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Abschied vom Feuer

Wir Kinder des Prometheus haben um das Feuer und mit dem Feuer die menschliche Kultur gebaut, denn es ist Feuer, das Metall und Kunststoff so rein anbietet und dann in tausend Formen gießt, es ist Feuer, das der modernen Welt ihr Licht und ihre Geschwindigkeit schenkt. Doch das geht nun zu Ende. Geht das Feuer in eine neue, eine menschliche Runde?


1,4 Millionen Jahre ist es her, dass Menschen erstmals am und um das Feuer saßen. In der Olduvaischlucht in Tansania, der Wiege der Menschheit, dort hat man die ältesten Funde von Feuerstellen ausgegraben. Solch eine lange Zeit war es dienstbarer Helfer der menschlichen Kultur. Am Feuer entstand die Gemeinschaft und damit die Sprache, am Feuer war man geschützt, gewärmt und beleuchtet. Mit dem Feuer fand man Nahrung und mit dem Feuer wurde sie haltbar. Mit gutem Grund sehen die Griechen in Prometheus den Urvater aller menschlichen Kultur, denn er hat die Flamme vom Himmel zur Erde gebracht. Dieses Geschenk des Himmels, das Feuer zu hüten, das findet sich in beinahe allen Mythen der Menschheit wieder, so Claude Lévi-Strauss, der französische Anthropologe. Und in all diesen Geschichten ist es das Feuer, das den Menschen menschlich macht. Charles Darwin nennt es die größte Erfindung des Menschen nach der Sprache. Das Feuer hat nicht nur die menschliche Gemeinschaft geprägt und gebildet, durch Brandrodung war es das erste Werkzeug, um die Umgebung vollständig zu verändern. Die ersten Siedler Amerikas fanden überwiegend offene parkähnliche Landschaften und die weite Graslandschaft der Prärie. Der Grund dafür klärte sich bald auf: Die Indianer trieben zweimal im Jahr ein Feuer über die Vegetation, um für die Jagd ein freies Feld zu haben. Mit dem Feuer beginnt das Kochen, was bisher ungenießbar war, lohnt sich jetzt zu sammeln, es beginnt die Arbeitsteilung, es erhält die Gemeinschaft eine Mitte.

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“«Zündet das Feuer an! Feuer ist obenan.» So beginnt Goethe seinen Feuerhymnus ‹Chor der Schmiede›. Es zu bändigen, seine Zerstörungskraft zu zügeln, liess aus Natur Kultur werden, liess den Menschen sich über die Schöpfung erheben. Beginnt im digitalen Zeitalter die feuerlose Herrschaft?”

Danach entdecken die verschiedenen menschlichen Kulturen, dass man mit Feuer Ton zu Steinzeug brennen kann. Später werden die Epochen nach ihren Feuerleistungen benannt, denn mit Bronze-, Kupfer- und Eisenzeit sind es die Metalle, die mit dem Feuer aus dem Stein geholt und dann mit Feuer geschmiedet werden. Es überrascht deshalb nicht, dass tatsächlich das Feuer nach der Sprache das wichtigste Medium und Werkzeug der menschlichen Kultur und Zivilisation ist. Zivilisation bedeutet, diese Feuergeister zu domestizieren, zu kontrollieren. Der Brand des Tempels von Ephesos 356 v. Chr., der Brand der Bibliothek von Alexandria, vom antiken Rom 64 n. Chr., der große Brand Londons 1666 und auch der Brand des Goetheanum: Die entfesselte Feuergewalt hat zugleich auch die großen Kulturschätze ausgelöscht. So war die Beherrschung des Feuers auch eine Herausforderung. Nach diesen 1,4 Millionen Jahren entlassen wir Menschen die Feuergeister aus ihrem Dienst. Doch was wird aus diesem Geist, wenn die menschliche Kultur ihm nun entwächst?

