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Alles ist ein Suchen

‹Streben nach Gleichgewicht›, unter diesem Titel stellt Christian Hitsch Plastiken und Zeichnungen aus seinem 40-jährigen künstlerischen Schaffen am Goetheanum aus. Christiane Haid, Leiterin der Sektion für Bildende Künste, sprach mit dem Bildhauer und Architekten.


Wie kamen Sie zur Bildhauerei?

Christian Hitsch Mit 17 Jahren musste ich die Schule verlassen. Durch Umwege kam ich dann zu einem Bildschnitzer, bei dem ich arbeiten durfte. An dem Tag, an dem ich das erste Mal ein Schnitzeisen in der Hand hatte, war der Fall klar. Ein zweiter Moment war, als mich mein Vater, der selbst gern malte, in einem Rembrandt-Jahr – es war der 300. Todestag – mit nach München nahm. Ich war gerade 18 Jahre alt geworden. Sämtliche Radierungen waren in der Ausstellung zu sehen. Ich war sehr ergriffen und kann sagen, dass dieses Erlebnis mich mein ganzes Leben lang begleitet hat. Rembrandt ist einer meiner großen Helfer und Schutzgeister. In dieser Zeit traf mich auch wie ein Blitz die Anthroposophie.

Mit Schnitzen begann der künstlerische Weg?

Ja, dieser Bildschnitzer restaurierte Rokoko-, Barock- und Renaissance-Rahmen, Spiegelrahmen und Kunstgegenstände. Er hat mir dann ein Holz hingelegt und ein Stück eines sehr komplizierten Rahmens und mir gesagt, dass ich das nachschnitzen solle. So fing es an. So bekam ich eine gute Ausbildung im Holzschnitzen, auch im Bilderfassen und -vergolden. Nach zwei Jahren ging ich dann nach Ottersberg an die freie Kunsthochschule. Das geschah auf Betreiben des Architekten und Priesters der Christengemeinschaft Heinz Thiersch aus München. Er wollte mich fördern und hat sich eingesetzt dafür, dass ich ohne Aufnahmegespräch in der Kunsthochschule zugelassen wurde.

 


Fischerin, Marmor, Foto: B. Schnetzler

Fischerin, Marmor, Foto: B. Schnetzler

 

Was war für Sie das Besondere an der Ottersberger Kunstausbildung?

Alle damaligen Schulen – die Alanus-Kunsthochschule, die Dornacher Kunstschulen, die Ratnowsky-Schule und die Von-Bonin-Schule – waren sehr lebendig und zum Teil in der Pionierphase. Ich hatte insofern großes Glück, als ich vier Jahre und dann mit einem Meisterschülerjahr ein fünftes Jahr bei Siegfried Pütz allein studieren durfte. Siegfried Pütz war ein wirklich anthroposophischer Künstler. Als er in der 12. Klasse der ersten Waldorfschule in Stuttgart war, kam Rudolf Steiner in den Werkunterricht bei Max Wolfhügel und schaute sich den jungen Siegfried an, wie er da arbeitete. Er zeigte ihm dann, wie man ein Messer besonders gut hält und gleichsam eine doppelt gekrümmte Fläche gestaltet. In dem Moment wusste Pütz, dass er Bildhauer werden würde. Pütz war es ein großes Anliegen, das Soziale in die Kunst oder die Kunst in das Soziale zu führen. Zusammen mit seiner Frau Rose Maria hat er Wesentliches für die Kunsttherapie entwickelt. Wir alle sollten also im Sozialen wirksam sein, in Altersheimen, Gefängnissen, wo auch immer. Ich gab als 21-Jähriger alten Menschen Malunterricht. In Ottersberg lebte der Satz: Die Kunst muss ins Leben. Die Kunst ist nicht dazu da, nur ausgestellt zu werden.

Haben Sie nach der Ausbildung gleich eine eigene Kunstschule gegründet?

Nein. Wir konnten alle gar nicht schnell genug im Sozialen tätig werden und in die Arbeitswelt eintauchen. Ich habe zuerst in Wien sieben Jahre lang den Kunst- und Werkunterricht an der Waldorfschule aufgebaut. Ich unterrichtete Zeichnen, Plastizieren, Kupfertreiben, Schnitzen und Steinhauen. Dort kam es auch zur ersten tätigen Begegnung mit der Architektur. Es musste ein Saal gebaut werden – ich habe mich engagiert, machte den Entwurf, verfertigte plastische Reliefs an den Wänden und schnitzte Türen mit den Schülern. Das war eine sehr lebendige Zeit.

Links: Beziehung, Bronze; Rechts: Werden und Vergehen, griechischer Marmor, Foto: B. Schnetzler

Haben Sie in dieser Zeit auch geforscht und künstlerisch gearbeitet?

