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Neue Lesebilder — Neue Hieroglyphen?

Karlheinz Flau wurde 1935 in Hamburg geboren und arbeitet seit 1975 in dem kleinen Flecken Ottersberg als freischaffender Künstler. In seinem 83. Lebensjahr hat er weitere geisteswissenschaftliche Ideen in Bildform auf Papier gebracht. So entstand die neue Mappe mit 24 Themen.


Themen wie ‹Von der Drei zur Vier zur Fünf – eine künstlerisch-geometrische Besinnung zur Karwoche in 7 Schritten› oder ‹Christos Pankreator – eine Betrachtung über das Christus-Monogramm›, ‹Wasser hat eine Haut – eine Empfindungsfrage an das große Wasserwesen›, ‹Freie Hofschule – in Anlehnung an Goethes Pädagogische Provinz› hat Karlheinz Flau diesmal zu Papier gebracht. Der Lithograf, Grafiker, Maler, Mitbegründer des Forum3 in Stuttgart, Gründer des Freien Kulturzentrums Atelierhaus in Ottersberg und während 25 Jahren Lehrbeauftragte der Uni Bremen erzählt Geschichten und malt einzelne Motive, die gern bis ins Detail ausgearbeitet werden.

Wie macht er diese Mitteilungen in Bildform? Sie hängen an der Wand und sprechen ihre eigene Sprache, und ich kann mich in sie wiederholt vertiefen. Der Künstler malt; doch er malt nicht nur, er kommt ohne Denken nicht ans Ziel. Man kann es seinen Schöpfungen ansehen: Erst ist die Idee, dann der Gedanke und die Verknüpfung, und erst dann nimmt er den Stift. Dabei kommt ihm sein jahrzehntelanger Umgang mit der Anthroposophie zugute. Er zeichnet exakt und seine Texte holt er aus der Geisteswissenschaft. Es entstehen ganze Blätter, immer in einem harmonischen Ganzen komponiert. Anstelle eines Vorwortes beschreibt ein Leser seinen Umgang mit den Flau’schen Kunstwerken.

Ich sehe die ‹Weltkugel› über dem Vorwort, sie ist eine Kreisform aus Symbolen, Sternzeichen, geometrischen Figuren und Text. Ich sehe im Mittelpunkt diesen Hasen. In seinem Hinterteil hat Flau eine Spirale gezeichnet und zwischen seinen langen Ohren ist ein Sternzeichen zu sehen. Links und rechts vom Hasen sind ebenfalls Hasenmotive, links im Chaos, rechts als Dreierformation. Dann sehe ich unterhalb der Kreisform einen Text, das Thema des Blattes: ‹Der Weltenhase – oder hört die neuen Töne, seht die neuen Zeichen – wachet!› Der Hase erscheint in der Mitte des Kreises. Er hat um sich den Tierkreis. Nun gehen wir in den äußeren Kreis, in dem sich die Vierteilung Frühling, Sommer, Herbst und Winter befindet. Ich versuche, mich in die Arbeit des Künstlers hineinzuversetzen. Was kann ich entziffern? Denn ich habe begriffen, dass es sich um eine moderne Art von Hieroglyphen handeln muss. Es sind Bilder, die für etwas stehen. Aber was haben sie mit mir zu tun? Oder haben sie etwas mit der Welt, dem großen Kosmos zu tun?

 


