Wie wird es gut?

Am 2. Februar startete die Jahrestagung der Sektion für Landwirtschaft. Das Thema: ‹Qualität biodynamisch›. Wie kann Demeter-Landbau vom Boden bis zum fertigen Produkt seine hohe und höchste Qualität halten und steigern? Dazu suchen die in der biologisch-dynamischen Land- und Ernährungswirtschaft Tätigen Antworten. Ein Gespräch mit den drei Verantwortlichen Jasmin Peschke, Ueli Hurter und Jean-Michel Florin. Die Fragen stellte Wolfgang Held.


Wie kam es zu dem Thema ‹Qualität› für die diesjährige Jahrestagung?

Ueli Hurter Das Thema ‹Qualität› gehört zu den Kernfragen des biologisch-dynamischen Landbaus, deshalb widmen wir uns immer wieder der Frage nach der Qualität, dem inneren Gehalt. Mit Jasmin Peschkes Forschungsarbeit zur Ernährung und der Buchveröffentlichung ‹Vom Acker auf den Teller› rückte es jetzt unmittelbar in die Nähe.

Jean-Michel Florin Der biologisch-dynamische Landbau wächst ja seit einigen Jahren stark an. Das ist erfreulich! Doch nicht nur die Anzahl der Betriebe wächst, die Höfe selbst wachsen zum Teil kräftig, Erzeugung und Verarbeitung werden professioneller und effizienter. Da stellen sich die Betriebe natürlich die Frage, wie es gelingt, die hohe Qualität beizubehalten und sie nicht gegenüber höherer Effizienz zu verlieren.

Das betrifft die Spanne von Qualität und Quantität?

Florin Ja, das müssen keine Gegensätze sein! So zeigen Landwirte und Landwirtinnen an der Tagung, wie wir mit den Präparaten die Qualität der Lebensmittel verbessern. Da wird es konkret! Gärtnerinnen und Winzer, die Heilpflanzen und Wein anbauen, die mit den feinen Qualitätsfragen vertraut sind, die zeigen uns, wie man die eigene Wahrnehmung hier schulen und tatsächlich die sinnlich wahrnehmbare Qualität beinflussen kann mit den Präparaten. Das sagen die Winzer und Winzerinnen, doch warum soll das nicht für alle Produkte gelten.

Auf dem Teller ist dann die Qualität bei uns angekommen. Das ist dann die Frage an dich, Jasmin, als Ernährungsfachfrau.

Jasmin Peschke Ja, die Qualitätsfrage hat ja die Menschen um Rudolf Steiner veranlasst, nach einer spirituell orientierten Landwirtschaft zu fragen. Sie führte zum Landwirtschaftlichen Kurs, denn die Landwirte bemerkten, dass die Bodenfruchtbarkeit nachlässt und die Produkte ihre Qualität verlieren. In diesem Zusammenhang zur Qualität verstehe ich auch, wie sich Rudolf Steiner gegenüber Ehrenfried Pfeiffer äußert. Pfeiffer fragte ihn nach dem, was man heute Handlungsgap nennt. Wie komme es, dass die Menschen studieren und geistige Einsichten gewinnen, aber dennoch nicht danach handeln, keine Initiative ergreifen. Da antwortete Rudolf Steiner, dass es an der Ernährung liege. So wie die Produkte beschaffen seien, befähigen sie uns nicht mehr, das Geistige ins Physische zu führen. Ja, das ist eine Qualitätsfrage. Und deshalb ist es auch wichtig, das an der Tagung aufzugreifen. Wenn sich jetzt bald die hundert Jahre Landwirtschaftlicher Kurs runden und Demeter-Produkte immer bekannter werden, vor allem in Mitteleuropa, wo sie in Supermärkten präsent sind, ist es wichtig, dass wir uns der Qualität auf allen Ebenen der Ernährung bewusst werden.

