Kritik basiert nicht auf Glauben

Eine Gruppe ehemaliger Schülerinnen und Schüler sammelt mit einem offenen Brief an alle Waldorfschulen und den Bund in Deutschland Unterschriften. Ihr Ziel: die Abgrenzung der Waldorfschulen von Strömungen, die in der Pandemie eine Weltverschwörung sehen. Wir sprachen mit Ivo Bantel, Tilman Busch, Fiona Hauke und Muriel Weinmann.


Haben Sie eine konkrete Beobachtung gemacht, die Sie zu diesem offenen Brief motiviert hat?

Ja, mehrere. Schwer getroffen haben uns zum Beispiel Schmierereien an der Waldorfschule Filstal, die einige von uns besucht haben. Dort wurde unter anderem die offene, antidemokratische Drohung ‹Wir jagen euch durch alle Gerichtssäle!› in kaum verhohlener AfD-Anspielung an die Schultüren geschrieben. Wir beobachten besorgt, dass auf Querdenken-Demonstrationen sowohl anthroposophische wie auch rechtspopulistische und verschwörungsideologische (also nicht faktenbasierte) Einstellungen weit verbreitet sind. (vgl. Studie: Politische Soziologie der Corona-Proteste, Universität Basel)

Wie könnte ein kritischer Diskurs über die Pandemiemaßnahmen gelingen?

Wir wollen kritisch und kontrovers, aber auch faktenbasiert und wertschätzend diskutieren. Leider sprechen uns einige Reaktionen selbständiges Denken ab und stellen gleichzeitig nicht belegbare oder falsche Behauptungen auf (z. B. Masken und Impfungen wirken nicht; es gibt keine Pandemie). ‹Kritisch sein› heißt aber: Wir glauben nicht alles und lassen uns von einer klaren Methode leiten, wie wir zu Erkenntnissen über die Welt kommen können. Der zweite Teil wird leider oft ersetzt durch ‹das Gegenteil glauben von dem, was alle anderen glauben› oder ‹glauben, was meiner Weltsicht entspricht›. Es ist natürlich bequem, zu denken, dass Corona nicht schlimm ist – aber das macht es noch nicht wahr.

Wer mit Verweis auf Karl Popper einen offenen Dialog fordert, aber auf solchen Unwahrheiten beharrt, hat ihn entweder nicht richtig gelesen oder falsch verstanden. Denn gerade Popper betont: Wenn wir Erkenntnisse gewinnen wollen, dürfen wir nur Argumente nutzen, die widerlegt werden könnten, und müssen bereits widerlegte Argumente ausschließen. Zentral ist hier die Frage nach Widerlegbarkeit: Aussagen, die entweder nicht belegbar sind oder bereits in unabhängigen Studien widerlegt wurden und an denen trotzdem festgehalten wird, helfen uns nicht bei einem kritischen Diskurs, sondern gefährden ihn. Wenn wir die Situation meistern wollen, müssen wir auch kritisch über Grundrechtseinschränkungen reden – aber im Rahmen wissenschaftlicher Erkenntnisse – also basierend auf Artikeln in wissenschaftlichen Zeitschriften, nicht auf sensationalistischen Social-Media-Kettennachrichten oder Youtube-Videos. Kritik an grundrechtseinschränkenden Maßnahmen ist nicht per se Verschwörungsideologie – sondern nur dann, wenn sie Fakten missachtet oder an widerlegten Aussagen festhält!


Mehr: Offener Brief – Gegen Corona-Verschwörungsmythen an Waldorfschulen!

Foto: Sofia Lismont

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