Selbstverständlich. Künstlerisch habe ich eigentlich immer gearbeitet. Ich kann nicht verstehen, dass man als Lehrer keine Zeit mehr für die Kunst haben soll. Es ist doch alles eins und gehört zusammen. Zum Beispiel habe ich während der Wiener Zeit das große Relief, das im Goetheanum-Foyer steht, geschlagen. Gleichzeitig war ich durch die Freundschaft mit Wilhelm Reichert in dessen Forschungsarbeiten eingebunden und unterrichtete an einem berufsbegleitenden Seminar.

Wilhelm Reichert und mir wurde bald deutlich, dass wir eine eigene Kunstschule gründen sollten. Doch ist er noch vor der Gründung gestorben, sodass ich mich ganz dieser Aufgabe widmen musste und das Waldorflehrersein aufgab. Da ging es dann richtig los in der Goetheanistischen Studienstätte für Pädagogik, Kunst und Anthroposophie in Wien. Wir haben Lehrer und Werklehrer ausgebildet. Aufgrund von Reicherts Tod musste ich das Malen und Zeichnen übernehmen – was nicht mein Hauptfach war. Ich habe mich nie als Maler gesehen. So unterrichtete ich sieben Jahre lang Malerei und lernte dabei viel noch einmal von Grund auf. Mit den Studenten haben wir in dieser Zeit die Kuppel des Ersten Goetheanum auf großen Leinwänden gemalt. Später hat sich gezeigt, dass das eine gute und notwendige Übung gewesen war, im Hinblick auf die Kuppelmalerei im zweiten Goetheanumbau.

Wann haben Sie sich das erste Mal mit dem Ersten Goetheanum beschäftigt?

Das war mit 17 Jahren. Als ich bei dem Bildschnitzer arbeitete, habe ich begonnen, die ersten eigenen Metamorphosen zu schnitzen. Mich hat das Erste Goetheanum zutiefst bewegt. Mein Vater fuhr alljährlich zur Generalversammlung und hat manchmal schön gerahmte Bilder vom Ersten Goetheanum mitgebracht. Eines davon hing am Kopfende meines Bettes, als ich noch ein Knabe war. Für mich, der in den Götterheldensagen und Märchen lebte, war das immer eine Burg oder ein Märchenschloss. Das Erste, was ich dann probiert habe, war, sieben Leuchter zu schnitzen, die eine Metamorphose haben. So hat das alles begonnen.

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Mit der Metamorphose versuche ich, den Geist der Natur zu erhaschen. Es ist die Suche nach dem Imaginativen. Die Imagination hat ja die Eigenart, dass sie im Entstehen ihr Verschwinden schon vorbereitet.

Wie haben Sie sich den Formen angenähert?

Einerseits über die unmittelbare Anschauung und Nachahmung, andererseits über ein künstlerisches Verständnis der Metamorphose. Wenn man Goethes Metamorphosenlehre studiert und sich an der Samenkornmeditation versucht, dann kommt man nach und nach darauf, dass die wahre Metamorphose eine diskontinuierliche Kontinuität ist. Es gibt etwas, was in dem sinnlichen Felde sich dauernd verwandelt; eines wächst wirklich, wird größer, atmet aus und zieht sich wieder zurück im Jahreskreislauf, aber entfaltet sich in sieben Organen. Diese sieben Organe gehen aber nicht physisch das eine aus dem anderen hervor, sondern es sind Stufen. Das ist nicht einfach zu verstehen. Immer wieder habe ich versucht, mir den Unterschied zwischen lebloser Natur und lebendiger Natur, auch im Sinne der «Grundlinien einer Erkenntnistheorie» Rudolf Steiners im Goethe’schen Sinne, klarzumachen. Mir scheint es sehr wichtig, dass der Metamorphosegedanke wirklich gründlich erfasst wird.

In der Ausstellung werden sehr verschiedene Kunst­werke gezeigt. Lassen sich Grundthemen ausmachen?

Es klingt seltsam, aber eigentlich sind alle Werkstücke Nebenprodukte. – Sie entstanden, als ich innere Erlebnisse oder Träume hatte, die so stark drängten, dass ich sie künstlerisch abfangen musste. Wenn ich ein Hauptthema formulieren sollte, so würde ich sagen, dass es das fortwährende Arbeiten an einer Formenlehre ist: der Metamorphose. Mein wichtigster Lehrer war Rudolf Steiner und sein künstlerisches Werk. Meine Frage ist, wie man mit der Metamorphose im Relief, im Vollplastischen und vor allem auch in der Architektur umgeht. Das ist ein Strom, der durch alle Arbeiten hindurchfließt. Mit der Metamorphose versuche ich, den Geist der Natur zu erhaschen. Es ist die Suche nach dem Imaginativen. Die Imagination hat ja die Eigenart, dass sie im Entstehen ihr Verschwinden schon vorbereitet. Eine Frage ist zum Beispiel, im Steinrelief etwas zu schlagen, was einerseits dem Betrachter konkret scheint und doch jeden Moment etwas anderes ist.

