Welche Quellen hatte Rudolf Steiner für den Landwirtschaft­lichen Kurs?

Ist der Landwirtschaftliche Kurs für Tausende Landwirte und Gärtnerinnen, Erzeuger und Züchterinnen eine Quelle, so fragt hier zu dessen hundertjährigem Bestehen Ueli Hurter nach den Quellen dieser Quelle. Aus welchen Quellen hat Rudolf Steiner geschöpft? Sie liegen vor den Füßen, im Boden und entspringen dem Kosmos – sie stammen aus antikem Verstehen und sind jetzt errungen, gehören zum Wissen seiner Zeit und sind dem Geheimnis des Lebens abgerungen.


Ueli Hurter

Rudolf Steiner war kein Landwirt. Trotzdem hat er den Landwirtschaftlichen Kurs gehalten, und von den acht Vorträgen im Juni 1924 ist eine tiefe und breite Erneuerungskraft für die Landwirtschaft ausgegangen. Wie konnte er so sprechen, dass es für Landwirte, Gärtnerinnen, Landschaftsgestalter und Pflanzenzüchterinnen fruchtbar war und noch immer ist? Woher hatte er dieses Wissen? Was waren seine Quellen? Dabei geht es mir auch darum, Unsicherheiten und veraltetes Wissen zu klären.

So erschien zum Beispiel im ‹Goetheanum› 33–34 vom 18.8.2023 ein Artikel von Wolfgang Held, in dem stand, dass schätzungsweise 70 Prozent des Landwirtschaftlichen Kurses von anderen Autoren und Autorinnen übernommen worden seien. Gleichzeitig versuche ich den Fragehorizont zu erweitern und frage, wie viel von dem geisteswissenschaftlichen Wissen im Kurs übernommen worden ist, in dem Sinne, dass es altes Menschheitswissen ist, und wie viel genuin von Steiner ist. Was auf jeden Fall gilt: Selbst wenn im Landwirtschaftlichen Kurs von Rudolf Steiner Fakten aus der Naturwissenschaft, agronomisches Wissen der Zeit, Menschheitsweisheit aus den Mysterien und anderes enthalten sind, so ist doch der ganze Kurs eine genuine Schöpfung.

Wandtafelzeichnung von Rudolf Steiner zum Landwirtschaftlichen Kurs am 10.6.1924. © Rudolf Steiner Archiv

Biografische Quellen

Steiner war Wissenschaftler, Literat, Philosoph und Theosoph – wie konnte er da der Landwirtschaft begegnen? Aufgrund der damaligen Lebensverhältnisse war es ihm gar nicht möglich, ihr nicht zu begegnen, denn um 1900 war in Mitteleuropa 50 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Rudolf Steiner wuchs auf dem Lande auf, zwar auf den Bahnhöfen, wo sein Vater arbeitete, aber neben den Gleisen weidete das Vieh. «Ich bin herausgewachsen so recht aus dem Bauerntum. Ich bin der Gesinnung nach immer dringeblieben. Ich habe – es ist dies in meinem Lebensgang angedeutet –, wenn auch nicht auf so großen Gütern wie hier, aber in kleinem Bereiche Kartoffeln gepflanzt, habe wenn auch nicht gerade Pferde aufgezogen, so doch Schweine oder wenigstens mitgetan dabei, auch teilgenommen in unmittelbarer Nachbarschaft an der Kuhwirtschaft.» (GA 327, S. 235) Als Student an der Technischen Hochschule in Wien belegte er viele naturwissenschaftliche Fächer und eignete sich ein breites Wissen in Naturkunde an, und er hat sich sein Leben lang bezüglich der schnell fortschreitenden Forschung up to date gehalten. Dann brachte er ‹Goethes naturwissenschaftliche Schriften› heraus und erlernte dabei einen zweiten Blick auf die Natur, einen wesensgemäßen Blick. Während seiner Zeit als Hauslehrer bei der Familie Specht hatte er Einblick in die Kontobücher der Textilhandelsfirma des Hausherrn und lernte viel über den weltweiten Handelsverkehr mit Kolonialgütern wie Baumwolle. Er war bekannt und befreundet mit dem Kräutersammler Felix Koguzki, der über tiefes Naturwissen verfügte. Ein weiterer Freund, den er in Siebenbürgen besucht hatte, brachte ein agronomisches Journal heraus (Rudolf Steiner, Mein Lebensgang, GA 28, S. 187). Unter den Theosophen gab es Gutsbesitzer, die er auf ihren Anwesen besuchte und mit denen er Landwirtschaftliches besprach. Zum ‹Kommenden Tag›, einer assoziativen Wirtschaftsgemeinschaft, gehörten auch landwirtschaftliche Betriebe. In dieser Gemeinschaft wurde Anfang der 1920er-Jahre das Coffea-Präparat entwickelt, zusammen mit dem Tierarzt Joseph Werr und anderen. Da waren Stallbesuche an der Tagesordnung. Ergänzend muss noch das profunde medizinische und pharmazeutische Wissen Steiners erwähnt werden, das er seit 1920 in der Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten in der Praxis erprobte. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in dem universellen Horizont, den Rudolf Steiner sich zeitlebens erarbeitet hat, auch die Landwirtschaft ihren Platz hatte.