Feuerloses Licht

Thomas Alva Edison hatte die Journalisten zur Präsentation seiner neusten Entwicklung in seine außerhalb von New York gelegene Werkstatt ‹Menlo Park› eingeladen. Der Zeitpunkt der Enthüllung nach Sonnenuntergang war allerdings unüblich. Die Journalisten irrten durch einen Wald zu Edisons Werkstatt. Hinter den Bäumen waren Bleibatterien versteckt und seine ersten Glühlampen hingen in den Zweigen. Auf ein Zeichen war der düstere Wald in Licht getaucht. Eindrucksvoller hätte er den Beginn des technisch lichten Zeitalters kaum vorführen können. Die Glühbirne ist zum Inbegriff der Neuzeit und der technischen Souveränität des Menschen geworden, jenes in einem Glaskolben gefangene Feuer, das auf Knopfdruck einen Tisch, einen Raum, sogar ein ganzes Fußballfeld erleuchtet. Nur wenige Prozente der im Glühfaden gesammelten Feuerglut werden dabei zu Licht, und dennoch hat diese Erfindung die ganze Welt er- und beleuchtet. Wollte ich als Kind nicht zur Schule, so hielt ich die Quecksilberspitze des Thermometers an die Glühbirne auf dem Nachttisch und die Säule stieg in fiebrige Höhen. Jetzt wird das Feuer aus den Glaskolben aber befreit. Denn mit den modernen LED-Leuchten sind nun Beleuchtungen verfügbar, die mit gleicher Farbtemperatur wie die Glühlampen (2700 K) warmes Licht liefern und mit 97 Prozent CRI (Colour Rendering Index) nun auch hinsichtlich der Farbechtheit von Glühlampen oder Halogenlampen nicht mehr zu unterscheiden sind. Besonders den farblich sensiblen Ton des menschlichen Gesichtes können diese feuerlosen Lampen nun ebenfalls farbecht beleuchten. Auf die Fragen der feinstofflichen Wirkungen gehe ich hier nicht ein. Eine Art letzter Mohikaner der alten Glühbirne sind die 12-Volt-Halogenlampen, die von der EU ab September dieses Jahres ebenfalls aus dem Handel genommen werden. Ob Kerze, Öllampe oder Gaslampe, in all diesen Lichtern ist das Feuer mehr und mehr domestiziert und schließlich in der Glühlampe im Glaskolben eingesperrt. Erst jetzt, mit der LED-Lampe, verschwindet das Feuer aus der Beleuchtung. Die LED-Lampen können ‹warmes› Licht erzeugen, aber es rührt nicht von einem Feuer her, es ist nun kaltes warmes Licht, das aus Millionen LED-Leuchten überall strahlt.

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Feuerlose Motoren

Nicht anders ist es mit der Fortbewegung: Erst war es der Dampfdruckkessel, der auf dem Wasser und auf Schienen den Startschuss für die moderne Mobilität und das Maschinenzeitalter gab, dann kam Anfang des 20. Jahrhunderts der Verbrennungsmotor. Er war klein und leicht und erlaubte, auf der Straße Vier- und Zweiräder anzutreiben. Jetzt war die Bewegung nicht nur schnell, sondern auch individuell und frei. Der Wohlstand und der Freiheitswille des 20. Jahrhunderts wären ohne den Verbrennungsmotor nicht denkbar gewesen. In immer höherem Druck mit Turbolader und Ladeluftkühlung pressen wir mehr Kraft aus dem Feuer. «Den letzten Öltropfen will niemand mehr haben», hat der Geologe Colin Campbell in seinem Buch ‹Ölwechsel› prophezeit. Der jetzt an Fahrt gewinnende Systemwechsel auf Elektroautos scheint ihm recht zu geben. Die Niederlande wollen in sieben Jahren keine Verbrennungsmotoren mehr zulassen und in Norwegen ist schon jetzt die Hälfte aller Neuzulassungen mit Elektroantrieb versehen. In zehn Jahren sind Verbrennungsmotoren die Minderheit und in zwanzig Jahren werden sie wohl beinahe verschwunden sein. Auch in der Fortbewegung verabschiedet sich das Feuer. Erste Kleinflugzeuge mit Wasserstoffantrieb und jüngste Projekte der beiden großen Verkehrsflugzeughersteller lassen ahnen, dass auch in der Luft das Feuer keine Zukunft hat.

