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In Paris Deutsch lernen? Beobachtungen über den Rhein hinweg

Manchmal spiegeln sich parallele Ereignisse inei­nander, ohne direkt mit­ei­nander verbunden zu sein. Eine solche Parallele kann in Bezug auf die jüngsten politischen Ereignisse zwischen den usa, Frankreich und Deutschland und der öffentlichen Rezeption der Anthroposophie in Frankreich wahrgenommen werden. Eine Reflexion über Sprachgrenzen, kulturelle Befruchtung und Weltansichten.


Als US-Präsident Donald Trump von den Feiern zum Gedenken an den Waffenstillstand vor hundert Jahren aus Frankreich in seine Heimat zurückkam, war er offenbar über seinen französischen Amtskollegen etwas verstimmt. Möglicherweise, weil sich Macron in seiner Rede gegen egoistischen Nationalismus und für einen selbstlosen Patriotismus ausgesprochen und damit die derzeit zunehmenden nationalistischen Tendenzen, zu denen sich der US-Präsident ja auch bekennt, kritisiert hatte? Mit Sicherheit war aber auch Macrons Ruf nach einer europäischen Armee nicht nach dem Geschmack des US-Präsidenten. Darauf bezieht sich ein grimmiger Tweet: «Emmanuel Macron schlägt vor, eine eigene Armee aufzubauen, um Europa vor den usa, China und Russland zu schützen. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg war es aber Deutschland – Wie ging das für Frankreich aus? In Paris begannen sie Deutsch zu lernen, bevor die USA auftauchten.» (1)

Einer sich europäisch oder sogar weltbürgerlich fühlenden Seele tun solche Worte weh. Alte Bilder steigen auf, ausgerechnet bei den Gedenkfeiern aus Anlass dieser folgenschweren Zeiten, und werfen ihre Schatten auf die Gegenwart. Dass hier die Frage der Sprache berührt wird – «in Paris begannen sie Deutsch zu lernen, bevor die usa auftauchten» –, trifft genau den Punkt. Denn es handelt sich hier in erster Linie um eine kulturelle Frage, wie sie sich in den Sprachen auslebt. Wenn sich Europa für gesunderes Wirtschaftsleben, ausbalanciertere Beziehungen auf geopolitischem Feld und Erneuerung der Demokratie einsetzen will, muss das aus einer Kultur heraus kommen, die sich durch die Staats- und Sprachgrenzen hindurchziehen kann. Dass man beginnt, «in Paris … Deutsch zu lernen», wie Trump sagt, sollte uns gerade begeistern!

Selbst wenn eine europäische Armee als Notwendigkeit erscheinen mag (2), wer kann sich mit dem Projekt, eine Armee aufzustellen, zufrieden oder glücklich erklären? Und wenn der Élysée-Vertrag durch neue parlamentarische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich bekräftigt und weiterentwickelt wird – was sicherlich zu begrüßen ist –, bleibt dies dennoch nicht das Wichtigste. Wichtig ist die Kultur – das ganz Besondere des europäischen Kulturlebens liegt, im Gegensatz zu jenem anderer Riesen wie der usa, Russlands und Chinas, in der markanten Mehrsprachigkeit. Sie ist zugleich ein Schatz und eine Herausforderung für das europäische Leben, das sich, obwohl die deutsche Sprache als Muttersprache in Europa überwiegt, in den Institutionen noch maßgeblich auf die englische Sprache stützt.

“Doch Sprachen sind keine neutralen Kommunikationswerkzeuge, sondern Ausdruck eines unterschiedlichen Gedankenkosmos.”

Doch Sprachen sind keine neutralen Kommunikationswerkzeuge, sondern Ausdruck eines unterschiedlichen Gedankenkosmos. «Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst.» (Humboldt) (3) Deshalb steckt in der Rede, die der französische Präsident Macron zum Volkstrauertag vor dem Deutschen Bundestag gehalten hat (4), wenn er die Tragik der Sprachgrenzen anhand der Briefwechsel von zwei Dichtern an den Frontlinien lyrisch illustriert, nicht nur eine Antwort auf Trumps Tweet. Es steckt auch ein Hinweis auf dieses ganz besondere Schicksal Europas drin: Wie werden sich Weltansichten über Sprachgrenzen hinweg die Hände reichen? Dies gilt nicht nur für deutsch-französische Verhältnisse – man denke nur an Griechenland, Großbritannien, Ungarn, Ukraine, Italien, Polen, aber auch Russland und andere.

