Eine neue Hochzeit in Galiläa

Eine Versöhnungsfeier, die Altes und Neues verbindet. Ein Erlebnisbericht aus Israel.


Hochzeiten sind immer Menschheitsereignisse – die immerwährende Überwindung der Geschlechtertrennung durch zwei Willensentschlüsse, die eine Lebensgemeinschaft begründen. Gewiss, es gibt viele Lebensgemeinschaften, viele tiefe Willensentschlüsse. Viele Trennungen müssen so überwunden werden. Dies ist das Urbild. Nach einer langen und nicht immer unproblematischen Kulturgeschichte der Ehe kann hier ganz Neues entstehen. Aber es entwindet sich nur allmählich den Traditionen des Alten.

Fotos: Ilse Wellershoff-Schuur

Urbild – neulich so geschehen in Galiläa. Nichts Revolutionäres, ganz einfach eine Hochzeit. Die Eheleute gehören zu vielen alten und neuen Gemeinschaften. Sie sind Angehörige zweier verschiedener Beduinenstämme, Araber, Palästinenser, israelische Staatsangehörige, relativ säkulare Muslime, auf sozialem Felde tätige, gut ausgebildete Mitarbeitende anthroposophischer Einrichtungen und auch Anthroposophen. Drei Tage dauert so eine traditionelle Hochzeit, drei Tage mit Tausenden von Gästen, viel Essen, lauter Musik. Ein großes soziales Ereignis. Vor ein paar Jahrzehnten gab es da noch sehr feste Formen, eine Art Insider-Event im jeweiligen Stamm mit ein paar wenigen Ehrengästen aus anderen Stämmen und der nicht beduinischen Gesellschaft. Die Hochzeit, von der hier die Rede ist, zeigte deutlich, wie sich das verändern kann in unserer Zeit.

Drei Tage lang

Faiz und Fatma heirateten an drei Tagen. So war es schon immer, und auch bei ihrer Hochzeit geht es um ein mehrtägiges Ritual, das sich vom Alten zum Neuen entwickelt. Am ersten Tag gab es ein lautes und fröhliches Frauenfest in Fatmas Dorf, bei dem sie von ihrer Familie verabschiedet wurde in der Gesellschaft ihrer vielen Freundinnen, der Mütter, der Tanten und der Kinder aus allen Kulturen vor Ort. Die Männer saßen derweil abseits und tranken Kaffee. Als Kindergärtnerin an der arabischen Waldorfschule in der benachbarten Kleinstadt war Fatma längst der kleinen Gemeinschaft des Dorfes entwachsen und hatte ein riesiges, sehr eigenes und buntes Umfeld. Im Dorf des Bräutigams fand derweil eine Art ‹Vorabendtreffen› statt mit seiner Familie und seinen Kollegen. Noch waren es zwei getrennte, ziemlich traditionelle, nur gegen Ende kurz zusammengebrachte Ereignisse. Irgendwann kam nämlich der Bräutigam auf den Schultern seines Vetters reitend (eigentlich sollte es wohl ein Pferd sein …) in das Dorf der Braut, gefolgt von seiner Sippe. Kurz tanzten sie miteinander, ließen sich unzählige Male fotografieren und filmen. Die Braut war noch sichtbar angespannt angesichts der Tatsache, dass sie so im Mittelpunkt stehen muss. Dann ging es in die verschiedenen Dörfer. Am Abend ließen sich die Gäste mit Henna Segenswünsche in die Hände schreiben – ganz traditionell, so wird man Teil der ‹Zeugengemeinschaft›, die die Hochzeit vollziehen will! Am zweiten Tag wurde die Braut in Faiz’ Dorf willkommen geheißen und somit ‹nach Hause geholt› in ihr künftiges Heim. Hier gab es schon viel mehr Gemeinsamkeit, auch zwischen Männern und Frauen, Beduinen und Gästen von außerhalb. Keine laute Musik, aber viele gute Gespräche innerhalb und außerhalb der Gruppen. Der dritte Tag aber, der machte den Unterschied aus.

