Ein dreifacher kosmischer Ruf

In der Adventszeit sind alle klassischen Planeten am Abend­himmel versammelt. Ein Himmels­schauspiel, bei dem die Marsopposition am 8. Dezember den Ton gibt und Venus mit ihrem Aufstieg ins nächste Jahr zeigt.


Mars ist der Planet unter den Planeten. Dynamischer als die anderen Wandler, wechselt er zwischen Ruhe und zügigem Lauf, zwischen Erdferne (400 Millionen Kilometer) und Nähe zur Erde (57 Millionen Kilometer). Als einziger Wandler ist er länger als ein Jahr am Nachthimmel ohne Unterbrechung zu sehen und nur bei Mars vermag man mit bloßem Auge etwas über sein Wetter zu sagen. So mächtig sind die Stürme, die den ganzen Planeten ergreifen können. Jetzt, am 8. Dezember, überholt die Erde den roten Nachbarn wieder und beide Gestirne sind sich nah. Weil Mars auf einer stark elliptischen Bahn läuft, sind diese Begegnungen mit der Erde, diese sogenannten Marsoppositionen, unterschiedlich eng. So kommen sich jetzt, wenn Mars im Stier steht, beide Planeten auf 82 Millionen Kilometer nahe. Diese Begegnungen wandern dann im Tierkreis weiter, sodass Mars erst am 4. Mai 2031 wieder so nahe stehen wird. Doch nicht nur die Nähe zählt: Was die Marsopposition ausmacht, ist der Sternenhintergrund. Wie ein Ton in jeder Tonart anders klingt, so ist der Lichtklang eines der sieben Planeten in jedem der zwölf Tierkreisbilder unterschiedlich. Jetzt zieht Mars durch den Stier, ein Bild, das wie Mars selbst Dynamik und Kraft ausstrahlt. Man erkennt es an der kleinen v-förmigen Gestalt im Zentrum des Bildes. Von dort weiten sich die Sternlinien. Von den mächtigen Höhlenzeichnungen in Lascaux über den kultischen Stiersprung mit Salto in Kreta bis zu den Stiersarkophagen in Ägypten: In unzähligen Kulturen wird dieses Tier als Repräsentant des Lebens, der Lebenskraft verehrt. Auch im roten Fenster des Goetheanum steht ein Stier zur Rechten des Menschen – Bild seiner Willenskraft.

Liebe wird beständig

Jetzt zieht Mars, der Planet der Tatkraft, durch diese Willensregion. Die ganze Nacht strahlt der Planet in rotem Feuer aus dieser Region. Doch der rote Planet ist nicht allein am Nachthimmel. Alle anderen klassischen Planeten, von Merkur bis Saturn, sind ebenfalls zu sehen und formen zusammen ein kosmisches Weihnachtsbild. Merkur und Venus findet man in der Abenddämmerung im Südwesten. In der Adventszeit heben sich beide schnellen Wandler empor und erreichen zum Heiligabend ihren höchsten Stand. Was für ein Bild! Merkur, der Planet der Beziehung und Wandlung, und Venus, die Repräsentantin der Liebe, leuchten in die Nacht hinein. Das Bild unterstreicht, was die so oft beschriebene Erfahrung, der so oft vermittelte Ratschlag sind. Die Liebe wird beständig, wenn sie sich zu wandeln, wenn sie den anderen, die andere immer neu und anders ins Herz zu nehmen vermag. Das Mitgefühl vermag ‹mit›-zugehen, vermag neu sich hineinzuversetzen. «Siehe, ich mache alles neu», ruft Gott (Offenbarung 21;5), und es ist wohl Gott in uns, die Liebe, die das verspricht. Am Himmel ist es das Miteinander von Merkur und Venus, die es ins Bild bringen.

Mars zieht seine Schleife durch das Tierkreisbild Stier und ist am 8. Dezember der Erde so nahe wie erst in acht Jahren wieder. Aus: Sternkalender 2022/23.

Und Mars? «Es gibt nichts Gutes, außer man tut es», dichtet Erich Kästner in seinem Gedicht ‹Moral›. Fordert Merkur die Beweglichkeit der Liebe, so rufen Mars und Stier nach deren Verwirklichung.

Was im Nachklang wächst

Dann lohnt es sich, von Merkur und Venus am westlichen Horizont den Blick zu lösen und nach Süden zu lenken. Dort stehen die zwei fernen Wandler Jupiter und Saturn. Zu merkurieller Beweglichkeit und Tatkraft und Entschlossenheit des Mars geben die Planetenreisen einen dritten Ratschlag hinzu. Die beiden Wandler hatten Weihnachten 2020 ihre außerordentliche enge Konjunktion. So dicht wie seit 500 Jahren nicht mehr standen die beiden fernen Wandler beisammen. Außerdem ereignete sich die Konjunktion am Tag der Wintersonnenwende. An diesem Tag steht die physische Sonne am tiefsten, ist die Geburt der geistigen Sonne umso gegenwärtiger. Jetzt zieht Jupiter durch die Fische, ein Tierkreisbild, das wie Tastorgane zwei Sternenkreise an langen Sternenlinien in den Umkreis schickt. Jupiter im Bild des Wahrnehmens, das ist bewusstes, denkendes Wahrnehmen. Saturn zieht in den Wassermann ein und betont damit dessen Ausdruck: die Welt zu verwandeln. Saturn als Repräsentant von Innerlichkeit gibt der Verwandlung eine innerliche Tiefe. So kommt zum Ruf von Mars, seinen Willen zu fassen, und zum Ruf von Venus und Merkur, eine bewegliche Liebe hervorzubringen, ein dritter Ruf: mit Jupiters Geistesgegenwart wahrzunehmen und mit Saturns Innerlichkeit die Umgebung wie ein Wassermann zu segnen. Es sind kosmische Bilder am Abendhimmel, die sicher im Anblick noch mehr verraten als diese drei Rufe. Was sich beim Anblick des Winterhimmels wohl ausspricht, ist, dass jeder Ruf des Sternenzelts zugleich eine Quelle für Inspiration ist.


Siehe Wolfgang Held, Sternkalender 2023/24. Dornach 2022.

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare