.

Die Leichtigkeit der Berge

Worte wie Geburt, Reife, Tod, Beerdigung, Exhu­mierung von Gesteinen oder Gebirgen gehören zum normalen Sprachgebrauch in den ‹termini technici› der modernen geologischen Literatur.5 Allein hinter dem unscheinbaren Substantiv ‹Isostasie›, zum Beispiel, verbirgt sich das Bild der mehr oder weniger beweglichen Kontinentalplatten (Schollen der Lithosphäre) der Erdkruste, mehr oder weniger schwimmend auf einer mehr oder weniger zähflüssigen Unterlage (Asthenosphäre genannt). Wir dürfen uns an das ‹Heureka!› von Archimedes in der Badewanne erinnern, der die dadurch gewonnene Leichtigkeit entdeckte. Diese Auftriebskraft bedingt den nicht durch das tektonische Aufprallen verursachten ‹Aufstieg› der Berge. Er kann durch Entlastung in Gang gesetzt werden: durch Gletscherschmelze oder, paradoxerweise, durch Erosion.6

Berge sind viel lebendiger, als es auf den ersten Blick scheint. Und es ist ein Trost, zu lesen, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieses Leben immer feiner wahrnehmen.


Foto Matterhorn, Zermatt, Schweiz. Foto: Fabrice Villard

Print Friendly, PDF & Email

Footnotes

  1. Siehe: K.-G. Hinzen, C. Fleischer, B. Schock-Werner und G. Schweppe, Seismic surveillance of Cologne cathedral. Seismological Research Letters 83, 9.22.2012.
  2. S. Weber, J. Beutel, M. Häusler, P. R. Geimer, D. Fäh und J. R. Moore, Spectral amplification of ground motion linked to resonance of large-scale mountain landforms. Earth and Planetary Science Letters 578 117295; 2022.
  3. Siehe dazu: M. Marthaler und H. Rougier, An Outstanding Mountain: The Matterhorn. In: Landscapes and Landforms of Switzerland. World Geomorphological Landscapes, 2021.
  4. Für diesen Gedanken bin ich Joshua Vaughan-Hammon dankbar. Siehe: J. Parnell, P. Lee, C. S. Cockell and G. R. Osinski, Microbial colonization in impact-generated hydrothermal sulphate deposits, Haughton impact structure, and implications for sulphates on Mars. International Journal of Astrobiology 3, S. 247–256; 2004.
  5. Zum Beispiel J. P. Butler, C. Beaumont and R. A. Jamieson, The Alps 1: A working geodynamic model for burial and exhumation of (ultra) high-pressure rocks in Alpine-type orogens. Earth and Planetary Science Letters 377–378, S. 114–131; 2013.
  6. Siehe zum Beispiel: P. G. Valla, P. Sternai and M. Fox, How Climate, Uplift and Erosion Shaped the Alpine Topography. Elements 17, S. 41; 2021.
Zurück
Es spüren

Letzte Kommentare