Partizipativ führen heißt gemeinsam verantworten

Kokreation ist ein beliebtes Schlagwort geworden. Doch was heißt das für Unternehmen, Arbeitgebende und Angestellte? Wie wird die Arbeitswelt zu einem Ort der Menschenwürde und des Gemeinwohls? Remco Bakker ist als Manager im niederländischen Gesundheitswesen tätig und sprach darüber mit Andrea Valdinoci, Geschäftsführer der World Goetheanum Association.


Andrea Valdinoci Wir haben uns kennengelernt, als du tief in die Raphaëlstichting eingebunden warst – eine große Organisation mit mehr als 1500 Mitarbeitenden, für die du verantwortlich warst. Wie definierst du Führung?

Remco Bakker Es gibt verschiedene Themen, die für die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten und wie wir gemeinsam Probleme angehen und als Gemeinschaft wachsen, interessant und notwendig sind. Ich denke, es geht nicht nur um partizipative Führung, denn die ergibt sich aus der Art und Weise, wie man arbeitet. Aber im Wesentlichen geht es um kollektive Verantwortung, darum, Verantwortung zu teilen und gleichberechtigt, gemeinsam zu führen. Jeder Mensch hat dabei seine eigene Rolle und Position. All diese unterschiedlichen Perspektiven helfen einem Betrieb bei Problemen und Fragen, wenn wir sie aus den unterschiedlichen Rollen sammeln, denn eine Kollegin, ein Kollege hat eine andere Perspektive als ich als Geschäftsführer. Wir brauchen einander, um das Ganze zu sehen.

Es gibt verschiedene Blickwinkel, aus denen ein Problem zu betrachten ist. Das liegt nicht daran, dass das Problem unterschiedliche Aspekte hat, sondern daran, dass sich die Verantwortung, die wir für ein größeres Thema haben, sich nicht nur auf eben dieses beschränken lässt. Wenn wir zum Beispiel über das Klima sprechen, sprechen wir über Menschen in der Landwirtschaft, aber auch über die nationale Wirtschaft und Politik und über Unternehmer, Unternehmerinnen. Man kann es nicht auf einen Aspekt reduzieren. Jede Frage hat viele Ebenen und betrifft tatsächlich viele verschiedene Bereiche und Menschen. Wenn wir eine materialistische Denkweise haben, ist unsere Vorstellung davon, wie wir Probleme angehen, zu klein. Wenn wir die Menschen nicht einbeziehen, die zur Veränderung oder Lösung des Problems erforderlich sind, verpassen wir die Perspektive, die tatsächlich das Problems löst. Konkret: Bei Gesundheitsproblemen muss man immer mit der Person in Kontakt bleiben, die eine Gesundheitsfrage hat.

Valdinoci Ich kenne einige Unternehmerinnen und Unternehmer, die wahrscheinlich sagen würden: «Dieser Prozess dauert zu lange.»

Wir haben eine andere Sprache, um bestimmte Dinge anzusprechen. Daher gehen wir davon aus, dass es länger dauern wird. Letztendlich führt die Arbeit an dieser anderen Lösungsstruktur für das Problem jedoch zu einer anderen, nachhaltigeren Problembewältigung. Ja, wir benötigen dann drei Gespräche und müssen acht weitere Personen einladen und es scheint aufwendig und schwierig zu sein. ‹Brauchen wir einen Konsens?› All diese Fragen kommen auf. Aber das Ergebnis ist viel nachhaltiger und wird das Problem am Ende lösen. Sonst muss man sich immer wieder mit demselben Problem befassen. Heutzutage haben wir eine, wie ich es nenne, materialistische Art und Weise zu arbeiten: Wenn wir ein Problem haben, lösen wir es sofort. Das ist ‹effizient›. Aber drei Monate später habe ich noch dasselbe Problem. Es taucht wieder auf und wir reden darüber. Wir erinnern uns, wie wir es angegangen sind und dass es gelöst wurde. So machen wir es noch einmal auf diese Weise, usw. – Das ist nicht nachhaltig effektiv.

Wir haben also eine andere Einstellung zur Zeit. Wir treffen gemeinsam Entscheidungen, weil es im gesamten Prozess keine einzigen Hauptentscheidungsträger oder -trägerinnen gibt. Wir sind es gewohnt, dass das Management über Dinge entscheidet. Für uns ist es ein Gruppenprozess und wir entscheiden von der Mitte aus, nicht von oben. Natürlich braucht es dafür Leitprinzipien. Ich bin immer noch der Geschäftsführer, aber ich entscheide nicht, was wir während eines Gruppenprozesses tun, obwohl ich immer noch die Verantwortung habe, es im Namen des Ganzen umzusetzen.