Notizzettel NZ 3600 zum Landwirtschaflichen Kurs von Rudolf Steiner. © Rudolf Steiner Archiv

Studium der Fachliteratur

An der Weihnachtstagung 1923/24 wurde der lange erbetene Landwirtschaftliche Kurs von Rudolf Steiner für Pfingsten 1924 zugesagt. Steiner unterzog sich dem nächtlichen Studium landwirtschaftlicher Fachliteratur. Was er gelesen hat und wie er dabei vorgegangen ist, ist in seinen Notizbüchern gut dokumentiert. In Steiners Bibliothek finden sich 23 Werke zum Thema Landwirtschaft. Hans Vereijken hat 2009 in der Studie ‹Analyse der Notizzettel von Rudolf Steiner zum Landwirtschaftlichen Kurs› für viele Stellen in Steiners Notizen zeigen können, auf welche Fachbücher sich diese beziehen, das ist im Faksimile angegeben. Im Wesentlichen hat er in vier Fachbüchern1 studiert.

Die Unsicherheit, wie viel von Steiners Inhalt und Vokabular im Kurs von anderen übernommen worden ist, bezieht sich vor allem auf sein Studium der Fachliteratur. Er tat das, was wissenschaftliche Gepflogenheit ist: Bevor man einen Beitrag gibt, studiert man alle Publikationen, die zum gewählten Thema erarbeitet worden sind. Es gibt Notizzettel von Steiner, die nur Stichwörter und Auszüge der Fachbücher enthalten. Plötzlich erscheint ein Hashtag-Zeichen und darauf folgen seine Erkenntnisse. An diesen Stellen sieht man, was von anderen stammt und was von ihm ist.

Ein Beispiel: Steiner studiert Albert Studlers ‹Schweizerisches Landwirtschaftliches Lexikon› und notiert sich die Unterscheidung in Lehm-, Ton-, Mergel-, Kalk- und Humusboden. Dann macht er das Hashtag-Zeichen und schreibt «Kies, Ton, Kalk, Humus» und dazu zeichnet er einen Strich mit dem astronomischen Zeichen für die Sonne. Über dem Strich malt er die Zeichen für Venus, Merkur, Mond und unter dem Strich die Zeichen für Saturn, Jupiter, Mars. Die Ausführungen dazu finden sich dann im zweiten Vortrag des Kurses, wo Kiesel, Ton, Kalk und später Humus in ihrer Funktionalität im Boden beschrieben werden mit dem Gesichtspunkt, dass die untersonnigen Planeten über dem Boden und die obersonnigen Planeten unter dem Boden wirken. Wir sehen an diesem Beispiel, wie Steiner das vorgefundene Fachwissen um die kosmische Dimension erweitert. Stammt nun die Bodenkunde im Landwirtschaftlichen Kurs von anderen oder ist es eine Eigenleistung von Steiner?