Diese Sprachproblematik wird konkret, wenn man sich in Frankreich für den öffentlichen Auftritt der Anthroposophie interessiert. Als 2017 in der neuen Regierung von Macron eine Kulturministerin ernannt wurde, die mit Anthroposophen zusammengearbeitet hat, stand die Anthroposophie plötzlich im Rampenlicht – so wie in Deutschland vor etwa 40 Jahren. Diese mediale Präsenz geschah zuerst in sanfter Weise durch viele kleine positive Erwähnungen, auch in großen Medien. Gleichzeitig polemisiert im Internet ein ehemaliger Waldorf­lehrer und -schüler seit einigen Jahren unaufhörlich gegen die Anthroposophie. Seine unseriösen, aber wirksamen Verdrehungen und Verspottungen sind inzwischen in den Suchmaschinen ganz oben angelangt. Dort findet sich eine Menge an Karikaturen, persönlichen Angriffen und dubiosen Zeugnissen. Trotz seines disqualifizierenden Tons ist es diesem Kritiker gelungen, von Kulturbehörden und Sektenbeauftragten eingeladen zu werden, als Enthüller der ‹Wahrheit› über die Anthroposophie, wie das der Titel seines Blogs verspricht.

Wenn der junge, feurige Journalist Jean-Baptiste Malet dann – die Kulturministerin ins Visier nehmend – in einem zugespitzten Artikel in der Zeitschrift ‹Le Monde Diplomatique› von Juli 2018 Anthroposophie als ‹diskrete Multinationale der Esoterik› bezeichnet (5), hat er sich offensichtlich von den Fehldarstellungen des Bloggers beeinflussen lassen und Peter Staudenmaier, einen amerikanischen Kritiker der Anthroposophie, als Mentor für sein Interpretationsmuster gewählt. ‹Le Monde diplomatique› gilt als renommierte Zeitung, was dem Artikel eine starke mediale Wirkung verleiht: Er wurde häufig kommentiert und auf Englisch, Spanisch, Italienisch, Koreanisch, Japanisch und in weitere Sprachen übersetzt. Der schon zuvor tendenziös gehaltene französische Wikipedia-Eintrag über Anthroposophie ist nun noch verzerrter.

Wer als Gegengewicht gegen diese negativen Darstellungen positives Studienmaterial bringen möchte, stößt an eine Sprachgrenze, denn in Frankreich bleibt Deutsch eine Kennersache. Akademische Publikationen, Presseberichte und öffentliche Debatten finden nur punktuell den Weg über die Rheingrenze. Das gleiche Schicksal erlebte auch der deutsche Idealismus mit seinen Verzweigungen. Er ist eine Sache von Gelehrten geblieben. Doch ohne diese Zwischenstufe des Idealismus – zwischen Aufklärung und Anthroposophie – bleibt die Idee einer Geisteswissenschaft für französisch Denkende schwer begreiflich und macht sich verdächtig. Selbst die Stimmen von Kulturgrößen aus dem deutschsprachigen Raum wie Joseph Beuys oder Peter Sloterdijk scheinen wenig Beachtung zu finden. Hier kann man nur hoffen, dass begonnen wird, «in Paris Deutsch zu lernen», dass sich die Kulturen und Sprachen in Europa tiefer gegenseitig befruchten. Und umgekehrt sollte der in Frankreich besonders starke Anspruch auf Ratio und Klarheit nicht unterschätzt werden: Anthroposophische Forschung kann auch auf die Aufklärung nicht verzichten.

Die Liebeserklärung des französischen Präsidenten im Bundestag kann zwar berühren, wird aber abstrakt bleiben, solange die Kulturen sich nicht real durchdringen und tiefer kennenlernen. Etwas soll vielleicht abschließend als originelle Leistung Frankreichs erwähnt werden, zumal Trump in seinem Tweet auch den ‹exzellenten› französischen Wein erwähnt: Der stark wachsende biodynamische Weinbau basiert eben wenig auf Verständnis, sondern viel mehr auf den sinnlichen Erfahrungen von Winzern und Önologen. Könnte dadurch, von der Seite des Wahrnehmens her, eine Akzeptanz anderer ‹Weltansichten› kommen? Weinexperten schmecken den Unterschied!6 ‹In vino veritas›, sagt ein alter Spruch – so kann man Anthroposophie im Wein verifizieren? Eine paradoxe Leistung.


(1) Walter Bau, ‹Donald Trump lästert auf Twitter über Emmanuel Macron ab›, Hamburger Abendblatt, 13. Nov. 2018, www.bit.ly/2ByZmDH
(2) Vanessa Vu, ‹Angela Merkel im eu-Parlament: Bundeskanzlerin plädiert für europäische Armee›, Die Zeit online, 13. Nov. 2018, www.bit.ly/2FF9miE
(3) Wilhelm von Humboldt, ‹Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung›, G. Reimer, Berlin 1820, Seite 255
(4) Georg Blume, ‹Besuch in Berlin: Macrons Liebeserklärung an Deutschland›, Spiegel online, 18. Nov. 2018, www.bit.ly/2SdRg90
(5) Jean-Baptiste Malet, ‹L’anthroposophie, discrète multinationale de l’ésotérisme›, Le Monde Diplomatique, 1. Juli 2018, https://bit.ly/2KA4xWE
(6) Siehe: ‹Biodynamie : où en est le vignoble français en 2018 ?›, Blog Dégust’émoi, 10. Okt. 2018, www.bit.ly/2TLS4nh und auch: ‹Antoine Lepetit: le polytechnicien chantre de la Biodynamie›, All About Burgundy, 12. Jan. 2016, www.bit.ly/2DIosBE

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