Lösungen sind immer konkret

Valdinoci In der World Goetheanum Association sind wir überzeugt, dass die Entwicklung assoziativer Arbeits- und Denkweisen in der Wirtschaft ein Schlüssel zu gesellschaftlichen Veränderungen ist. Du inte­grierst viele Perspektiven und arbeitest nicht nur für dein persönliches Ziel, sondern baust gemeinsame Ziele auf.

Diesem Ansatz stimme ich vollkommen zu. Ich arbeite auch als Vermittler bei Konflikten in der Nachbarschaft und finde, das ist das beste Beispiel für assoziatives Arbeiten. Ich vermittle zum Beispiel, wenn es einen Konflikt zwischen zwei Parteien wegen einer Katze oder eines Hundes gibt oder weil die Nachbarin ihr Auto immer vor dem Haus parkt. Diese Konfliktmediation hat stets die gleichen einfachen Prinzipien. Sie schaffen ein Umfeld, in dem es Gleichheit, Raum für Autonomie (man kann aussteigen, wenn es einem nicht guttut) und damit einen freien Willen zur Teilnahme gibt. Diese drei Prinzipien sind aus meiner Sicht die Grundlage im Konfliktmanagement. Man bringt Menschen auf diese Weise in Kontakt und am Ende entwickeln sie ihre eigene Lösung. Nicht ich erfinde eine Lösung, denn ich kann keine Lösung erfinden. Ich sehe, wie diese beiden es gemeinsam schaffen können, und ich kann Vorschläge machen, aber das Problem wird dadurch nicht gelöst. Das Problem löst sich nur, weil sie Kontakt aufnehmen; sie beginnen eine Diskussion. ‹Was ist wirklich das Problem? Wie können wir es so lösen, dass es für uns beide das beste Ergebnis bringt?› Indem man einfach dem anderen zuhört und die Sorgen des anderen anerkennt, beginnen sich die Dinge zu öffnen und die Menschen können hören, sehen, entdecken, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, das Problem zu betrachten, und, am wichtigsten, dass es möglicherweise mehrere Lösungen gibt. Dadurch verlagert sich der Fokus auf die Diskussion darüber, welches Ergebnis richtig ist. Eine gemeinsame Kreation beginnt und das Gespräch richtet sich auf die zugrunde liegenden Prinzipien und Bedingungen. Meistens ist es nicht die Lösung, die ich gewählt hätte, aber es funktioniert für sie. Nach diesem Prozess fordere ich die Parteien heraus: «Was ist, wenn es nicht funktioniert? Was werden Sie tun?» Dann entwerfen sie auch für diesen Fall einige Grundprinzipien.

Ich will damit erzählen, dass es sich um eine lokale Lösung handelt. Zwischen zwei Menschen entsteht etwas in einer ganz anderen Form, als ich es vermutet oder gedacht hätte. Aber es funktioniert. Wenn ich mit jemandem das gleiche Problem habe, kann es sein, dass ich zu einem ganz anderen Schluss komme. Die Form ändert sich, aber das Prinzip ist dasselbe. Es geht um Gleichheit, Autonomie und Verantwortung. Wenn man das mit der Arbeitswelt verbindet, heißt das, wir müssen uns mit lokalen Lösungen befassen. Vielleicht hat ein Betrieb allgemeine Grundsätze, aber in Basel wird es ganz anders aussehen als in München, weil die Menschen in München anders leben. Der Aufbau dort ist anders, die Wirtschaft ist anders, unterschiedliche Biografien usw. ‹Materialistisch› versuchen wir, eine Form oder Struktur zu finden, die funktioniert, und sie an verschiedene Situationen anzupassen. Aber das funktioniert nicht. Es braucht lokale, assoziative Netzwerke für die richtigen Lösungen.

Valdinoci Wie kamst du zu dieser Schlussfolgerung?