Zur Frage des Vokabulars: Steiner spricht im Kurs vom «landwirtschaftlichen Organismus» und von der «landwirtschaftlichen Individualität», um die Landwirtschaft als Ganzes zu bezeichnen. Der Begriff ‹Organismus› als Bezeichnung der Landwirtschaft als Ganzes war in der damaligen Zeit gebräuchlich. Wir wissen, dass Richard Krzymowski von 1922 bis 1936 an der Breslauer Universität landwirtschaftliche Betriebslehre unterrichtete und den landwirtschaftlichen Betrieb als Organismus bezeichnete. Bei ihm studierten die jungen Teilnehmenden des Kurses. Wenn Rudolf Steiner im achten Vortrag sagt: «Es ist wirklich solch eine Landwirtschaft ein Organismus», holte er die Zuhörenden dort ab, wo sie mit ihrem Wissen anschließen konnten. Um dann fortzufahren: «dadurch ist eine Landwirtschaft eine Art Individualität». Der Begriff der landwirtschaftlichen Individualität stammt sicherlich von Steiner. Er meint damit mehr als einen Organismus im Sinne eines Zusammenwirkens verschiedener Betriebszweige, er gibt dem Betrieb eine ins Geistige und Kosmische erweiterte Dimension.

Am deutlichsten wird diese Art, gängiges Wissen ins Lebendige und Geistig-Wesenhafte zu erweitern, bei der Stoffeskunde im dritten Vortrag. Steiner geht von den chemischen Stoffen aus, die das Eiweiß bilden, C, N, O, H, S, und beschreibt sie in ihrer Wirksamkeit, ihrer Tätigkeit und ihrem Wesen. Dies tut er in einer Weise, die es möglich macht, bei der Gestaltung und Führung eines landwirtschaftlichen Betriebes praktisch-schöpferisch damit zu arbeiten.

Die friedensstiftende Mission

Im Hinblick auf die kommenden 100 Jahre steht die biodynamische Bewegung vor der Aufgabe, der Katalysator zu sein und zu werden, damit in einem erneuten Anlauf die Dreigliederung des sozialen Organismus dem vom Zerfall bedrohten Sozialgefüge der heutigen Zivilisation eine gestaltbare und zugleich wandlungsfähige Form gibt. Wenn das, neben der Arbeit an der Natur, als notwendiges Äquivalent allgemeine Zielsetzung wird, sehe ich einen Weg, wie die Landwirtschaft, in der heutzutage die Arbeitslast im Überschuss auf wenigen Schultern ruht, wieder von vielen getragen wird und die gemeinsame geistige Arbeit auf den Höfen zu erneuerter Begeisterung und Willensbefeuerung anregen kann. In dieser Synthese, evolutiv im Naturzusammenhang und sich gegenseitig stützend im sozialen Leben zu wirken, sehe ich den fortschreitenden Vollzug der friedensstiftenden Mission der biodynamischen Bewegung.

Manfred Klett

Bild: Wandtafelzeichnung von Rudolf Steiner zum Landwirtschaftlichen Kurs am 16.6.1924. © Rudolf Steiner Archiv

Geisteswissenschaftliche Quellen

Insbesondere die geistige Forschertätigkeit von Rudolf Steiner ist in den Landwirtschaftlichen Kurs eingeflossen. In vielen Vorträgen kann man Stellen finden, die wie eine Quelle erscheinen für das, was wir als dem Landwirtschaftlichen Kurs eigen verstanden haben. Es stimmt auch, dass es dem Landwirtschaftlichen Kurs ganz eigen ist, aber mehr in der Art, wie es als praktische Anleitung erscheint, wie es in diesen ‹praktischen Begriffsbildern› ausgedrückt wird, als dem tieferen Inhalt nach. Diesen findet man öfters auch anderswo in Steiners Werk. Als eindrückliches Beispiel dafür gilt eine Reihe von Vortragszyklen aus dem Herbst und dem Vorwinter 1923. Diese Vorträge führen zur Weihnachtstagung, an der ein Jahr nach dem Brand des Ersten Goetheanum die Anthroposophische Gesellschaft so neu begründet werden sollte, dass sie den sozialen Boden bilden kann für einen zweiten Goetheanumbau und für die Einrichtung der Hochschule mit den Sektionen. Ein halbes Jahr später, an Pfingsten 1924, wird dann im Rahmen der neu begründeten Anthroposophischen Gesellschaft der neu begründete Landwirtschaftliche Kurs von Carl Graf von Keyserlingk organisiert und von Rudolf Steiner gehalten. Gleichzeitig findet an den Abenden in der nahe gelegenen Stadt Breslau eine große anthroposophische Tagung statt, mit unter anderem neun Karmavorträgen. Viele der am Landwirtschaftlichen Kurs Teilnehmenden haben am Abend die Karmavorträge in Breslau besucht, und die Kraft, die der biodynamische Impuls aus diesen Anfängen hat, darf auch in dem Gesamterlebnis – das Schicksal von Erde, Mensch und Kosmos – gesehen werden.

