Die Erde als lebendiges Wesen

Unter dem Titel ‹Der Geist der Erde. Unsere Welt als lebendiges Wesen› publizierte Wolfgang Schad (1935–2022) sein letztes Buch. Er verstarb im Dezember 2022 vor der Drucklegung.


Schad war Naturwissenschaftler und Anthroposoph, langjähriger Waldorflehrer und ab 1975 Dozent am Seminar für Waldorfpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart. Er leitete dort die Pädagogische Forschungsstelle des Bundes der Waldorfschulen in Deutschland und das Freie Hochschulkolleg Stuttgart. 1992 gründete er das Institut für Evolutionsbiologie und Morphologie an der Universität Witten/Herdecke, das er bis 2005 leitete. Er etablierte durch verschiedene Schriften den Begriff Goetheanismus im Umfeld der akademischen Naturwissenschaften.

Die vorliegende Arbeit will vor allem in einer phänomenologischen Betrachtung nachweisen, dass die Erde ein lebendiges Wesen ist. Eine für die herrschende Naturwissenschaft eher ungewöhnliche Problemstellung. Das Buch hat drei Schwerpunkte: 1. Die geologischen und klimatischen objektiven Prozesse auf verschiedenen Kontinenten und der Erde insgesamt. 2. Die Erdenseele. 3. Der Geist der Erde.

Schad charakterisiert die objektiven Bedingungen in Europa, Ostafrika und Südost-Asien. Europa hat dabei klimatisch ausgewogene Bedingungen. «Somit stellt sich ganz Europa als ein erstaunenswert organismisch gestalteter eigener, also klimatisch selbständiger Kontinent dar, der mehr ist als ein wesentliches Anhängsel des großen Asiens.» Auch neuere Forschungen sprechen vom System Erde als einem beweglichen Organismus. «Diese und viele weitere Entdeckungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben den englischen Physiologen James Lovelock dazu veranlasst, den Planeten Erde als einen lebendigen Organismus zu bezeichnen, aber auch ebenso als ein beseeltes Lebewesen, das seine Lebensprozesse fühlt und empfindet.»

Die wissenschaftliche Erfassung des Lebendigen muss noch geleistet werden. Das einseitige naturwissenschaftliche Denken hat zur Entfremdung des Menschen von der Natur geführt. «Diese maximale Entfremdung des Menschen von der Mutter Erde ist seit Neuestem zur größten Gefahr für sie selbst geworden. Es gibt inzwischen keine Stelle der Erde, die nicht technologisch verschmutzt ist.» Die reine naturwissenschaftliche und technologische Sichtweise muss erweitert und überwunden werden. «Die Naturwissenschaften werden dann zum welttauglichen Kulturleben, wenn Geologie, Biologie und Anthropologie in diesem Sinne zu Geosophie, Biosophie und Anthroposophie werden.» Geist ist auch in der Wirklichkeit kein fertiger Zustand, sondern dort vorhanden, wo sich etwas Unvorhersehbares neu auftut, wo die innovativen Aufbrüche geschehen, wo sich etwas Vorwärtsschaffendes in der Welt bewegt, wo etwas Erneuerndes ausgeht, eben echte Entwicklung geschieht.

Als Goetheanist öffnet der Autor eine große Sicht auf die Lebendigkeit der Schöpfung, die den Menschen in Einklang mit der göttlichen Natur und dem Kosmos zeigt. Dabei wird auch der Zeitbegriff immer wieder differenziert. «Zugleich trägt diese dynamische Gegenwart die im Prinzip unbeschränkte Potenz zur Weitergabe als gegenwärtige Zukunft in sich. Leben läuft also nicht nur in der physikalischen Newtonzeit linear im Nacheinander ab, sondern besteht in der fortwährenden Einbindung seiner festgelegten Vergangenheit und offenen Zukunft in die Gegenwart. Die Gegenwart im Leben ist seine gleichzeitige Vergangenheit und Zukunft.» Die mehrperspektivische Betrachtungsweise ist ein Augenöffner gegenüber einem erdrückenden, technokratischen Schöpfungs- und Naturverständnis.


Buch Wolfgang Schad: Der Geist der Erde. Unsere Welt als lebendiges Wesen, Rosenkreuz Verlag Birnbach 2023

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