Ich habe diese Arbeitsweise entdeckt – und es ist nicht nur meine Entdeckung, sondern ich habe meine persönliche Arbeitsweise entwickelt – durch Versuch und Irrtum. Mein erster Job als Geschäftsführer war nicht einfach. Ich kam in eine Organisation, die ein erhebliches finanzielles Defizit hatte und die ein erhebliches Problem mit der Qualität, dem Risiko und der Sicherheit der Menschen hatte. Die Regierung war involviert, sie wollte die Leitung übernehmen, weil sie dem, was dort geschah, nicht traute. Die Kundenvertreter und -vertreterinnen wollten nicht mit mir sprechen, weil sie kein Vertrauen in die Arbeitsweise der Organisation hatten. Vor mir lagen all diese unterschiedlichen Probleme und unterschiedliche Perspektiven. Ich konnte es gar nicht auf die alte Art lösen. Ein konkreter Moment war für mich der Ausgangspunkt: Wir hatten ein Schwimmbad innerhalb der Institution, das mein Vorgänger geschlossen hatte. Aber für die Klientinnen und Klienten, die jeden Tag schwimmen gingen, war dies ein herber Qualitätsverlust, der sie auch gesundheitlich traf, weil sie nicht mehr schwimmen konnten. Ich fragte mich, wie ich dieses Problem lösen soll. Die Wiedereröffnung des Schwimmbades würde eine zu große finanzielle Belastung darstellen. Also habe ich alle Interessengruppen an einen Tisch gebracht. Es waren sehr schwierige Gespräche, denn sie schauten mich an mit dem Blick: «Das musst du lösen. Du bist der Geschäftsführer. Es liegt in deiner Verantwortung.» Und ich sagte ihnen: «Es ist unsere kollektive Verantwortung. Das ist das Einzige, was ich weiß.» Das war sehr konfrontierend. Nach drei Gesprächen befanden wir uns auf einem Höhepunkt des Konflikts. Später habe ich herausgefunden, dass Otto Scharmer, der Autor von ‹Theorie U›, solche Momente beschreibt. Nach drei konfliktreichen Gesprächen hatten wir immer noch keine Lösung, die Qualität des Austauschs wurde immer schlechter, bis sie mir drohten. Plötzlich hatte ich beim nächsten Treffen einen Vorschlag: Ich hatte ein Schwimmbad in der Nachbarschaft gefunden und konnte anbieten, dieses örtliche Schwimmbad zu kontaktieren, ob wir dort ein paar Stunden schwimmen gehen können. Doch ich sagte ihnen auch, dass ich immer noch das Problem hätte, dass es keine Transportmöglichkeiten und keine Begleitpersonen gäbe. Dann begannen die Menschen einzugreifen! Das war ein interessanter Punkt. Die Eltern dieser Kinder, die keine Mitarbeitenden von uns waren, sprangen ein und sagten, sie könnten den Transport der Gruppe übernehmen. Und dann war jemand da, der jemanden kannte, der Bus fahren kann. So fing es irgendwie an zu klappen, aber alle haben zu einer Lösung beigetragen. Das wäre nie gelöst worden, wenn ich aus meiner Verantwortung als Geschäftsführer der Organisation bloß Geld eingebracht oder wenn ich zehn Leute gehabt hätte. Das hat mir die Augen geöffnet. Wenn wir schwerwiegende Probleme mit komplexen Beziehungen haben, kann man sie nur lösen, indem man die Menschen einbezieht, die von den Folgen betroffen sind. Wir können nicht wollen, dass eine Managerin, ein Manager Probleme löst. Wir müssen alle mit ins Boot holen, um zu erkennen, was noch nicht da ist. Die Lösungen und Menschen überraschen dich immer, wenn du das tust.

Sich an der Welt orientieren

Valdinoci Wann hast du Anthroposophie kennengelernt?

Ich habe Anthroposophie selbst entdeckt. Sie trat aber bereits früher in mein Leben. Mein Vater interessierte sich für Anthroposophie und ich habe einen Waldorfkindergarten besucht. Aber als ich mit zwölf zwischen zwei Schulen wählen durfte, schien mir, dass die Leute an der Waldorfschule etwas seltsam sind, und so ging ich auf eine Regelschule. Ich bin immer noch etwas enttäuscht über diesen Moment, aber es ist in Ordnung. Mit 18 Jahren habe ich Anthroposophie selbständig wiederentdeckt. Ich trat in Kontakt mit Menschen, die Anthroposophie-inspiriert arbeiten, und fühlte mich verbunden. Ich begann, darüber zu lesen und in anthroposophischen Einrichtungen zu arbeiten.