Im Herbst 1923 hält Rudolf Steiner vom 5. bis 13. Oktober die Vorträge ‹Das Miterleben des Jahreslaufes in vier kosmischen Imaginationen› (GA 229). In gewaltigen Bildern schildert er, wie Stoffe und Kräfte, wie Naturwesen und Erzengel in jeder Jahreszeit in anderer Konstellation zusammenwirken. Der Kalk wird im Frühjahr lebendig-begierdenhaft, im Sommer bildet sich Sonnengold, das dann im Winter in den Erdentiefen belebend wirkt. Das Eisen bändigt den sulfurischen Drachen in der Michaelizeit und die Erde wird zum eigenständigen Tropfen im Kosmos, um Neues zu gebären in der Weihnachts- und Winterzeit. Man kann spüren, wie die Angaben im Landwirtschaftlichen Kurs zu den ganz spezifischen Qualitäten von bestimmten Zeiten im Jahreslauf wie Einsprengsel sind aus dieser Welt der Jahreszeitenimaginationen. Im fünften Vortrag über die Jahreszeitenimaginationen beschreibt er dann, wie die vier Erzengel Gabriel, Raffael, Uriel und Michael im Jahreslauf zusammenwirken und wie dem Vierschritt in der Natur von Keimen, Wachsen, Blühen und Reifen im Menschen die Stufen Nähren, Heilen, Denken und Wollen entsprechen.

Vom 19. Oktober bis zum 11. November folgt der ‹Kuhzyklus›, wie er manchmal genannt wird. Der richtige Titel ist ‹Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes› (GA 230). Stier, Löwe und Adler werden in ihrer Repräsentanz für Stoffwechseltiere, Brusttiere oder Kopftiere geschildert. Der Mensch ist die Zusammenfassung dieser Dreiheit und muss die Einseitigkeiten ausgleichen. Die Begriffe von geistiger und irdischer Substanz, die im achten Vortrag des Landwirtschaftlichen Kurses wiederkommen, werden hier eingeführt. Die Insekten und Vögel, die wir im siebten Vortrag des Landwirtschaftlichen Kurses wiederfinden, werden in ihrer evolutiven Genese geschildert. Dann wird ausführlich über das Wirken der Elementargeister in den Naturprozessen gesprochen. Alles über die Elementargeister, was im Landwirtschaftlichen Kurs nicht enthalten ist, wird hier ausführlich geschildert. Schließlich geht es um die Verbindung von Natur und Mensch über die Nahrung.

Vom 26. November bis zum 22. Dezember fanden für die Arbeitenden am Goetheanum die Bienenvorträge (GA 351) statt, die Steiner ausgehend von Fragen jeweils nach der Kaffeepause am Morgen aus dem Stegreif hielt. Auf diesen Vorträgen basiert die Arbeit der anthroposophisch inspirierten Imkerei. Es ist erstaunlich, über welches Detailwissen über die Biologie der Bienen und die Praxis der Imkerei Rudolf Steiner verfügte, sodass diese Vorträge zu einem hochkarätigen, professionellen Kurs wurden. Dabei flechtet Steiner anscheinend mühelos die hohe geistige Wesenheit der Bienen in die Ausführungen ein. Mit dem Bienensterben ist dieser Seitenzweig der landwirtschaftlichen Tätigkeit phasenweise in den Mittelpunkt gerückt. So fand die Landwirtschaftliche Tagung 2014 zum Thema ‹Die Bienen als Schöpferinnen von Beziehungen› statt.

