Unsere Wunde

«Solange man nicht seinen eigenen Anteil an der Wunde sieht, kann sie ihre Heilungskraft nicht entfalten», sagte Joachim Eckl neulich zu mir in einem Gespräch über den wieder entflammten Nahostkonflikt. Es ist eine gemeinsame Wunde, die sich Palästina und Israel zufügen, an der auch wir – durch die Verurteilung von Menschen anstatt ihrer Taten – beteiligt sind. In ihrer Verwundung und ihrem Schmerz sind die beiden Völker geeint. Die Erkenntnis der Gemeinsamkeit der Wunde kann ein Umdenken ermöglichen. Solange wir uns noch zuschieben wollen, wessen Wunde durch wessen Schuld als größer zu verstehen sei, und damit Gewalt, Rache, Vergeltung legitimieren, wird keine Heilung geschehen. Es ist vielleicht die größte Fragilität des Menschseins, keine Heimat zu finden oder zu haben, keinen Ort, wo man gewollt ist. Wenn ich jedoch meine Verletzlichkeit verberge, um mich zu schützen, geschieht das Gegenteil von Heilung: Ich wiederhole immer wieder die Wunde. Wie aber kann sie selbst, die Verletzung, ein Heilungspotenzial haben? Worin würde das bestehen? Was entfaltet sich, wenn wir unsere Verletzlichkeit zeigen und damit arbeiten? Nur ahnungshaft eine Antwort: ein schmerzendes Herz, was das Leid des anderen fühlen kann – ‹Gelobtes Land›.


Bild Christiane Haid, ‹Grundstein›, Acryl auf Hartfaserplatte, 2018.

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