Die Sonne in die Seele rufen

In der Osterzeit versammeln sich alle Planeten um die Sonne. Drei Konjunktionen in diesem österlichen Konzil weisen auf drei seelische Wege, den Geist in die Seele zu führen.


An Ostern ist die Gemeinschaft der zwölf um den Herrn, um ihre Sonne, versammelt, um die Verwandlung der Sonne, ihr großes Erde-Werden zu bezeugen. Leonardo da Vincis Abendmahl erzählt das Ungeheure. In einem Raum als Bild der von uns Menschen geschaffenen Welt, der menschlichen Welt auf der Erde, der Innenwelt, strahlt der Sohn der Sonne, strahlt die Sonne selbst und versammelt die Gemeinschaft um sich. Es geschieht das letzte Mal, dass die zwölf von und aus der Mitte der Sonne gesucht und geholt werden. Nach diesem Donnerstag sind sie es selbst, die sich finden sollen, finden mögen, um die Sonne unter sich aufgehen zu lassen. «Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter euch», so lautet das Versprechen. Es ist eines der schönsten und tiefsten Zeugnisse, dass der christliche Gott nicht entrückt in einem Jenseits thront, sondern hier ist, im Diesseits. «Ich bin bei euch alle Tage!», lautet der Bund. Es ist an der Gemeinschaft, die Sonne herbeizurufen, ihr eine neue Heimat zu geben. Diese Heimat hat Bedingungen: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt», sagt er und meint damit wohl auch: «Mein Reich ist für diese Welt und in dieser Welt», aber es ist nicht die alte, vertraute Welt, sondern eine neue Welt. Pfingsten empfinde ich als die flammende Wegzehrung für diesen Dienst, der Sonne Gastfreundschaft zu schenken, sich «in seinem Namen zu versammeln».

Der alte und der neue Bund

Die Feste wohl aller Religionen sind die wiederkehrende Antwort auf diesen Ruf des Himmels, im Zusammensein eine Schale für den Geist zu bilden – gemeinsam stehen wir um den Tannenbaum, stehen wir am Johannifeuer, gemeinsam holen wir früh das Osterwasser. Was im alten Bund der Mittelpunkt ist, um den sich die Gemeinschaft schart, ist im neuen Bund die Gemeinschaft selbst, aus deren Miteinander erst die Mitte wird. Geometrisch ist es die Umstülpung von Raum und Gegenraum: Euklidisch bildet sich ein Kreis aus dem gleichen Abstand von einem Mittelpunkt. Das Zentrum bestimmt und baut den Kreis. So hat es jeder gelernt: Man sticht mit der Zirkelspitze ins Blatt und schlägt den Kreis. Doch auch das Umgekehrte ist möglich: Es gruppieren sich Geraden zu einer Hüllkurve und lassen so einen Mittelpunkt entstehen. Dieser neue Mittelpunkt ist dynamisch, in fortwährendem Spiel mit dem Umkreis. Die vielen bauen das Zentrum, zeugen den neuen Bund.