Vom 23. November bis zum 22. Dezember hielt Rudolf Steiner vierzehn Vorträge, die unter dem Titel ‹Mysteriengestaltungen› zusammengefasst sind (GA 232). Er schildert, wie in den Orten, die er Mysterienstätten nennt, in früheren Zeiten die Schüler und Schülerinnen unterrichtet wurden. Einige dieser Schulen waren auf der Ebene der Grundschule im Rahmen von jahreszeitlichen Festgestaltungen für viele Menschen offen. So war es zum Beispiel in Eleusis, wo Demeter verehrt wurde. Für die höheren Grade der Schulung aber waren diese Mysterienstätten geheim und nur für auserwählte Personen zugänglich. Die Schulung entsprach einer stufenweisen Initiation. Steiner schildert die Einweihungsschulung von Ephesos, Hybernia, Eleusis, Samothrake und dann noch die Situation im Mittelalter bis und mit den Rosenkreuzern. So verschieden diese Orte und das dort gelehrte Wissen waren, so gab es doch Gemeinsames. Es ging überall um die Rätselfrage: Wie ist das Verhältnis von Natur und Mensch? Wie entsprechen sich makrokosmische Prozesse und Substanzen und mikrokosmische Prozesse und Substanzen im Menschen? Wie hängen Mensch und Welt evolutiv zusammen? Wo sind Verständnisbrücken vom Menschen zur Welt und von der Welt zum Menschen? Steiner schildert nun, was und wie gelehrt wurde. Und damit wird dieser Vortragszyklus zu einer groß angelegten kosmischen Natur- und Menschenkunde. Viele dieser großen kosmischen Imaginationen finden sich dann im Landwirtschaftlichen Kurs wieder in Form von praktischen Tipps, von scheinbar nebensächlichen Hinweisen.

Ruinen des Tempels der Artemis in Ephesos, 2017, CC BY-SA 4.0 DEED

Ephesos und weiter

Der Vortrag vom 2. Dezember 1923 schildert die Mysterien von Ephesos. An diesem Ort an der kleinasiatischen Küste (heutige Türkei) stand das Artemision, ein sehr großer Tempel für die Göttin Artemis. Der Tempel galt als eines der sieben Weltwunder. Die Einweihung, die dort vollzogen wurde, ging über die Sprache: Wie lebt das Weltenwort in dem Menschenwort? Über einige Jahrhunderte bestand die Schule, bis der Tempel 356 v. Chr. durch Brandstiftung zerstört wurde. In der Nacht des Brandes wurde Alexander der Große geboren. Er trug später vieles von dem Mysterienwissen, das ihm durch seinen Lehrer Aristoteles in philosophischer Form vermittelt worden war, durch seine Heerzüge in die Welt. Viel später, um das Jahr 100 n. Chr., war auch der Evangelist Johannes als alter Greis in Ephesos. Der Anfang des Johannesevangeliums – «Im Urbeginne war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und ein Gott war das Wort.» – ist wie eine Wiederaufnahme der antiken Wort-, Sprach- oder Logos-Lehre des Artemision. Steiner schildert in dem Vortrag: «Dieses Weltgeschehen, als was enthüllt es sich, als was offenbart es sich denn? Es offenbart sich als das Wort der Welt, als der Logos. Es erklingt der Logos, das Weltenwort in dem aufsteigenden und abwogenden Kalkigen.» (Mysteriengestaltungen, GA 232, sechster Vortrag, S. 86) Dieses Kalkige holt die aus dem Kosmos eingeprägten Formen in der Eiweißatmosphäre auf die Erde: Die Tierformen entstehen. Die Kalkskelette ermöglichen die Vielfalt des Tierreiches. Studiert man die Skelettformen, kann man sich den Blick aneignen, wie von vorn die Gestaltkraft der Sonne wirkt und von hinten diejenige des Mondes. Genau diese Aussage kommt im Landwirtschaftlichen Kurs wieder mit dem Hinweis, dass man durch ein solches Formenstudium herausfinden kann, von welchen Tieren man in einer Landwirtschaft wie viele braucht.