Feuerlose Fabriken

“Erst die wilde Flamme, die als Feuer neues Feuer stiftet, dann im Glas ein Brennen ohne ein Verbrennen und nun ein Licht ohne Wärme, ein Licht, das kein Feuer mehr ist.”

In meinem Studium im Ruhrgebiet war der Himmel am Abend oft glutrot erleuchtet. Die Gießereien von Thyssen und Krupp schoben dann ihre Profile und Wellen aus den Fertigungshallen heraus. Doch auch diese Zeit neigt sich. Nicht nur Kunststoffteile können heute in 3-D-Druckern in kompliziertesten Formen gespritzt werden. Selbst Metall kann ohne Hitze, ohne Feuer ‹gedruckt› werden. Über eine hauchdünne Staubschicht aus Metall fährt ein Laserstrahl und schmilzt die betreffenden Stellen fest. Metallschicht nach Metallschicht wird so aufgetragen und mittels Laser verflüssigt. Die Formen, die so gewonnen werden, sind viel komplexer und auch materialsparender als der massive Guss. So scheint das Feuer auch in den Fabriken angezählt zu sein. Selbst von seinem angestammten ältesten Platz im Haus in Heizung und Ofen weicht die Flamme. Als kleiner Junge saß ich vor unserem Ölbrenner im Keller und habe durch das Sichtfenster dem Feuer im Brennraum zugeschaut. Erst klickte es rhythmisch – das war der Zündfunke –, dann spritzte das Öl ein und es entzündete sich der Brennstoff zu wilden Feuerzungen. An die Stelle des Brenners tritt heute die Wärmepumpe, die aus dem warmen Wasser aus den Sonnenkollektoren oder dem Erdreich das heiße Wasser für die Bodenheizung oder den Wasserhahn bereitstellt.

Im Feuer mündet und endet ein Lebensweg, der in der Sonne beginnt. Ihre Wärme und ihr Licht lassen die Pflanzen wachsen. Ob in Holz, Gas, Kohle oder Erdöl, in all diesen jungen oder alten Stoffen ehemaligen Lebens ist die Sonnenenergie gespeichert, und mit dem Feuer kommt diese Sonnenkraft heraus – läuft dieser Sonnenprozess, der die Pflanzen hat wachsen und gedeihen lassen, rückwärts. Und so, wie die Sonne der Erde Licht und Wärme schenkt, so gehört zu jedem Feuer, dass es die Vereinigung von Licht und Wärme ist. In der Glut überwiegt die Wärme, in der Flamme das Licht, und doch ist ein Feuer immer beides. Vermutlich kann man sich deshalb am Feuer nicht sattsehen, denn die Verbindung von Licht und Wärme betrifft den Kern der menschlichen Seele. Erst wenn beide zusammenkommen, wird die Seele zur Seele. Was in der Natur die Wärme ist, das wird in der Seele zu der Kraft, die wie die Wärme alles durchdringt und – wenn sie echt ist – keine Grenze, keinen Halt kennt. Auch die beste Isolierung vermag auf Dauer dieses Vermögen der Wärme nicht aufzuhalten. In der Seele wird diese Wärme zur Liebe. Wenn die Liebe wahr werden soll, so kann man nicht den einen Menschen lieben und einen anderen nicht. Die Liebe ist ihrer Natur nach universell. In der Wärme wird alles zu einem Ganzen, denn die Wärme und ihre höhere Schwester, die Liebe, verbinden. Anders das Licht, es sondert und differenziert. Hier wird die Welt zum Einzelnen, Besonderen. Das menschliche Denken, dieses Lichtorgan im Menschen, schafft geistig, was die Sonne physisch vollbringt. Es gehört deshalb zu den glücklichsten Momenten, aus dem Irrtum, aus dem seelischen Dunkel einer falschen und vielleicht sogar verlogenen Vorstellung im Erkennen die geistige Erfahrung des Lichts zu machen. Doch was bedeutet es, wenn nun das Feuer, dieser große Repräsentant der Einheit von Wärme und Licht, von Liebe und Erkennen, seinen Dienst beschließt?