Dabei sind die Voraussetzungen für Demeter-Produkte sehr gut: Bei vielen Kundinnen und Kunden lebt das Gefühl, dass Demeter-Produkte etwas besser seien. Das begegnet mir auch bei Handelsschulungen. Da bestätigen die Fachleute der Supermarktketten, dass Erzeugnisse aus dem biodynamischen Landbau ein hervorragendes Image haben, ein Image, wie biologischer Landbau eigentlich sein sollte. Das ist ein sehr positives Bild. Aber es interessiert natürlich auch, wie es dazu kommt, was eigentlich dahintersteckt. Und das ist die Qualitätsfrage! Dabei geht es nicht nur darum, ‹was› man tut, sondern auch, ‹wie› man es tut.

Schwarzer Holunder: Die violetten Beerendolden werden eingekocht zum fruchtig-saftig gesunden Wintertrunk. Aus der Recherche zur Reihe ‹KlosterFarbenDinner› von Nina Gautier

Wie ist das beim Besuch eines Demter-Hofes. Hat man da gleich einen Qualitätseindruck? Fühlt man: Hier ist es gut?

Hurter Das kann man sagen, allerdings ist dieses ‹gut› an jedem Hof komplett anders. Daran zeigt sich unser Begriff der landwirtschaftlichen Individualität. Da kann ein unordentlicher Hof voller Leben doch einen sehr guten Eindruck machen. Dann kommst du eine Stunde später auf einen Nachbarhof, da ist alles eingereiht, arrangiert und gewischt und da ist weniger Leben da und doch spürt man: Hier ist es gut!

Jeder Hof hat seine eigene Qualität?

Hurter Es gibt nicht den idealen archetypischen Demeter-Hof. Vielmehr hat jeder Bauernhof seine ganz besondere Ausprägung von etwas, was prinzipiell darunterliegt, was als solches dann aber durchaus spürbar ist, intuitiv, inspirativ zu erfahren ist. Wenn du auf einen Hof kommst und dich lässt das Gefühl nicht los, dass hier etwas noch nicht gut ist, dann bedeutet das eben nicht, dass bestimmte Normen nicht erfüllt sind, sondern vielmehr, dass er diese ganz eigene Ausprägung noch nicht erreicht hat. Das sind Prinzipien, die uns verbinden und die universell sind. Ich spreche gerne von dem universellen Impuls, der zum Inhalt hat, sich zu individualisieren.

Wenn dieses Spannungsfeld einer universellen Individualisierung nicht da ist, dann hat man das Gefühl, da stimmt etwas nicht. Dann ist es oft nicht eine agronomische Frage, um die es geht, sondern meistens ist es eine soziale Frage. Beispielsweise sind die Eigentumsverhältnisse unklar oder es gibt kollegiale Spannungen.

Es geht in der Qualität darum, sich selbst treu zu sein?

Hurter … wenn man denn wüsste, wer man ist, dem man treu sein möchte.

Peschke In der Vorbereitung zu unserer Jahrestagung haben wir uns gefragt, wodurch denn Qualität entsteht. Was sind die innerseelischen Voraussetzungen, dass gut wird, womit wir uns beschäftigen? Da kommt es auf Haltung, Schönheit und Stimmung an. Welche Haltung haben wir auf dem Hof, in der Verarbeitung der Lebensmittel? Gibt es einen Gestaltungswillen, etwas Schönes zu schaffen und so Atmosphäre zu bilden? Das schafft Qualität!

Florin Ja, woran erkenne ich einen guten Demeter-Hof? Das ist erst mal eine atmosphärische Wahrnehmung dessen, wie die verschiedenen Dinge zusammenspielen, sodass aus Pflanze, Tier und Mensch und Landschaft und Wetter ein Ganzes wird. Da sind die Arbeitsstufen nicht getrennt voneinander, sondern bilden etwas Gemeinsames, eine innere Logik. Die Arbeitsfelder sind getrennt, aber es ist doch ein Ganzes.

An unserer Jahrestagung spricht der Landwirt und Bäcker Oliver Clisson über Qualität. Er baut Getreide an und hat eine schonende Art des Mahlens und Backens entwickelt. Jeder Schritt ist da überlegt, damit es keinen inneren Bruch gibt. Es reicht eben nicht, sich um den Boden zu kümmern, die Verarbeitung des Getreides ist genauso wichtig. Es geht darum, den ganzen Weg zu begleiten. Deshalb freut es mich, wenn auf den Höfen dann das Mehl auch gemahlen und sogar zu Brot gebacken wird. Das gibt eine ganzheitliche Stimmung, wenn man nicht nur Rohmaterialien herstellt und dann verkauft, sondern bis zum Lebensmittel tätig ist.