Im Vortrag kommen auch noch die Pflanzen ins Spiel, die über das Kieselige den Weg auf die Erde finden. «Das Wort war zunächst Ton. Das Wort war zunächst dasjenige, was nach Enträtselung rang. Im Tier-Entstehen offenbarte sich etwas, was nach Enträtselung rang. Wie eine Frage entstand das Tierreich innerhalb des Kalkigen. Ins Kieselige sah man hinein: da antwortete das Pflanzenwesen mit demjenigen, was es aufgenommen hat als das Sinneswesen der Erde, und enthüllte die Rätsel, die das Tierreich aufgab. Die Wesen selbst waren es, die sich gegenseitig enträtseln. Und die ganze Welt wird zur Sprache.» Ist es nicht diese gegenseitige Enträtselung in der makrokosmischen Erdwerdung, die wir wiederfinden in dem Landwirtschaftlichen Kurs, wo betont wird, dass die Tiere zu einem landwirtschaftlichen Organismus dazugehören? Ist nicht der Verdauungsvorgang in der Kuh, mit dem Resultat der Bildung von Mist, der dann zum Dünger für die Pflanzen wird, eine solche gegenseitige Enträtselung von Pflanze und Tier? Und ist dieses intime Gespräch zwischen Tier und Pflanze nicht an vielen Stellen im Landwirtschaftlichen Kurs angesprochen? Ich meine, dass wir an diesem Beispiel und an vielen anderen erfahren können, wie der Landwirtschaftliche Kurs ein Ausdruck ist von einem Wissen über den Zusammenhang zwischen Weltenwerden und Menschenwerden, wie es früher in Ephesos und anderen Schulungsorten gepflegt worden ist.

Co-kreative Landwirtschaft

Im Landwirtschaftlichen Kurs findet sich auch genuin Neues. Das sind insbesondere die Präparate. Ich glaube, es sind wirklich neue Erfindungen von Rudolf Steiner. Dabei ist es nicht so, dass sie im Gang des Kurses auffällig als ‹das Neue› herausstechen würden. Sie erscheinen vielmehr wie eine logische Verdichtung des vorher und nachher Gesagten. Sie sind eingebettet in den Verlauf des Kurses, im vierten und fünften der acht Vorträge. Sie sind ein Teil des Kurses und sie werden auch als ein Teil der Biodynamik verstanden und gehandhabt. Aber bis jetzt sehe ich weder in der bekannten Agrarlehre der verschiedenen Kulturen noch in den Inhalten der von Steiner dargestellten Mysterienweisheiten Vorläufer oder Vorbilder dazu.

Das Hornmistpräparat wurde ja am Forschungsinstitut am Goetheanum mit Ehrenfried Pfeiffer und Guenther Wachsmuth schon vor dem Kurs ein erstes Mal hergestellt. Die Misthörner waren im Winter 1923/24 vergraben und im Frühjahr 1924 wurde zum ersten Mal gerührt. Bezüglich dieses Präparats gibt es allenfalls Vorläufer in der altindischen Kultur. Das Hornkieselpräparat mit dem fein zermahlenen Quarzkristall ist schon sehr auf der steinerschen Linie im Sinne von der Verwendung von Mineralien auch bei den Medikamenten. Die Kompostpräparate, die vor dem Kurs in aller Bescheidenheit auf einem einzigen Notizzettel auftauchen,2 sind in der Komposition und auch in der beschriebenen Wirkung schlichtweg so innovativ, dass sie wie Zukunftskeime erscheinen, hereingebildet in die aktuelle Landwirtschaft und sich für die Zukunft öffnend.

Das, was mit den Präparaten handwerklich konkret wird, ist ein Duktus, der auch sonst im Kurs anwesend ist. Diese neue Landwirtschaft hat eine Dimension, wo wir als Tätige Mitschöpfende werden an einer von uns Menschen mitverantworteten Zukunftsentwicklung der Natur, der Erde, des Kosmos. Die biodynamische Landwirtshaft ist eine co-kreative Landwirtschaft.

Die Hochschule heute

Mit der Weihnachtstagung wird auch die Hochschule als ‹die Seele› der Anthroposophischen Gesellschaft neu begründet. Mit der Hochschule will Rudolf Steiner in einer gewissen Weise an das alte Geisteswissen der Mysterienschulen anknüpfen. Zeitgemäß ist eine wissenschaftliche Form des Wissens als Geisteswissenschaft. Diese soll auch im Diskurs stehen mit dem Wissenschaftsbetrieb der Gegenwart. Insbesondere hat sie die Ambition, für das praktische Leben Resultate zu bringen. Der Landwirtschaftliche Kurs ist ein hervorragendes Beispiel dafür. Die Art der Wissensvermittlung ist anders als früher. Man wird nicht berufen, sondern meldet sich selbst zur Mitgliedschaft an. Die Schulung ist nicht mehr an einen ‹heiligen Ort› gebunden und folgt nicht einem vorgegebenen Kanon, sondern kann situativ dem Leben angepasst werden. Das betrifft insbesondere die Schulung über die Fachsektionen, wo der Schulungsweg eng mit der Praxis der Lebensfelder verbunden ist.