Für alle eine Heimat

In der Begegnungsstätte Sha’ar laAdam – Bab l’il Insan, im Rohbau des neuen Andachtshauses, das allen Religionen und dem spirituellen Leben überhaupt Heimat sein will, wurde ein ganz anderes Fest vorbereitet. Gewiss, es gab auch etwas zu essen, auch Zeit für Geselligkeit. Im Mittelpunkt standen aber die kulturellen Beiträge, gewissermaßen der ‹Festakt› mit vielen individuellen und gemeinschaftlich getragenen Beiträgen. Faiz Sawaed ist der Manager der Begegnungsstätte, die nicht nur geografisch zwischen den beiden Stammesdörfern und dem Kibbuz Harduf mit seinen vielen anthroposophischen Initiativen liegt, und leitet vor allem die Programme für jugendliche Freiwillige aus aller Welt. Aus diesem Umfeld entstand ein sehr besonderes Fest für alle. Die Frage nach einer auch rituell begangenen ‹anthroposophischen Hochzeit›, sogar im Rahmen einer Segnungsfeier durch die Priesterin der Christengemeinschaft, hatte für die Brautleute kurz im Raum gestanden, war dann aber metamorphosiert zu einem Reigen von Wort- und Musikbeiträgen im Herzen des Festes zwischen Kulinarischem und Ausklang am Lagerfeuer. Da gab es Instrumentalmusik (vor allem der deutschen Volontäre), mehrere Chorstücke in verschiedenen Sprachen aus der Gemeinschaft in der Begegnungsstätte, eine Lesung aus dem 1. Johannesbrief in Arabisch, Hebräisch und Englisch (neben den jüdischen und arabisch-palästinensischen Israelis war das Fest ja auch geprägt von vielen ausländischen Gästen, nicht zuletzt von den jungen Freiwilligen und den vielen ehemaligen Teilnehmenden der Programme). Segenswünsche kamen in drei Sprachen, aber das Herzstück bildete eine Hochzeitsansprache der Pfarrerin der Christengemeinschaft, die am Bild der beiden mit einem roten Band verbundenen Holzstäbe, die zum Trauritual gehören, entwickelte, was eine freie Gemeinschaft ausmacht und inwiefern eine frei geschlossene Ehe zur Zukunft der Menschheit beiträgt. Amin Sawaed, Mitbegründer der Begegnungsstätte, übersetzte die englischen Worte ins Arabische. Die Festansprache kulminierte dann noch in einer sehr bewegenden Fortführung dieser Gedanken durch den Sheikh des Sawaed-Stammes Taha Abu Amin Sawaed, der mutig die Stäbe ergriff und über die Verbindung der Menschen untereinander, den Wert der Nachbarschaft seines Stammes zur Anthroposophie, wie sie in Harduf gelebt wird, und über die Anwesenheit des Bildes eines Kreuzes sprach, das zwischen dem jüdischen und dem muslimischen Element vermitteln könnte. Eine Rede, die alle Anwesenden tief berührte! Das Brautpaar wirkte entspannt und sehr ‹zu Hause angekommen›.

Auf Augenhöhe verwandeln

Im Nachklang sagte eine junge ehemalige Waldorfschülerin, Beduinin aus dem Dorf des Bräutigams, dass sie an diesem Abend das Gefühl hatte, dass das Fest in Sha’ar laAdam – Bab l’il Insan ein Ereignis war, bei dem alle Menschen auf Augenhöhe miteinander sprechen konnten – als Menschen. Sha’ar laAdam – Bab l’il Insan heißt genau: das Tor zum Menschen, jenseits seiner Gruppenzugehörigkeiten. Hier entsteht etwas ganz Neues, nicht nur, wenn Hochzeit ist! Am Ende sitzen viele Gäste noch am Lagerfeuer, denn dieses Ereignis will noch einmal ganz anders nachklingen. Jung und Alt, viele Kinder auch, Menschen aus den verschiedenen Teilen der arabischen Gesellschaft und aus dem Kibbuz Harduf gemeinsam mit den Jugendlichen aus aller Welt.

Wandel vollzieht sich allmählich, ist heute aber oft geprägt von einer Art Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit, die wir bedenken müssen. Angesichts der kulturellen Sprünge, in denen im ländlichen Galiläa in einem herausfordernden multikulturellen Umfeld in wenigen Jahren von vielen Menschen eine gesellschaftliche Veränderung in Richtung Individualisierung gelebt wird, die andern­orts Jahrhunderte gedauert hat, braucht es immer wieder Takt und Sensibilität, um alle Menschen mitzunehmen. Das gilt vor allem für das noch sehr traditionell geprägte arabisch-palästinensische Umfeld, in dem auch die älteren und traditionell lebenden Menschen nicht vor den Kopf gestoßen werden wollen. Das ist bei dieser Hochzeit auf das Schönste gelungen. Aber nicht nur die arabisch-beduinischen Menschen fühlten sich in diesem Umfeld in ihren kulturellen Prägungen wahrgenommen und gewürdigt. Vielen ist dabei deutlich geworden, wie sehr das Alte allein nicht mehr tragen kann.

Was ist hier geschehen? Eine Hochzeit, ja. Aber auch eine große Versöhnungsfeier, eine Überwindung von Trennung, ein Menschheitsereignis eben, an dem den Gästen des Festes klar wurde, was heute unsere Aufgabe ist. Und wie der Weg zum Ziel der Liebe der Menschen zueinander längst gegeben ist. Einer Liebe aus dem Ich heraus, das sich immer mehr freimacht von alten Bindungen und dabei neue einzugehen imstande ist.

Jede Hochzeit, jedes gemeinsame Fest kann so Brückenbau werden.

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