Aus der Schicksalswärme

Wenn wir einem Menschen begegnen, ist der erste Eindruck ein Wärmeerlebnis: Ob wir einen Menschen als seelisch warm oder kalt erleben, prägt, wie man dessen seelische Eigenschaften wahrnimmt: Erfahre ich einen Menschen als intelligent und empfinde ihn zugleich als warm, dann halte ich ihn eher für ‹weise›.


Foto: Xue Li

Kommt zur Intelligenz ein Kälteerlebnis, so erscheint die Intelligenz eher als ‹Klugheit›. Jede Begegnung zwischen zwei Menschen ist also eine Art von geistig-seelischer ‹Wärmeatmung›. Diese Wärmeatmung hat ihren Ursprung während der alten Saturnentwicklung, eines Erdzustands der reinen Wärme. Dieser ist, so Rudolf Steiner in der ‹Geheimwissenschaft›, aus dem Willen, der Intentionalität der Throne hervorgegangen, die eine Willenssubstanz ausströmten. Daraus entwickelte sich ‹innerliche› Wärme, aus der heraus sich die ‹äußere›, physisch wahrnehmbare Wärme verdichtete. In dieser Umgebung machten die Archai, die heute auf der Stufe der Zeitgeister stehen, ihre Menschheitsstufe, ihre Ich-Entwicklung, durch. Diese Wesenheiten hatten eine Wärmeatmung: Sie besaßen ‹innere›, seelische Wärme, die ausgeatmet zu einem physischen Wärmeleib wurde, an dessen ‹Widerstand› sie ihr Ich-Bewusstsein entfalten konnten. Diese zwischen Verinnerlichung und Veräußerlichung schwingende Wärmeatmung dauerte an, bis die Archai gegen Ende der Saturnentwicklung äußere Wärme zurückließen, die nicht mehr eingeatmet und dadurch vergeistigt wurde. Dieser zurückbleibende ‹Wärmerest›, der erst durch die weitere planetarische Entwicklung wieder aufgelöst und verwandelt werden konnte, war der Beginn des Karma. Wir können sagen, das Karma nimmt auf dem alten Saturn seinen Ausgangspunkt, und die Substanz des Karma ist die Wärme, in der das Geistige direkt in das Physische hineinwirken kann.

Was in den Wärmekräften des Karma lebt, fügt sich in den therapeutischen Prozess, wenn wir uns mit unserem Schicksal beschäftigen.

Wenn jetzt ein Patient oder eine Patientin an uns herantritt, dann wollen wir im physischen Heilungsprozess auch das Schicksal dieses Menschen fördern. Die Krankheit wegzunehmen, bedeutet noch nicht, auf der Schicksalsebene zu handeln. Aber wie können wir das, was in den Wärmekräften des Karma lebt, in den therapeutischen Prozess miteinbeziehen? Dafür ist es wichtig, dass man sich mit seiner eigenen Beziehung zum Schicksal beschäftigt und sich vergegenwärtigt, wie jedes Ereignis der eigenen Biografie dazu beiträgt, die eigene Persönlichkeit, das ‹Erden-Ich›, zu formen. All das, was uns an Schicksalstatsachen geprägt und gestaltet hat, ist die Konsequenz unserer vorherigen Leben. Die höheren Wesen haben in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt mit größter Anteilnahme unsere vorherigen Leben wahrgenommen. Sie haben sie schöpferisch verwandelt und liebevoll zusammen mit uns ausgestaltet zum gegenwärtigen Schicksal. Wenn wir unser eigenes Schicksal so erleben, dann wirkt das in der Begegnung mit den Patientinnen und Patienten. Da erleben wir bei einer Erkrankung stets eine gewisse Einseitigkeit. Wir erleben ein Überwiegen entzündlich-auflösender Prozesse oder es tritt uns ein Übergewicht der Gestaltkräfte bei sklerotischen Krankheitsbildern entgegen. Wir haben die verschiedensten Abstufungen von krankheitsbedingten Einseitigkeiten, die uns als ein gewordenes Schicksal im Menschen begegnen. Es ist das Vergangene. Wie verwandeln wir jetzt dieses Gewordene in ein Werdendes? Durch Interesse am Ich des anderen! Wir fragen: «Wo kommst du her? Wo gehst du hin? In dieser Empathie schwingt das Seelische mit. Dann gibt es eine noch tiefere Ebene, und das ist das Miterleben. Das Erleben ist etwas anderes als das Fühlen, es erstreckt sich bis auf die Ebene des Ätherischen. Es kann passieren, dass ein schwer kranker Patient in die Sprechstunde kommt, der sich kerngesund fühlt. Da komme ich mit der Empathie nicht weiter. Da muss ich ‹miterleben›. In dem in gewisser Weise ersten Medizinerkurs ‹Die Offenbarung des Karma› schildert Rudolf Steiner, dass wir als Heilende dem Patienten eine Polarität auf der ätherischen Ebene ausbilden müssten, wenn er mit seiner Einseitigkeit auf uns zukommt. Man ruft in sich selbst – durch ein tiefes ‹Mit-Erleben› der Krankheitsprozesse des Patienten bis ins Ätherische hinein – einen Lebensprozess hervor, der nicht für unseren Organismus eine Bedeutung hat, sondern aus der Polarität heraus in dem Organismus des zu Heilenden einen Prozess des Ausgleichs hervorruft. Das sei, so Steiner, wie positive und negative Elektrizität und dazwischen sei ein Austausch von Spannungen. Das bedeutet, dass wir als Therapeuten und Therapeutinnen ein Opfer im Ätherischen bringen müssen, um den Patientinnen und Patienten etwas zur Verfügung zu stellen, was ihre Einseitigkeit ausgleichen kann. Unser ‹persönliches› Ätherisches, in dem auch unser eigenes karmisch belastetes Selbst lebt, können wir den Patienten ja nicht zur Verfügung stellen. Es muss einen unschuldigeren, reinen Teil unseres Ätherischen geben, den wir für diesen Polaritätsprozess zur Verfügung stellen können. Die medizinischen Mantren können uns helfen, diesen ‹Berufsätherleib› auszubilden.

Ein Mantra, das Rudolf Steiner im Jungmedizinerkurs gab, ist hier wirksam: die Meditation von Leuchtekraft und Schweremacht. Sie ermöglicht es uns, in dieses Miterleben mit den Patientinnen und Patienten zu kommen. Rudolf Steiner sagt dazu, man solle diese Meditation so ernst nehmen, dass sie leibbildend wirkt. Diese Leibbildung bezieht sich nicht auf unseren persönlichen Ätherleib, sondern es geht um die Bildung eines überpersönlichen Ätherleibs, den wir selbstlos dem kranken Menschen zur Verfügung stellen können.

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