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Die Auferstehung des Feuers

Es gehört zu den Grundbeobachtungen des Lebens, und Rudolf Steiner lenkt in seiner Menschenkunde den Blick immer wieder darauf, dass eine Kraft, die sich erschöpft hat, die ihr Werk vollendet hat, dann nicht verloren ist wie ein aufgebrauchter Rohstoff, sondern nun auf höherer Stufe sich verwirklichen kann. Jede Blume zeigt es: Erst wächst sie und bildet Blatt um Blatt und mit dem Ende der vegetativen Phase, wenn sich das Blattwachstum erfüllt hat, kommen mit Blüte und Frucht mit einem Mal Farbe, Duft und Seele hinzu. Die Pflanze erreicht eine neue Stufe. Im Menschen sind Zahnwechsel und Geschlechtsreife die starken Bilder dieses Energieerhaltungssatzes des Lebens. Ist der feste Zahnschmelz der zweiten Zähne gebildet, so steht diese Kraft des Härtens nun für gedankliches Kauen zur Verfügung. Ist die Geschlechtsreife erreicht, so sind es dieselben Kräfte, die jetzt als Einfühlungsvermögen und Idealismus sich auf höherer Ebene entfalten können.

“Erst die Hitze versengend, dann das Feuer am Herd: nirgends ist das Heim so mütterlich und nun auf Sensor- oder Sprachbefehl die Hitze hinter Glas.”

Wenn das Feuer nun seine Schuldigkeit erfüllt hat und als Diener entlassen wird, so gilt wohl gleichermaßen, dass die Fähigkeit des Feuers, Wärme und Licht zu vereinen, dass diese Integrationskraft dieser Gegensätze jetzt frei, auf höherer Stufe sich ausleben könnte. Es gab Zeiten in der menschlichen Geschichte, da lag das Gewicht und Können auf einem der beiden Kräfte, da schlug das Pendel mal auf die Seite der Empathie und Wärme, mal auf die Seite des Lichts. So gehört zum beginnenden Christentum, dass Barmherzigkeit und der Wille zur Liebe, zum Kümmern sich neu entfaltete. Anders ein Jahrtausend später im arabischen Kulturkreis: Jetzt dominiert die Fähigkeit des Analysierens und Kalkulierens, und entsprechend waren es die Araber, die den Sternen mit Atair und Deneb Namen schenkten. In jeder Biografie vermag man wohl diese Zeiten zu unterscheiden, wann die Wärme und wann das Licht vorherrscht, und manchmal scheint es gerade die Abwesenheit der Wärme zu sein, die den Verstand erst aufweckt. Doch zur Gegenwart scheint heute zu gehören, dass nicht ein Nacheinander von Wärme und Liebe, sondern dessen Miteinander zählt. Heute scheint es immer auf die Vereinigung von Wärme und Licht anzukommen. Sobald das eine dominiert, ist der Schaden nicht weit. Vielleicht ist ‹Parzival› die erste große Erzählung von dieser Einheit. Es genügt nicht, dass der Ritter die Wunde des Amfortas bedauert, Mitleid mit dem verletzten Gralsritter hat, nein, Parzival muss auch verstehen. Die Liebe ohne das Erkennen ist so wenig wie das Erkennen, dem die Liebe fehlt. Arthur Zajonc beschreibt in seinem Buch ‹Aufbruch ins Unerwartete›, dass die Grunderfahrung der Meditation darin bestehe, dass Erkennen und Lieben zueinander gehören, dass man nur das verstehen kann, was man lieben lernen will, und dass man nur das zu lieben imstande ist, was man auch zu verstehen sucht.

Wenn nun das Feuer seinen Dienst beendet, nicht länger die menschliche Welt beleuchtet, vorantreibt und erwärmt, dann wird diese Integrationskraft, dieses Sonnenwesen, in einem bisher unbekannten Maß aufsteigen und im Menschen als Gemeinschaft von Wärme und Licht, von Liebe und Erkennen auferstehen können.