Die Verbindung zwischen dem Thema ‹Führung› und Anthroposophie kam erst viel später. Während meiner Karriere stieg ich immer wieder in anthroposophischen Institutionen ein und aus, denn ich hatte immer auch Schwierigkeiten damit. Wir neigen dazu, darüber zu reden, wie großartig wir als anthroposophische Institutionen sind. Wir glauben, wir bieten den Weg und haben bereits herausgefunden, was anderen Menschen fehlt, und wir sind sehr stolz darauf, anderen Menschen zu sagen, was sie tun sollen, aber oft erschaffen wir nichts mit anderen Menschen zusammen. Wir sondern uns leicht von anderen ab und Absonderung erzeugt Widerstand. Das ist zwar sehr allgemein gesagt, aber es war schon immer mein persönlicher Kampf. Anthroposophische Institutionen neigen dazu, sich nach innen zu richten und keine Verbindung nach außen herzustellen. Das ist immer die Schwierigkeit, wenn man eine starke Philosophie hat und in einer Nische wirkt. Es ist dann leichter, sich innerhalb miteinander zu verbinden, anstatt sich mit der Welt zu verbinden. Ich bin aber überzeugt, dass man sich mit der Welt verbinden muss. Die Welt sagt uns auch, dass wir etwas tun, was nicht wirklich angemessen ist oder nicht dazu passt. Ich denke, das ist der Hauptgrund, weshalb wir immer noch Schwierigkeiten innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft haben. Wir halten an Ritualen, Strukturen, Formen fest, die einmal gefunden wurden. Es liegt aber auch im Kleinen: Die ganz persönliche Art, wie ich mich mit anderen Menschen verbinde, ist wichtig. Wenn ich jemanden treffe und mich öffne, bin ich wirklich interessiert an dem, was der andere Mensch mir erzählt. Wenn ich eine Frage stelle, möchte ich die Antwort wirklich hören und ich möchte wirklich wahrhaftig die Konsequenzen spüren, denn es kann sein, dass du mir etwas sagst, das für mich sehr unangenehm ist.

Das ist wirkliche Kokreation: Du gibst mir eine Antwort und weißt, dass das, was du mir erzählst, mich bereits zu verändern beginnt, weil du mir Neues sagst. Ich wollte das wissen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass ich beginne, mich zu verändern, und dass ich meine Annahmen loslassen muss.

Valdinoci Werfen wir einen Blick auf die World Goetheanum Association. Wir trafen uns im Januar auf unserem Regionaltag in Amsterdam in der Iona Stichting. Wir wollten einen Raum des Vertrauens aufbauen und gemeinsam konkret werden, einander zuhören und das Fachwissen der Gruppe zutage fördern. Vielleicht resoniert das mit der Frage: Sind wir offen genug?

Das Erste, was du beschreibst, ist eher die Qualität der Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Wir wollen offen miteinander umgehen. Es ist sehr wichtig, dass wir ein Ohr füreinander haben, dass wir zuhören und sorgfältig versuchen, Probleme oder Fragen zu untersuchen und gemeinsam eine Gruppe zu bilden. Gleichzeitig gibt es einen Zweck dieser Assoziation. Wir können Beispiele für Unternehmertum oder aus den verschiedenen regionalen Treffen nutzen. Ein Beobachter, der hineinschaut, fragt vielleicht: Was entdecken wir, wenn wir uns alle Initiativen ansehen, an denen wir beteiligt sind? Gibt es eine Leitlinie oder ein Grundprinzip, das uns etwas sagt, was für den Verband als Ganzes gilt? Wenn wir es als Beobachtende betrachten, finden sich gemeinsame Themen, die zu Leitprinzipien führen können. Davon ausgehend können wir als Verein Initiative ergreifen, beispielsweise auf dem Energiemarkt, oder wir könnten ein Kollektiv zum Klimawandel aufbauen usw. Aber wir müssen noch ein paar Schritte gehen, bevor wir dort ankommen.

Gemeinsam und gleichgestellt gestalten

Valdinoci Bitte, erzähl etwas über die Niederlande. Warum fühlt sich Anthroposophie dort stärker in die Gesellschaft integriert an?

Das ist eine große Frage, und ich versuche zu antworten: Es gibt viel Widerstand. Innerhalb unserer Gesellschaft gibt es so viele Anschauungen, dass wir einen instinktiven Drang haben, sie integrativer zu gestalten. Deshalb sind in den Niederlanden auch anthroposophische Institutionen integrierter und liberaler, denke ich. Die Menschen hier nehmen Dinge nicht einfach nur an; sie wollen sie auf ihre eigene Art und Weise tun. Das ist auch eine Schwierigkeit: Wir bilden zwischen uns nur schwer eine geteilte Kultur oder eine Gemeinschaft. Aber ich denke, unsere Geschichte der vielen Kulturen in dem kleinen Land hat uns beigebracht, uns besser zu integrieren, miteinander zu leben, zu akzeptieren, dass es viele Sichtweisen und Möglichkeiten gibt, mit Problemen umzugehen, und dass es in Ordnung ist, wenn man Sachen auf die eigene Art macht.