Auf welche Fähigkeiten kommt es dabei an?

Hurter Ja, das ist so verschieden, wie die Menschen verschieden sind. Es gibt sanguinische Bäuerinnen und cholerische oder melancholische Bauern und jeder muss seinen Weg finden. Es hat natürlich auch mit den Kulturen und Tierarten zu tun, die man auf dem Hof hat. Als Phlegmatiker wird man keine Ziegen halten, das wird schwierig. Es ist eine Charakteristik des Biodynamischen, dass sich zwischen den Bewirtschaftenden und ihrem Hof ein sehr enges Band knüpft. Ich glaube, es ist stärker, als bei anderen Höfen. Das liegt an der atmosphärischen Sensibilität. Die Atmosphäre entsteht nicht nur, weil man materiell arbeitet, sondern auch aus dieser Sensibilität. Da möchte ich eine Sache noch deutlich sagen: Es gibt die Ansicht, dass man, wenn man vom landwirtschaftlichen Organismus spricht, betont, dass die Menschen, die da arbeiten, auch dazugehören würden. Da sollte man sehr vorsichtig sein. Weil die Anbindung der Menschen an den Boden nicht mehr zeitgemäß ist. Wir haben uns nach schrecklichen Verirrungen im 20. Jahrhundert aus dieser Bindung gelöst. Wenn es hier um eine Bindung geht, dann um jene des Hofs zum Bauern, zur Bäuerin und nicht des Bauers oder der Bäuerin zum Hof, zu Boden. Die Freiheit des arbeitenden Landwirts, der Landwirtin ist primär. In diese Freiheitssphäre kann der Boden hereinkommen, aber wir Menschen dürfen nicht mehr in die Bindungssphäre des Bodens geraten.

Peschke Ueli Hurter hat in meinem Buch ‹Vom Acker auf den Teller› schön beschrieben, wie er seine Flächen bearbeitet hat. Als Bauer kennt Ueli die Böden so gut, dass er, wenn es geregnet hat, weiß, auf welchen Acker er noch drauffahren kann und auf welchen nicht. Es gibt keine Massnahme, die für alles gleich gut ist. Ich glaube, das macht den Hof und die Beziehung von uns Menschen mit dem Hof einzigartig.

Florin In einem kürzlich erschienenen Buch über den biologisch-dynamischen Weinbau werden Winzer und Winzerinnen zu dieser Wirtschaftsweise und ihrem Wunsch, sich für diese Art des Anbaus zu engagieren, befragt. Es geht also darum, sich fortwährend die Frage zu stellen, wie man sich für die Tiere und die Landschaft so öffnet, dass sie uns erzählen, wie sie gehalten werden, wie sie gepflegt werden wollen. Sie beschreiben, dass man hier weniger Rezepte und Methoden anwendet als vielmehr sich auf Wesen einlässt, um mit ihnen einen Weg zu gehen. Ein Winzer fasst es in die Worte: «Ich beginne mit den Pflanzen zu sprechen.»

Echte Walnuss: Die grünen unreifen Nüsse riechen aromatisch würzig und können zur Delikatesse der sogenannten ‹schwarzen Nüsse› verwandelt werden. Aus der Recherche zur Reihe ‹KlosterFarbenDinner› von Nina Gautier

Hier geht die Qualitätsfrage über den biologischen Landbau hinaus?

Hurter Natürlich, das zeigt sich auf vielen Feldern. Wie Jasmin sagte: Die Qualitätsfrage der Ernährung gehört konstitutiv zu uns dazu. Und das war bei der Genese des biologischen Landbaus anders. Da lagen die Wurzeln eher im Naturschutz. In der Schweiz, in Österreich, Italien und England war mehr, würde ich fast sagen, die ökologische Wahrheit, die Achtung vor der Schöpfung konstitutiv. Die Pioniere des Biolandbaus waren oft in einem guten Sinne religiös. Die Schöpfung zu verletzen, das ist einfach Häresie. Beim biologisch-dynamischen Landbau ist die Frage nach der Qualität von Anfang an dabei.