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Julians Ruf der geistigen Sonne

Oft, wenn die Menschheit einen mächtigen Schritt in ihrer Entwicklung machte, hat sie zur gleichen Zeit einen großen Gesang auf die Sonne angestimmt. Der Pharao Amenophis IV, der sich selbst Echnaton, ‹Sohn der Sonne›, nannte, besang 1350 v. Chr. die Einheit und Göttlichkeit der Sonne: «Du bist aufgegangen im Osthorizont und hast jedes Land mit deiner Schönheit erfüllt. Schön bist du, groß und strahlend, hoch über allem Land. Deine Strahlen umfassen die Länder bis ans Ende von allem, was du geschaffen hast.» Es ist die ‹eine› Sonne, die über allem strahlt, wie der ‹eine› Gott. Zu einer Zeit, als der Schritt aus dem Mittelalter in die Neuzeit geschah, als das menschliche Selbstbewusstsein erwachte, da besang Franz von Assisi die Sonne als Gottes höchstes Werk. Und dazwischen: Als im 4. Jahrhundert, in dem die Antike und ihr mythischer Grund verblasste und an ihre Stelle das Christentum trat, da schrieb der römische Kaiser Julian Apostata seinen Hymnus auf den Sonnengott Helios. Es war jene Zeit, in der das Orakel von Delphi, nachdem es tausend Jahre die Geschicke Europas geprägt hatte, eben jenem Kaiser Julian die letzte Weissagung als die Kunde von dieser Zeitwende gab: «Kündet dem Kaiser, gestürzt ist die prunkvolle Halle, Apoll hat nicht mehr sein Haus. Auch nicht den weissagenden Lorbeer noch die sprechende Quelle; verstummt ist auch das redende Wasser.» An dieser Schwelle vorchristlicher Dämmerung und christlicher Morgenröte schreibt nun Julian seinen Sonnengesang: «Es wäre besser zu schweigen, ich aber werde sprechen», so eröffnet Julian in seinem Sonnenhymnus seine Gedanken zu Ort und Erscheinung der Sonne. Während Plato umgekehrt schreibt, dass man weitersprechen könne, er es aber nicht tue, dreht Julian es herum und kommt nun auf die Sonne. Sie stünde nicht in der Mitte der Planeten, sondern jenseits in der ungestirnten Region und von dort ergieße sich ein dreifacher Segen von drei Grazien auf die Erde. Wie später Rudolf Steiner betont auch Julian, dass die sichtbare Sonne nur der Schatten der eigentlichen Sonne, der geistigen Sonne sei, die hinter den Sternen liege. In den Jahreszeiten könne man die Grazien der ursprünglichen Sonne, so darf man Julian hier lesen, fassen. Doch was sind die Grazien? Sie sind das, was die Jahreszeiten auf der Erde als drei solare Eigenschaften schenken: im Sommer ist es das Licht, in das die Sonne die Erde taucht. Im Winter, und das ist schwieriger zu verstehen, ist es das Leben, das die Sonne in die Erde senkt. So wie jede Nacht den erschöpften Organismus im Schlaf erneuert und regeneriert, mit neuem Leben ausstattet, so ist es auch im Winter. Die Sonne senkt das Leben in die Erde, sodass es sich im Frühling und Sommer entfalten kann. Die Wärme, als die dritte Gabe der Sonne, ist vor allem im Übergang zu spüren, in Frühling und Herbst. Was in der Natur als Wärme, Licht und Leben sich von der Sonne entfaltet, dem entsprechen in der Seele als geistige Wärme, geistiges Licht und geistiges Leben Liebe, Erkennen und Freiheit.

Wenn das Feuer nun versiegt, wenn dieser umgekehrte Sonnenprozess nun in der Kultur stirbt, dann ist es vermutlich das Zeichen, dass im Menschen diese Einheit von Empathie und Erkenntnis, von Liebe und Weisheit, diese meditative Gesinnung neues Leben gewinnt. Im Feuer ist die Sonne in die irdische Welt gestorben – im Menschen kann die Sonne als Einheit von Liebe und Erkenntnis und Freiheit eine neue Sonne werden. Was Julian Apostata in seinem Sonnenhymnus als die geistige Sonne jenseits der Sterne anspricht, das findet seinen Spiegel, seine Antwort in der Wiedergeburt des Feuers in der menschlichen Seele.


Den Kerngedanken des Artikels verdanke ich Gesprächen mit Georg Hasler.

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