Beispielsweise haben Gesundheitsorganisationen die gleichen Prinzipien wie anthroposophische Institutionen übernommen und sie viel schneller und umfassender weiterentwickelt. Die anthroposophische Gesundheitsvorsorge wurde dafür nie anerkannt. Ein Beispiel: Es existiert eine ganze Bewegung namens ‹Passende Zorg›, in der es darum geht, Menschen in ihrer Umgebung zu sehen und sich daran anzupassen. Menschen sollen zu Hause bleiben können, wenn es nötig ist, usw. Ich liebe die Vorstellung, dass die anthroposophischen Initiativen in dieser Bewegung vollständig sichtbar sind. Aber bisher ist das nicht ausreichend der Fall und oft sind sie nicht einmal Gesprächspartnerinnen oder -partner innerhalb dieser Bewegung. Also, öffnen wir uns weiter!

Valdinoci Was wird dafür benötigt?

Vor ein paar Jahren war ich in Mondragón im Baskenland in Spanien. Dort gibt es viele Beispiele für Kokreation und Kooperation. Es gelten Leitprinzipien, aber es gibt keine Strukturen oder Formen, die vorgeben, wie die Dinge aussehen müssen: Menschen leisten einen Beitrag an die Gemeinschaft und Unternehmen stellen sicher, dass sich Mitarbeitende am Unternehmen beteiligen, als Gemeinschaft, als Ganzes. Ich war total fasziniert.

Ich habe mit vielen wunderbaren und enthusiastischen Menschen gesprochen und dann einen Ausflug nach Mondragón unternommen. Ich wollte mit eigenen Augen sehen und erleben, wie das funktioniert, und wollte den Bürgermeister treffen. Das Erste, was ich in diesem Dorf erblickte, war ein großer Supermarkt. Ich war verblüfft. Ein völlig kommerzielles, nicht anpassungsfähiges, aggressives Unternehmen, das keine großartigen Richtlinien für seine Mitarbeitenden hat – so dachte ich. Auf meine Nachfrage wurde mir erzählt: Im Grunde handeln wir nach diesen Leitprinzipien und wenn sich die Supermarktkette diesen Grundsätzen nicht anpasst, dann hat sie hier auf lange Sicht keinen Boden für ihr Unternehmen. Genau diese Anpassung hat die Supermarktkette dort vorgenommen. Sie mussten Mitarbeitende in ihre Unternehmensstruktur einbeziehen. Sie mussten zu der Gemeinschaft etwas beitragen, und wenn sie es nicht taten, gab es keinen kommerziellen Grund, dort zu sein. Davon können wir lernen. Wir müssen Grundprinzipien beschreiben, uns öffnen, fürsorglich sein, in einen Kokreationsprozess eintreten und auf Anpassungen vertrauen. Vielleicht entsteht dadurch auch ein Modell für Supermarktketten, das wir noch gar nicht kennen.

Wir dürfen nicht vorschnell nach einer äußeren Form urteilen, sondern müssen in einen kokreativen Prozess eintreten. Wir müssen der Gesellschaft nicht sagen, was sie tun soll, sondern wir müssen einen Beitrag zur Gesellschaft leisten oder unsere Sichtweise und unser Denken einbringen. Darin liegt vielleicht der Zusammenhang mit den Fragen über Führung. Das ist es, was ich in meinem Job versuche. Das ist etwas, was die anthroposophische Bewegung als Ganzes für Politik und Gesellschaft tun kann. Bringt eure Perspektive ein – nicht indem ihr beweist, dass ihr recht habt, nicht indem ihr andere überzeugt – sondern begebt euch in die gemeinsame Gestaltung hinein! Wir sind einander gleichgestellt und können eine eigene Perspektive einbringen. Dadurch entstehen neue Lösungsansätze. Und möglicherweise ist es nicht ‹meine› Lösung, aber es wird eine Lösung sein, an der ich beteiligt bin und für die ich Verantwortung übernehme. Indem ich Verantwortung übernehme, verantworte ich auch das Ergebnis. Dies sind Ausgangspunkte, um neue Formen und Strukturen zu schaffen, in denen wir uns voll und ganz und nicht nur von einem Standpunkt aus engagieren können. Bringen wir diese Perspektiven ein!


Illustrationen Fabian Roschka

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