Natürlich geht es bei der Ernährung auch um Genuss – es soll schmecken. Aber schlussendlich ist es wichtig, dass die Ernährung uns darin unterstützt, damit wir das, was wir erkennen, auch wirklich ergreifen und umsetzen. Das ist die heutige Aufgabe, das erfüllt uns und stiftet Sinn. Das ist unsere Zeitgenossenschaft, weil wir in die Freiheit entlassen wurden, nicht mehr geführt werden von einer moralischen Instanz. Ja, Rudolf Steiner ist konsequent mit diesem Freiheitsblick auf den Menschen. Und jetzt fragt ihn einer seiner Mitarbeiter, und er schreibt natürlich eine für ihn spezifische Antwort, aber die ist bei uns eingeflossen: Wieso machen wir denn nicht, was wir erkennen? Und dann deutete er darauf hin, dass uns etwas fehlt, um diese Kraft zu haben, diese Zivilcourage zu haben, obwohl es unbequem ist. Er sagt, weil wir nicht die richtigen Substanzen in uns tragen. Das ist seine Antwort.

Das hat sich in deiner Forschung zur Ernährung bestätigt?

Peschke Ja. Qualität misst sich im Lebendigen am Maß der Begegnung. Was liefert mir, so lohnt es sich zu fragen, das Lebensmittel an Begegnungsqualität? Begegnung ist ja dann interessant, wenn es auch mal reibt, wenn wir auch angeregt werden von den Sinnen, auch in der Verdauung. Das können Lebensmittel sein, die einen eigenen Charakter ausgebildet haben, die eine Balance zwischen Wachstum und Reife und Differenzierung ausgebildet haben. Sie sind nicht durch Stickstoff getrieben worden, sondern konnten die Reifequalität hervorbringen und in dem Umfeld gedeihen, wo sie auch Vitalität und Widerstandsfähigkeit entwickeln. Wenn ich solche Lebensmittel esse, dann habe ich ein entsprechendes Erlebnis, mir begegnet Vielfalt. Heute wissen wir, dass eine vielfältige Ernährung sich für das Mikrobiom im Darm positiv auswirkt und das wiederum unsere Immunität stärkt.

Spätestens dann ist so eine Qualität nicht teurer, sondern unter Umständen günstiger.

Peschke Man muss nur die Gesundheitskosten, die Reparaturkosten, alle diese Kosten hereinrechnen, die im konventionellen Landbau durch Nitrat und Pestizide im Trinkwasser und vieles andere entstehen.

Wo findet sich die spirituelle Dimension der Qualität?

Florin Wenn wir in die Vergangenheit gehen, sehen wir, welch hohen Stellenwert gemeinsame Mahlzeiten hatten. Heute hat sich die Ernährung zweigeteilt: Hin und wieder kauft man sich etwas Außergewöhnliches zum Essen, und sonst im Alltag isst man allein aus dem Grund, keinen Hunger mehr zu haben. Da steht nicht Begegnungsqualität im Vordergrund. Es gehört aber zur Qualität des Geistigen, dass wir uns zu der Wahrnehmungsfähigkeit entwickeln müssen, dass wir uns selbst entwickeln müssen. Ja, das heißt, ich muss mich auf die Sache einlassen, so wie es bei einer Verkostung geschieht. Was sagen die Menschen da, die nun höher sensibilisiert sind, aber jetzt nicht wissen, ob sie biologisch-dynamische oder konventionelle Produkte probieren? Die konventionellen Produkte schmecken einwandfrei. Man nimmt kein Problem wahr. Aber es ist langweilig, charakterlos. Da geschieht keine Begegnung, und weil es keine Begegnung gibt, gibt es kein Gefühl. Ja, ich habe keine Emotionen. Bei den biologisch-dynamischen Produkten beschreiben dann die Menschen, dass sie eine Begegnung spüren, ein Erlebnis, da berührt mich etwas. Diese Erfahrung ernährt mich! Diese Erfahrung ist wichtiger Bestandteil der Qualität. Was da so scheinbar flüchtig geschieht, hat Gewicht, denn es ist die Begegnung mit einem Wesen.