 


Notizbuch

Notizbuch

 

Wie halten Sie Ihre Ideen und Erlebnisse fest?

Ich trage immer ein Skizzenbuch bei mir und besonders bei anthroposophischen Zusammenkünften habe ich Einfälle – da sitze ich dann irgendwo in der letzten Reihe und zeichne. Ich kann dabei gut zuhören, aber das Gehörte wandelt sich bei mir in Bilder um. So habe ich eine Fülle von solchen Skizzen, die ich manchmal aufgreife und zu modellieren versuche oder auch vollplastisch ausgestalte. Die inneren Erlebnisse notiere ich auch, aber nicht immer.

Entstehen die Themen mehr aus der Beschäftigung mit der Anthroposophie oder aus Ihrer Biografie heraus?

Das kann man nicht voneinander trennen. Das ist ineinander verwoben. Gewisse Erlebnisse, die mich beschäftigen, die würden ohne Anthroposophie gar nicht da sein. Es mag dann dort auch ein kleiner Anklang von Illustrativem mit drinnen sein, dass mich auch Imaginationen Rudolf Steiners so bewegen, dass sie sich bei mir in eigene Bilder umsetzen. Dazu kommt, dass ich nie Scheu hatte, mich mit Rudolf Steiners Werken direkt auseinanderzusetzen. Als ich die Leitung der Sektion für Bildende Künste zu übernehmen hatte, hatte ich mir vorgenommen, das bildnerische Werk Rudolf Steiners zumindest gründlich zur Kenntnis zu nehmen, indem ich eigentlich alles, was es von ihm gibt, mal durchgezeichnet oder durchmodelliert habe. Da wird eine Quelle der Fantasie angeregt. So hat man immer viel, viel mehr Einfälle als das, was man machen kann.So verspüre ich immer den Wunsch, so komisch das klingt, einmal «wirklich» anfangen zu können.

Es sind ja jetzt bald 100 Jahre, seitdem die Hochschule am Goetheanum gegründet wurde. Das ist ein Bogen und man kann sich fragen: Wie bewusst werden die Wurzeln gesehen und wohin weisen die Keime in die Zukunft?

Es ist eine außerordentlich bewegende Zeit. Es verschwinden viele Themen, die in meiner Jugend noch mit Eifer und Enthusiasmus studiert wurden – so muss man lange suchen, einen Lehrer zu finden, der wirklich anthroposophische Kunst vermitteln kann. Zugleich ist deutlich, dass wir mit frischem Enthusiasmus und Feuer darangehen müssen, die Quellen zu erschließen. Ich spüre, wenn ich jungen Menschen gegenüberstehe, eine große Offenheit. Das ist schön, das müssen wir aufgreifen. Dann kommt hinzu, dass viele Impulse, die hier lokal begonnen haben, heute über die ganze Welt hin verstreut sind. Um einen Überblick zu haben, wie die Anthroposophie heute lebt, muss man sein Bewusstsein sehr weit ausdehnen.

Ich denke, es wird alles darauf ankommen, dass wenigstens eine kleine Schar die anthroposophische Arbeit ganz gründlich, aber frisch und erlebend ergreift. Zumal eine Epoche angebrochen ist, in der das Studium der Anthroposophie vielen gar nicht leichtfällt. Es war sicher nie leicht, aber es ist schwieriger geworden, die Sprache Rudolf Steiners zu verstehen. So denke ich, dass es eine Hauptaufgabe sein wird, Vermittler zu werden, sodass sich das Werk Rudolf Steiners fruchtbar erschließen kann.

Links: Werdend, Relief, Birkenholz, Foto: B. Schnetzler; Rechts: Feldkirchen, August 2000

Welche Themen müssten in Zukunft ergriffen werden?

Mir ist es ein großes Anliegen, das, was Rudolf Steiner in seinen Bauten schuf, als eine Art Urbild für eine Architekturausbildung zu betrachten, welche es gründlich zu studieren gilt. Die Goetheanumbauten gehören maßgeblich zur ersten wirklich skulpturalen Architektur. Rudolf Steiner war ein Meister darin. Er war der Auffassung, dass alle Dinge modelliert werden müssten – bis auf wenige Ausnahmen. Das heißt, es wird aus dem Skulpturalen heraus, wirklich aus den Fingern und dem Formerleben heraus, alles geschaffen. Nicht so, wie es heute üblich ist: Man macht die Pläne fertig und lässt dann vom Modellbauer ein Modell bauen. Es ist gerade umgekehrt. Deshalb ist es wichtig, dass ein Architekt viel modelliert und die menschliche Gestalt studiert.

