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Einseitigkeiten

Leserbrief an ‹Das Goetheanum› von Thomas Heck und Antwort aus der Redaktion von Louis Defèche


Lieber Herr Defèche

Ich beziehe mich auf Ihren Artikel ‹Dornach: Einheit und Spaltung› im ‹Goetheanum› Nr. 14 und die daran anschließende Korrespondenz mit Mario Betti.

Zur Zäsur und Rehabilitierung an der GV 2018 schreiben Sie, es sei ein seltsames Bild entstanden, in dem «klare Einheit» und «harte Spaltung» im gleichen Raum auftraten. Es kann der Eindruck entstehen, dass die «klare Einheit» positiv und die «harte Spaltung» negativ zu bewerten sei. Es liegt im Wesen des sozialen Lebens, dass man sich nicht immer einig ist. Auch wenn Sie bedauern, dass mit diesen zwei «erfahrenen» Menschen nicht weitergearbeitet werden könne, so muss die entstandene Situation nicht gleich als «Spaltung» negativ belegt werden, ohne die Beurteilungsgrundlagen zu benennen.

Sie verweisen auf die «erfolgreiche, unternehmerische Energie» Paul Mackays und dass Bodo von Plato «die Anthroposophie mit einer herausragenden Offenheit repräsentiert» habe. Worauf gründen Sie Ihr Urteil? Hier einige Beispiele aus dem Wirken der beiden:

• Die ‹Faust›-Inszenierung geht nun endgültig als die kürzeste, spirituell ungenügend­ste und als erste mit einem Mehrere-Millionen-Defizit (1) in die Geschichte der Gesellschaft ein.

• Für Paul Mackay zeichnete sich, nach eigenen Angaben (2), bereits seit der Jahrtausendwende das zu hohe strukturelle Defizit ab, welches seitdem deutlich gestiegen ist! Die aktuelle finanzielle Lage ist prekär und dramatisch.

• Die kommentarlose Veröffentlichung des Rudolf Steiner diskreditierenden und diffamierenden Zitates von Helmut Zander in ‹Rudolf Steiner Bilder›. (3)

• Die ausgesprochen unkünstlerischen, teuren und unnötigen Umgestaltungen im Goetheanum, die von vielen Mitgliedern als leer und kalt empfunden werden.

• In der Konstitutionsfrage war 2002 vom Vorstand erkannt worden, dass die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft nicht die Weihnachtstagungsgesellschaft sei. (4) Diese Erkenntnis wurde 2005 durch die ‹Erwägungen› eines Solothurner Gerichtes ersetzt, denen schon aus prinzipiellen Gründen kein hinreichender Erkenntniswert zukommt. So wird, entgegen der eigenen, nie revidierten Erkenntnis von 2002 auch weiterhin behauptet, die AAG sei von Rudolf Steiner an der Weihnachtstagung begründet worden. Näheres unter: www.gv-2018.com/mythos-fusion/.

• Während der Amtszeit von Paul Mackay und Bodo von Plato konnte der Mitgliederrückgang nicht gestoppt werden.

• Insbesondere durch die Umgestaltung der Wochenschrift, sowohl optisch als auch inhaltlich, hat sich die Auflage in etwa halbiert auf derzeit ca. 5000–6000.

• Ebenfalls in die Amtszeit der beiden fällt die Abschaffung des Nachrichtenblattes und damit der auch schon zuvor spärlichen Kommunikationsmöglichkeiten für die Mitgliedschaft.

Von all diesen und anderen Aspekten war in dem Interview, das Sie mit den beiden geführt haben, nicht die Rede. Jeglicher Rückblick sollte wohl vermieden werden? So hatte dieses Interview allenfalls den Charakter einer konventionellen Werbemaßnahme, für eine sachgemäße Orientierung der Mitglieder als Urteilsgrundlage war es ungeeignet.

Sie bringen in Ihrem Artikel eine gewisse Betroffenheit zum Ausdruck und haben sich wohl ein anderes Ergebnis der Zäsur gewünscht. Das ist Ihr gutes Recht. Aber ist es die Aufgabe der Redaktion, die persönliche Betroffenheit ihrer Mitarbeiter zum Ausdruck zu bringen? Das kann zu Einseitigkeiten führen. Haben Sie sich mit den Argumenten, die gegen eine weitere Amtszeit vorgebracht wurden, auseinandergesetzt? Haben Sie mit den Vertretern dieser Ansichten das Gespräch gesucht? Warum kommen diese im Sinne eines freien Geisteslebens in der Wochenschrift nicht zu Wort? Wäre es nicht gerade Ihre Aufgabe, einen Dialog und einen Austausch zu ermöglichen, im Sinne einer Vielfalt? Wie sonst soll eine Versöhnung, von der Sie schreiben, möglich werden?

Die in Ihrem Beitrag durchscheinenden Bewertungen sind zum Teil auf nichts gegründet bzw. die Grundlagen werden nicht genannt, sind sogar als eigentlich oberflächlich zu bezeichnen. So ist ‹Einigkeit› kein positiver Wert an sich, der Wert läge darin, worüber man sich einig ist. Und auch eine ‹Spaltung› im Sinne unterschiedlicher Auffassungen ist doch nicht negativ an sich.