Wilde Möhre: Die Samen schmecken nach Kümmel und können roh zum verfeinern von Speisen dienen. Aus der Recherche zur Reihe ‹KlosterFarbenDinner› von Nina Gautier

Die geistigste Begegnung habe ich zum anderen Menschen und die materiellste beim Essen. Welche Beziehung gibt es da?

Florin Wenn wir Kurse geben, gibt es den spannenden Moment beim gemeinsamen Mittagessen. Jeder bringt etwas mit von seinem Hof. Das ist dann ein Fest, denn jeder interessiert sich für das, was die Kolleginnen und Kollegen so auf den Tisch bringen. Dein Brot, dein Gemüse, dein Käse! Man isst, um zu essen, nicht allein, um Kraft zu finden, um satt zu sein. Man ist mit allen Sinnen dabei. Durch die Erfahrungen und Erlebnisse im Stofflichen können wir dann besser die Brücke zum anderen Menschen schlagen. Oder mit anderen Worten: Aus unserer entfremdenden Lage zur Welt heute ist eine substanziellere Begegnung und Erfahrung beim Essen oft der erste Schritt zu einer neuen Begegnungsfähigkeit. Dafür muss die Ernährung aber auch etwas bieten. Sie muss diese Wesensbegegnung erlauben.

Hurter Wir sind heute beim Essen natürlich – und das mit Recht – anspruchsvoll geworden. Wie langweilig und eintönig waren früher die Diäten! Dreimal am Tag das gleiche, salzfreie Essen. Wir brauchen heute viel Abwechslung und eine Palette von Geschmacksrichtungen. Wir brauchen Reliefbildungen im Sauren, Süßen und Salzigen. Das gab es früher nicht. Und dann gibt es diese einfache Wahrheit, dass all das, was ich esse, mein Bruder, meine Schwester nicht essen kann. Essen ist ein egoistischer Akt. Darum rührt uns so ein Satz: «Food is for sharing.» Essen ist zum Teilen. Das ist jetzt nicht die degustative Qualität, sondern die soziale. Ich könnte es essen, aber ich teile es dann. Dabei geht es nicht um Barmherzigkeit. Eine typische Situation in der Familie ist, dass vielleicht von dem einen oder anderen nicht so viel da ist: Wir sitzen am Tisch und alle haben Hunger. Bekommt nun der Älteste mehr oder alle gleich viel? So ist es am Tisch und so ist es in der Welt. Bekommen die Reichen mehr, oder diejenigen, die arbeiten? Wie ist es? Die Gerechtigkeitsfrage hängt unmittelbar mit dem Essen zusammen.

Wo seht ihr den Entwicklungsbedarf in der Qualitätsfrage bei Demeter?

Hurter Ja, ich würde ihn weniger auf dem Feld oder im Stall suchen, sondern eher bei den nachgelagerten Schritten. Statt von ‹Wertschöpfung› zu sprechen, sprechen wir lieber von ‹Qualitätsbildung›. Da können wir bei falscher Verarbeitung Qualität, die wir bei der Anzucht und beim Ernten gewonnen haben, wieder verlieren. Demeter steht für biologisch-dynamischen Anbau und eine schonende und entwickelnde Verarbeitung. Darauf wollen wir an der Tagung auch den Fokus richten. Da liegt noch viel Potenzial.

Das führt zum Gedanken, dass Stoffe auch eine Biografie haben?

Hurter Der Kern unseres Qualitätsbegriffes ist, dass es auf die Genese, auf die Biografie ankommt, jene eines Apfels, aber auch jene des Baums und des Hofs, auf dem er steht. Wir sprechen nicht von einer analytischen Qualität, sondern vom Bogen eines Prozesses, den ich schlussendlich essen kann. Es ist ein Qualitätsbegriff, der weit in die Peripherie greift und dann in den Apfel, das Brot, den Käse sich kondensiert. Die Inhaltsstoffe zu messen, bedeutet dann, diese Qualität nachzuprüfen.