Zeichnung: W. Held

Die Seele ruft den Geist

In der Osterzeit stellen sich nun alle Planeten in den Umkreis der Sonne. Eine Handbreit links der Sonne ziehen gemeinsam Jupiter und Uranus, eine Handbreit rechts des Zentralgestirns Mars in Konjunktion mit Saturn, und dazwischen wandern mit der Sonne Venus, Merkur und Neptun. Meistens verteilen sich die sieben Wandelsterne in der Weite des Tierkreises – jetzt versammeln sie sich in den drei Bildern Widder-Fische-Wassermann mit der Sonne in ihrer Mitte. Wie wäre es, wenn es nicht die Macht und Schwerkraft der Sonne ist, wodurch sich alle Planeten nach Ostern in ihren Umkreis stellen, sondern wenn es die Planeten selbst sind, die dieses solare Konzil möglich machen? So wie die sieben Farben alle im Weiß verborgen und geborgen sind, den Geist des Lichtes als Farben seelisch greifbar machen, so ist es für eine spirituelle Kosmologie mit der Sonne und den Planeten. Das Ein und Alles, für das die Sonne steht, das entfalten sie zu einem siebenstimmigen seelischen Chor. Sie verräumlichen in ihren Umläufen, verzeitlichen in ihren Rhythmen, was die Sonne geistig in jedem Moment und in alle Zeit bedeutet – der Geist wird Seele. Es ist eine Selbstverständlichkeit und doch sagt es viel: Die Sonne können wir nicht anschauen. Faust, gerade aus Schuld neu geboren, spricht es aus. Er sucht den Glanz der Sonne und dann: «leider schon geblendet, kehr’ ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.» Wie die Planeten sind es die Farben, die sich ihm zeigen und den Geist schenken und ihn seinen Hymnus an Leben und Werden enden lassen: «Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.» Das kosmische Leben, die Farben der Sonne, das sind die Planeten, und nun drängen sie sich zur Sonne. Wenn man Johannes Kepler folgt, die «gefügen Winkel», also die besonderen Stellungen der Planeten, als «Sackpfeife für den dösenden Bauern», «Marschtrommel für den schlummernden Soldaten» zu nehmen, dann sind Konstellationen, wie jetzt zu Ostern, Aufruf und Ermutigung, es den Planeten gleichzutun: die Seele so zu fassen, so ihren Lauf zu bestimmen, dass der Geist in ihre Mitte fährt.

Im Willen reifen, im Denken entgrenzen

An der Konstellation buchstabiert, bedeutet das, wie am Himmel Mars und Saturn beisammenstehen, auch in der Seele eins werden zu lassen: den Willen innerlich zu weiten und zu reifen, ihm saturnische Tiefe zu geben. Die Natur zeigt diese Vereinigung übrigens in der Kiefer. Unter den Nadelbäumen, bei denen das Lebenvom Blatt zur Nadel sich saturnisch verdichtet, ist die Kiefer der Baum, der dabei die Willenskraft des Mars hinzunimmt. Links der Sonne gibt es eine zweite Konjunktion: Uranus und Jupiter im Widder, am Anfang des Tierkreises. Uranus ist ein Grenzplanet. Mit 84 Jahren Umlaufszeit begrenzt er die menschliche Biografie, mit seiner Helligkeit von 6.0 mag ist er gerade unter besten Bedingungen mit bloßem Auge zu sehen. So möchte ich hier die Konjunktion von Jupiter, dem Planeten der Erkenntnis, und dem fernen Uranus elementar lesen: mit dem Denken, Erkennen und Verstehen wie Uranus an die Grenze gehen, sie überschreiten. Das, so lehrt es der Mythos, führt an den Quellort, dorthin, wo alles beginnt. Im griechischen Mythos ist Uranus der Schöpfergott, der Mann der Erdgöttin Gaia. Die Namen der transsaturnischen Planeten sind in der Neuzeit gegeben worden, aber es scheint doch, dass diese kosmischen Taufen höher inspiriert wurden. Uranus ist im griechischen Mythos der Schöpfergott, der Anfang des Anfangs, er zeugt die zwölf Titanen, aus denen dann durch Chronos und Rhea die olympischen Götter hervorgehen.

Umrahmt von den Konjunktionen Mars-Saturn und Jupiter-Uranus stehen bei der Sonne die übrigen drei Wandler, der fernste, Neptun, und die nächsten, Merkur und Venus. Hier nehme ich das Bild erneut im Holzschnitt: Venus steht bei Merkur und Neptun, beim beweglichsten und beim fernsten Planeten. Vielleicht ist das der österliche Ruf, in allem, was wir lieben, beweglich wie Merkur und weit wie Neptun zu werden. Der dreifache österlich-kosmische Rufe gilt den drei michaelischen Tugenden Liebe, Stärke, Weisheit. Es ist ein Ruf, die Seele geistig werden zu lassen, in ihre Mitte die Sonne zu senken. Das gelingt, wenn man, wie die Konjunktion von Mars und Saturn es zeigt, dem Willen saturnische Tiefe verleiht, und wie die Konjunktion von Uranus und Jupiter es zeigt, das Erkennen an die Grenze führt, und wie es Venus zwischen Merkur und Neptun zeigt, die Liebe beweglich weit werden lässen.


Siehe Wolfgang Held, Sternkalender 2024/25, Dornach 2023

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