Wenn man weiter das Gebäudeensemble um das Goetheanum anschaut, dann hat man eine zauberhafte Polarität: Im Osten das karge, einfache Haus Schuurman – ein Schritt weiter in der Gestaltung und es wäre eine Kiste ohne Dach. Dagegen im Westen, direkt «vors Gesicht» des Goetheanum gestellt, eine skulpturale Architektur, die nur einen ganz kleinen Schritt davon entfernt ist, reine Plastik zu werden. Darin liegt die ganze Spannweite der Architektur. Auffällig ist, dass mehr und mehr auch namhafte Architekten mit größtem Interesse dieses einzigartige Ensemble betrachten, das viele Themen, die heute aktuell sind, beinhaltet. Das Verhältnis der Bauten zueinander, die Stilfrage, die Verwandlungsfrage, die Nutzungsfrage, der Wesensausdruck – all das ist hochinteressant und hochaktuell. Sich damit zu beschäftigen, ist fantasieanregend und gibt große Kraft.

Könnte man sagen, dass das Interesse am Skulpturalen auch ein Zeichen dafür ist, dass wir wieder unbewusst ein Bedürfnis nach den ätherischen Kräften haben?

Ich denke ja. In den letzten Jahrzehnten ist eine enorme Bewegung in die Architektur hineingekommen. Es werden oft Häuser ohne Dach gebaut, die nur in wenigen Fällen stimmig sind, aus Teilen zusammengesetzt, wie maschinenartig vorproduziert, oder es entstehen die gewagtesten Hochhäuser, die in Spiralformen sich nach oben recken. Da ist Bewegung hineingekommen. Das ist eindeutig. Natürlich ist das gepflastert mit Versuchungen, Spektakulärem und Faszinationen. Es gibt Bauten, die üben eine solche Faszination aus, dass man sich ihnen gar nicht entziehen kann. Aber Faszination und Kunst sind nicht identisch.

Auffallend ist, dass 100 Jahre vergehen mussten, damit Menschen immer mehr merken, wie aktuell Rudolf Steiners Werk ist. Viele Architekten sind letztlich sprachlos, wenn sie das Goetheanum sehen. Denn sie bemerken, dass es das ist, was sie eigentlich suchen. Aber das ist nicht verwunderlich, denn wie so oft in der Menschheitsentwicklung steht das Vollkommene nicht am Ende einer Entwicklung, sondern am Anfang. Es ist eigenartig, Rudolf Steiner sagte, wir haben nur anfängliche, bescheidene Versuche gemacht, aber zugleich sind die Versuche so, dass sie urbildlich mit hoher Vollkommenheit antreten. Das ist ein Paradoxon, aber es ist so. Stilbegründende Individualitäten arbeiten aus einer anderen Ebene heraus. Das kann ich jetzt nicht begründen, aber ein künstlerisch empfindender Mensch wird es wahrnehmen. Man kann das sehen, auch wenn man nicht gleich einen Begriff hat. Es ist so.

 


Tankstelle, Obertrum, Österreich

Tankstelle, Obertrum, Österreich

 

Haben Sie noch ein Anliegen, das Sie noch formulieren würden?

Vielleicht ist noch eins zu erwähnen: Im Zuge der vielen Aufgaben, die ich hatte, hat sich ein ‹Nebengleis› erhalten – das Üben. Es sind viele Zeichnungen entstanden und die Liebe für das Hell-Dunkel – wie es mir in Rembrandts Radierungen begegnete –, die ist geblieben. Immer habe ich gezeichnet, auf Reisen, wenn ich Zeit hatte, so nebenbei, ohne Anspruch. Meine Frage dabei ist, wie kann das lebendig webend Lichthafte und Dunkle erscheinen, wie werden die Dinge aus dem Hell-Dunkel geboren? Nicht durch Hell-Dunkel einen Gegenstand zu zeichnen, sondern aus dem Hell-Dunkel heraus eine Landschaft erstehen zu lassen, das versuche ich. Besonders natürlich die wunderbare Welt der Wolken und der Elemente mit dem Licht und der Finsternis – das ist ein Herzensanliegen. Was da so entstand und entsteht, ist Neigung und immer ein Suchen.


Titelbild: Sattelfläche II, Bronze

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