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Ich gehe vom Hasen aus und lese im Buch ‹Der Tod Merlins› von Walter Johannes Stein: «Der Hase in Mythos und Alchemie – Das Osterhasenbuch: ‹Er, der Hase, ist ein Venus-Tier. Die Liebesgöttin hegte ihn in ihrem Heiligtum.›» Im Vollmondschein tummeln sich die Hasen, heißt es in der Antike. Dem Mittelalter gilt der Hase als Symbol der Alchemie. Er symbolisiert die vorbeihuschenden Bilder und Gedanken im Menschen. Was im verborgenen Inneren der menschlichen Organisation vorgeht, tief unter der Schwelle des Bewusstseins, das beschreibt die Alchemie. Was in der Retorte der menschlichen Organe sich bildet, das verschläft der Mensch, davon weiß er nichts. Nur wer den Weg einer inneren seelischen Entwicklung betritt, lernt nach und nach jene flüchtigen, hinhuschenden Bilder zu ergreifen, die Kunde geben von der im Inneren der physischen Organisation sich vollziehenden Umwandlung. Diese Bilder nennt das Mittelalter den ‹flüchtigen Hasen›. Dabei ist es der Hase, der seinen Leib anderen freiwillig hingibt. Insofern kann er im Mittelpunkt dieser Zeichnung stehen. Er dient als Vorbild eines Entwicklungsweges des Menschen. Der Hase ist das Symbol der Aufbaukräfte der Natur und das Ei des Hasen ist der Mond. «Hasen legen keine Eier», sagt der moderne Mensch, aber der Osterhase versteckt sie im Gebüsch, wo die Kinder sie suchen. Aus dem Ei erstand die Welt. Das Weltenei und der Hase gehören zusammen.

Ich bin erstaunt, was dieses erste Blatt mit mir macht. Es führt mich dazu, von der Schönheit der Erscheinung zur Verarbeitung im eigenen Denken zu kommen. Wie schön, dass ich den Hasen rechtzeitig erkannt habe. Überhaupt regt die Vielfalt der Lesebilder dazu an, sie zu entziffern, sich auf den Weg zu machen, Arbeit zu leisten, weiterzukommen in der Erkenntnis!

Weitere Bilder in der Mappe: ‹Wasser hat eine Haut – Wird darüber geglitten oder wird sie zerschnitten?› Fisch und Schiff bringt der Künstler in eine Lemniskate und stellt dem großen Wasserwesen eine Empfindungsfrage. Früher hatten die Schiffe einen Bug und die Schiffe glitten über die Wasseroberfläche. Heute wird größtenteils die Wasseroberfläche zerrissen, sodass eine kilometerlange ‹Wasserwunde› zurückbleibt. Eine kleine Wellenkunde schließt sich an. Man sieht den Unterschied zwischen den Bewegungen eines Geschosses und eines Fisches und die Frage schließt diese Seite ab: ‹Was bedeutet das ständige Durchpflügen der Weltenmeere für das Wesen des Wassers?›

 


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Das Blatt ‹Stirne & Gestirn› zeigt Skizzen vom ersten und zweiten Goethe­anum und verschiedene Zeichnungen des Kopfes – das Gesicht vom 18-mm-Embryo, den Neugeborenenschädel, die Metamorphose der Gliedmaßen zum Ober- und Unterkiefer, die drei Grundkräfte, die Dreigliederung des menschlichen Hauptes – und rundet sich ab im Tempel der Götter: Nervensinne, Kreislauf-Atmung, Stoffwechsel-Gliedmaßen-System.

Das Blatt ‹Der Blick der Madonna› zeigt zehn Madonna-Zeichnungen in einfacher Strichtechnik. An diesem Blatt kommt das ans Geniale reichende Künstlertum von Karlheinz Flau zur Erscheinung. Im Mittelpunkt die Madonna von Raffael: frontaler, wacher Blick, hocherhoben! Beide, Mutter und Kind, sehen mich an: ‹Ich-bin› ist gemeint – Bild meiner Seele in der Zukunft. Eine Abbildung einer Ikone des 18. Jahrhunderts eröffnet das Blatt als Lesezeichen. Es folgen weitere Madonnen von Grünewald, Donatello, Lausitzer Meistern, Schongauer. Karlheinz Flau nennt es ‹den Inblick, den Anblick, den Umblick›.


Karlheinz Flau, Neue Lesebilder. Feste Mappe A3, 24 Kunstdruck-­Blätter, Offsetdruck, zum Teil mehr­farbig. Verlag Juergensendesign, Ottersberg 2018.

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