Die Einseitigkeiten zum Beispiel des Artikels von Wolfgang Held ‹Hässliche Weckwesen› (5) und auch Ihres Artikels sind klar erkennbar. An der Generalversammlung 2018 wurde durch eine deutliche Mehrheit eine wahrheitsgemäßere und ausgeglichenere Berichterstattung gewünscht. Wenn Sie nicht nachvollziehen können, dass diese Artikel, wie auch von Mario Betti bemerkt, zu Recht als suggestiv erlebt werden können, wird sich der weitere Niedergang der Wochenschrift und auch der Gesellschaft kaum aufhalten lassen.


Aus Platzgründen wurde die ursprüngliche Fassung dieses Leserbriefes um ca. 50% gekürzt. Link zur vollständigen Fassung: www.gv-2018.com/leserbrief-an-das-goe­theanum

(1) ‹Anthroposophie weltweit› 11/17.
(2) Ebd. 9/10.
(3) ‹Ein Nachrichtenblatt› Nr. 21.
(4) Nachrichtenblatt 17/2002.
(5) http://gv-2018.com/rundbrief-ein-fuerwahr-wirklich-haessliches-weckwesen/


Antwort aus der Redaktion von Louis Defèche

Lieber Herr Heck,

Ich danke Ihnen für Ihre Rückmeldung. Hier ein paar Worte als Antwort.

Ich muss schon sagen, dass ich mich auf Einheit immer freue, wie man sich auf eine Hochzeit freut, obwohl Spaltung zu unserer täglichen sozialen Erfahrung gehört. Wenn aber die Spaltung zum herrschenden Prinzip der Generalversammlung wird, dann wird sie, wie in einem Parlament, wo Streit und Disqualifikation des Anderdenkenden den Raum erfüllen, zerstörerisch.

Die Anthroposophische Gesellschaft hat eine rechtliche Form, sollte aber nicht dem rechtlichen Prinzip unterworfen sein, denn sie will die geistige Forschung und Initiative fördern. Diese Arbeit kann von Gruppen und sozialen Organen geleistet werden, die sich selbst bilden aus der individuellen, gegenseitigen Anerkennung von Fähigkeiten. Der Vorstand selbst bildet eine solche Gruppe. Er ist den anderen Arbeitsgruppen nicht überlegen, sondern hat spezifische Aufgaben. Um diese Aufgaben zu erfüllen, muss er selbst seine Mitglieder finden können, nach dem Prinzip der individuellen, menschlichen Anerkennung von Fähigkeiten. Hier soll Freiheit unterstützt werden, damit die Arbeit sich entfalten kann. Wenn Misstrauen herrscht, dann wird diese Freiheit eingeschränkt, sie wird nicht unterstützt. Es ensteht eine Kälte, die die Arbeit behindert.

Dass Sie das Interview mit Paul Mackay und Bodo von Plato als ‹Werbemaßnahme› erlebt haben, bedauere ich, zugleich meine ich, dass sich in Ihrer Ablehnung hier etwas von Ihrer Auffassung gegenüber beiden ehemaligen Vorstandsmitgliedern spiegelt. Wir haben es nie als eine politische Kampagne verstanden, sondern als Möglichkeit, beiden Menschen begegnen zu können. Wenn wir es als politische Kampagne verstanden hätten, hätten wir die Punkte, die Sie auflisten, behandelt. Ich möchte hier nicht auf Ihre Liste eingehen, nur so viel: Auch zu Beginn der anthroposophischen Bewegung hat Rudolf Steiner das Scheitern erleben dürfen (es gibt unzählige Beispiele davon). Scheitern gehört zur menschlichen Entwicklung und sollte verständnisvoll angeschaut werden. Wer dazu nicht in der Lage ist, hat ein Problem mit seinem eigenen Hochmut. Anthroposophie ist eine schwierige Sache, ihre erfolgreiche Entwicklung unterliegt komplexen Bedingungen. Ihre Verurteilungen erlebe ich zum Teil als Ausdruck Ihrer persönlichen Interpretation. Ich habe auch meine Sichtweise, und ich bin in manchem mit Ihnen einverstanden. Meine Schlussfolgerungen sehen aber anders aus.

Über Interpretationen und Gedanken zu diskutieren, ist eine schöne Aufgabe der Anthroposophischen Gesellschaft, aber nicht der Generalversammlung. Die Spaltung ist im geistigen Bereich, im spirituellen Austausch willkommen, um aus der Auseinandersetzung sich gegenseitig zu bereichern, sich besser zu verstehen und höhere Gesichtspunkte zu gewinnen. Wenn diese Spaltung sich aber in der Generalversammlung auslebt und das Rechtsprinzip zu ergreifen beginnt, ist das für die Gesellschaft bedauerlich. Wenn das Vertrauen weg ist, fehlt der soziale Zusammenhalt, der die Grundlage für die freie geistige Tätigkeit bilden sollte.

Ich denke, es ist zu einfach, zu sagen: Bodo von Plato und Paul Mackay wären für die geistigen, künstlerischen, finanziellen Schwierigkeiten des Goetheanum, der Gesellschaft, der Hochschule zuständig oder sogar schuldig. Im rechtlichen, äußeren Sinn stimmt es, weil sie ja ein Amt im Vorstand hatten. Aber im inneren Sinne sieht es meines Erachtens anders aus und ich denke, dass es für die Zukunft besser wäre, wenn wir solche Angelegenheiten aus der innere Seite zu betrachten lernen. Wir können gerne das Gespräch mündlich weiterführen.


Zeichnung: Philipp Tok

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