Unsere Tagung soll für Teilnehmende und Mitwirkende das ‹Weiterkommen› auf ihrem inneren Weg fördern. Die lernende Gemeinschaft, als die wir die Landwirtschaftlichen Tagungen gestalten, birgt in sich auch die Dimension des Geisteslernens. Wenn wir jetzt das 100-jährige Jubiläum feiern und in die tiefen Imaginationsbilder des Landwirtschaftlichen Kurses einsteigen, kann es uns die Stimmung und die Haltung geben, uns in einem Wissensstrom zu wissen, der die Zeitalter durchfließt. In den Plenarveranstaltungen, in den Arbeitsgruppen und in den vielen Einzelbegegnungen gibt es Gelegenheiten, die tiefen Inspirationsquellen aufleuchten zu lassen, die aus der Vergangenheit und aus der Zukunft in den Kurs hineinverwoben sind.


Eduardo Rincon

Nach einer Zäsur im Jahr 2017 schlugen die Leiter der Sektion für Landwirtschaft, Jean-Michel Florin und Ueli Hurter, vor, ihre Arbeit weitere sieben Jahre fortzusetzen, während Thomas Lüthi in den Ruhestand trat. Ende 2022 begann die Suche nach zwei neuen Leitenden. Dafür hat die Goetheanumleitung eine Berufungskommission von fünf Personen ernannt: zwei Mitglieder des Vertreterkreises der Sektion für Landwirtschaft und der biodynamischen Bewegung: Regina Haller und Alysoun Boulger; drei der Goetheanumleitung: Matthias Rang, Constanza Kaliks und Jean-Michel Florin. Der Prozess erwies sich als schwierig, weil es viele Kriterien für die Auswahl einer Sektionsleitung gibt. Einerseits muss die Person mit der Anthroposophie eng verbunden sein, weil sie gemeinsam mit den anderen Sektionsleitenden das Goetheanum kollegial führen soll. Andererseits sollte sie auch die biodynamische Landwirtschaft und die internationale ‹Szene› gut kennen.

Nach einem langen Suchprozess freuen wir uns nun über die Lösung: Ab Herbst 2024 wird Eduardo Rincon aus Mexiko die Stelle von Jean-Michel Florin in der Sektionsleitung übernehmen. Ueli Hurter, der als Mitglied des Vorstandes der Anthroposophischen Gesellschaft weiterhin am Goetheanum tätig ist, hat sich bereit erklärt, zusammen mit Eduardo Rincon die Sektionsleitung für weitere drei Jahre fortzusetzen. Es ist angedacht, 2027 eine neue Person zu finden, die mit Eduardo Rincon zusammenarbeiten wird. Diese Lösung bestätigte der Vertreterkreis Ende Oktober 2023. Auch die Goetheanumleitung stimmte zu. So freuen wir uns sehr, dass ab September 2024 Ueli Hurter und Eduardo Rincon die Leitung der Sektion übernehmen werden.

Jean-Michel Florin


Ausstellung Wandtafelzeichnungen zum Landwirtschaft­lichen Kurs Rudolf Steiners; 1. Januar bis 18. Februar 2024
Vernissage Fr., 2. Februar, 18 Uhr im Goetheanum, Dornach, Schweiz

Titelbild Wandtafelzeichnung von Rudolf Steiner zum Landwirtschaftlichen Kurs am 16.6.1924. © Rudolf Steiner Archiv

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Footnotes

  1. Zur Vorbereitung auf den Koberwitzer Kurs dienten insbesondere die folgenden vier Werke: Gustav Böhme, Landwirtschaftliche Sünden. Fehler im Betriebe, Berlin 1923; Johann Adam Schlipf, Schlipfs praktisches Handbuch der Landwirtschaft, Berlin 1922; Albert Studler, Schweizerisches Landwirtschaftliches Lexikon, Zürich 1919; Theodor Wölfer, Grundsätze und Ziele der neuzeitlichen Landwirtschaft, Berlin 1921. Sowohl das Buch von Böhme als auch das von Schlipf gab Wölfer seinerzeit neu heraus.
  2. Notizzettel NZ 3623, Landwirtschaftlicher Kurs, GA 327, 9. Auflage, Basel 2022, S. 323.

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