Politik in der Anthroposophischen Gesellschaft

Spannend war […] die Frage, wie sich die Anthroposophische Gesellschaft angesichts der geplanten Kampagne [zur Dreigliederung] verhalten würde. Immerhin gab es damals etwa 50 Ortsgruppen in Deutschland mit rund 3700 Mitgliedern, die Rudolf Steiner hauptsächlich als geistigen Lehrer kannten.


Symptomatisch erscheint ein Gespräch am 25. Januar 1919, bei dem Emil Molt die Gründung eines Bundes anregte, in dem Dr. Steiner auftreten könne. Steiner sagte: «Ein Rückhalt müsste schon da sein.» Molt: «Die Anthroposophische Gesellschaft ist dafür nicht geeignet. Sie soll sich ja nicht mit Politik befassen.»

Steiner: «Wieso, wer sagt das?» Kühn, Molt, Boos (unisono): «Der Statutenentwurf.» Steiner: «Dieser ist ja von 1911 und außerdem durch den Krieg längst ausgelöscht. Die Anthroposophische Gesellschaft kann sich ruhig mit Politik befassen. Ich rede ja auch immer von Politik.» In die verdutzte Atmosphäre, Kühn: «Könnte sich die Gesellschaft als Partei betätigen?» Steiner: «Sie ist kein Verein, nur eine Gesellschaft. Der Einzelne hat volle Freiheit. Man braucht für eine Partei nicht diesen Namen (Anthroposophische Gesellschaft) zu wählen. Es müssten auch Nicht-Anthroposophen als Angehörige aufgenommen werden.» Ein solches Gespräch mag erstaunen, zumal auch später politische Aktivitäten nicht das Betätigungsfeld der Anthroposophischen Gesellschaft waren. Vielleicht lässt sich daraus ableiten, welche Bedeutung bestimmte Zeitfenster für Steiner hatten. Auch wird zwischen Aktivitäten, die Anthroposophen individuell ergreifen, und Betätigungen der Anthroposophischen Gesellschaft zu differenzieren sein.


Aus Albert Schmelzer, ‹Rudolf Steiners Einsatz für Freiheit, Partizipation und Solidarität›, in Paul Mackay (Hg.), Friedensfähigkeit heute. Dornach 2016, S. 20.

Grafik Sofia Lismont

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