Der Nutriscore ist dann nur ein Schattenwurf?

Hurter Ein schattiger Schattenwurf.

Florin In der Verarbeitung, gerade wenn es effizient sein soll, nimmt man die Maschinen, die man auf dem Markt findet. Wenn wir Nahrungsmittel biografisch entwickeln möchten, im ursprünglichen Sinne des Wortes ‹veredeln› möchten, ein Stück weiterbringen möchten, dann gibt es da noch viel zu tun. Käse aus Rohmilch ist ein Beispiel. Es gibt viele Studien, die zeigen, was wir bei der pasteurisierten Milch schon an Qualität verloren haben. Manches, was wir so auf dem Weg der Herstellung verlieren, lässt sich analytisch kaum messen, wohl aber schmecken. Das gilt zum Beispiel für das Mahlen des Getreides. Die bildschaffenden Methoden bringen hier auch Licht hinein.

Heute haben wir durch den Klimawandel, durch zu trockene oder zu feuchte Jahre, oft beispielsweise weniger gute Weinsorten. Mit den Präparaten können die Winzer nun diese Ausschläge des Klimas ausgleichen. Da arbeiten Winzer sehr fein damit. Ist ein Jahr zu feucht, dann spritzen sie wenig Hornmist, aber mehr Hornkiesel. Die Äpfel dieses Jahres sind ja nicht so gut gereift und auch nicht besonders haltbar, weil es zu feucht war. Mit den Präparaten konnten die Obstanbauer hier ausgleichend wirken. Da können wir noch viel entwickeln.

Peschke Dazu gehört, dass wir verstehen, dass ein Lebensmittel mehr ist als eine Ansammlung von Nährstoffen. Beim Apfel hören wir gerne, dass er beim Bauern um die Ecke gereift ist, schielen dann aber doch auf die Zahlen zu Vitaminen und sekundären Pflanzeninhaltsstoffen. Aus diesen Nährstoffen kann ich keinen Apfel machen. Wir sollten weiterdenken. Oder schauen wir auf die medizinische Ebene. Zivilisationserkrankungen wie ADHS oder Autismus, Autoimmunerkrankungen oder Allergien hängen mit unserer Ernährung zusammen. Bei ADHS gibt es Studien, die zeigen, dass Zusatzstoffe in der industriellen Nahrungsverarbeitung diese Erkrankung befördern. Da gibt es noch viel zu verstehen, auch im Zusammenhang mit dem Darmmikrobiom.

Ueli hat die soziale Qualität angesprochen: Es kann einem nicht gut gehen, wenn es dem oder der Nächsten schlecht geht. Hunger und Fettleibigkeit heute, das ist das schreckliche Bild dieser Tatsache. Qualität ist dann etwas, das sich nur ganzheitlich denken lässt und von der WHO mit dem Begriff ‹one health›, eine Gesundheit, gefasst wird. Je mehr wir in Beziehung denken, desto eher wird es gut.

Florin Das bedeutet, nicht funktional zu denken. Wir essen, um zu essen, nicht allein, um satt zu sein. Wir leben, um zu leben, nicht, um etwas zu erreichen, um zu arbeiten. Leben ist Begegnung und Essen ist Begegnung.


Veranstaltung

KlosterFarbenDinner

Die vierteilige Serie der Designerin und ehemaligen Gestalterin der Wochenschrift Nina Gautier, in Zusammenarbeit mit dem Kloster Dornach, lädt Sie zu einem speziellen Erlebnis ein. Die Gastgeber stellen zu jeder Jahreszeit eine Pflanze in den Mittelpunkt, welche Farbe, Kunst und Kulinarik zum wildedlen Gesamtbouquet verschmelzen lässt.

Mehr: Nina Gautier

Nächstes Dinner Der Löwenzahn, Do, 7. April 2022, 18 Uhr, Klostergarten & Refektorium (Reservationen unter: info@klosterdornach.ch, 061 705 10 80)

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