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Die Mysterien der Zukunft. Vom Lebenswerk Sergej O. Prokofieffs

Nach Sergej Prokofieffs frühem Tod im Jahr 2014 haben an verschiedenen Orten – von Berlin bis St. Petersburg – Gedenkabende stattgefunden, an denen Peter Selg Vorträge über Leben und Werk seines Freundes und Kollegen gehalten hat. Er verstand sie als «Zeichen des Dankes, aber auch des Eingedenk-Seins, des Denkens und Bedenkens» Diese Vorträge sind nun als Buch erschienen.


Als Freund und Weggenosse Sergej Prokofieffs gibt Peter Selg Einblicke in dessen Werk und lässt den Leser teilhaben an autobiografischen Hintergründen und Details. Das erste Kapitel des Buches veranschaulicht familiäre Bezüge und zeigt, was die Diktatur in Russland für sie konkret bedeutete, aber auch, wie durch diese das Haus von Max Woloschin auf der Krim für Prokofieff früh die Möglichkeit mit sich brachte, der vom Regime verbotenen Anthroposophie zu begegnen. In seinem späteren Leben hat Prokofieff immer in den objektiven Geist- und Gedankenbezügen der Anthroposophie gelebt und aus ihnen gesprochen und gehandelt. Seine Biografie und sein persönliches Leben hatte er komplett in den Dienst der anthroposophischen Sache gestellt und es wenig thematisiert. Man musste ihm nahestehen, um davon zu erfahren. Gerade wie Autobiografisches und Überpersönliches von Sergej Prokofieff im vorliegenden Buch durch den Blick des Freundes zusammengeführt und ineinandergewoben werden, empfinde ich als außerordentlich wichtig. Dadurch kann ein Mensch hervortreten, in dessen Schaffen sich Menschsein und Geistsein verbunden haben. Er wurde auf der einen Seite sehr verehrt; manchmal auch als Ausdruck der Unselbstständigkeit der jeweiligen Person. Andererseits gab es viele negative Urteile über Sergej Prokofieff. Auch solche, die aus einer stark verkürzten Perspektive stammten und oft mehr über diejenigen aussagten, die diese Urteile äußerten. Selg spart das nicht aus. Viele gerade wissenschaftlich geschulte Anthroposophen haben die Bedeutung von Sergej Prokofieff nicht sehen wollen. Es war schwierig für sie, die eigene Seele so zu weiten, dass sie zu einer Anerkennung des anderen gekommen wären. Peter Selg gelingt dies. Wohl in dem Sinne, wie sich einmal Schiller bezüglich seines Verhältnisses zu Goethe äußerte: «Wie lebhaft habe ich bei dieser Gelegenheit erfahren, dass das Vortreffliche eine Macht ist, dass es auf selbstsüchtige Gemüter auch nur als eine Macht wirken kann, dass es dem Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt als die Liebe.»

Das zweite Kapitel handelt von den geistigen Aufgaben Mittel- und Osteuropas, dann folgt ein Kapitel zu Novalis und Schiller und erst an dritter Stelle kommt das Kapitel zu Prokofieffs erstem Buch ‹Rudolf Steiner und die Grundlegung der neuen Mysterien›. Hier erfahren wir wieder Autobiografisches, zum Beispiel von den hohen Risiken, die die Veröffentlichung dieses Buches im Westen im Jahr 1982 für den noch in der Sowjetunion Weilenden bedeutete. Das Manuskript war 1981 heimlich in den Westen gebracht worden. Im Bewusstsein der Unaufschiebbarkeit der Aufgaben, die zu verwirklichen er als die Aufgabe der Anthroposophischen Gesellschaft sah, ging er diese Risiken ein. Bis zu diesem Zeitpunkt herrschte ein eher statisches Bild von der Einweihung Rudolf Steiners. Sergej Prokofieff zeigte Rudolf Steiners esoterischen Entwicklungsweg prägnant und sehr berührend auf.

Weitere Kapitel sind der Weihnachtstagung, der Bedeutung des Verzeihens, dem Christus im Ätherischen, der Beziehung zu Rudolf Steiner gewidmet. Peter Selg gelingt es, die wesentlichen Gesichtspunkte aus Prokofieffs Büchern zu bündeln, sodass der Leser klare Überblicke und Vertiefungen bekommt. Auch als Einführung eignet sich die vorliegende Publikation.

Selg zeichnet Leben und Werk so nach, dass er sich eigener Urteile vollständig enthält. Ich habe das beim Lesen des Buches auf der einen Seite bewundert. Aber mich dann doch an einigen Stellen gefragt: Wäre es nicht manchmal wichtig gewesen, noch eine andere Perspektive dazuzustellen? Auch im Blick auf den Verstorbenen, dem Selg einen Freundschaftsdienst erweisen will? Denn gerade der Verstorbene sieht aus seiner jetzigen Perspektive sehr deutlich auch das, was ihm nicht gelang, was er nicht vermochte oder was er heute anders machen würde. Und Brücken zu anderen Menschen werden mitunter gerade dadurch gebaut, dass Ehrlichkeit herrscht in Bezug auf derartige Punkte. So hätte zum Beispiel in Bezug auf Prokofieffs Arbeiten zur ‹Philosophie der Freiheit›, in denen er den christologischen Charakter dieser Frühschrift nachweist und damit der Interpretationsrichtung widerspricht, die das Frühwerk scharf von der später entstehenden Anthroposophie unterscheidet, eine Anmerkung gutgetan. Eine Anmerkung, die vermerkt, dass die Fähigkeit der Beobachtung des eigenen Denkens im Sinne der ‹Philosophie der Freiheit› nicht das war, worauf Prokofieff den Blick zu lenken vermochte.

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