Das ganze Wesen des Tieres

Das neue Buch von Craig Holdrege ist das Ergebnis seiner jahrzehntelangen Erforschung von Tieren und ihrer Biologie. Es ist ein Beitrag zu Zoologie und Evolution, und zur Wissenschaftsphilosophie.


Die Bedeutung des Buches zeigt ihr wahres Ausmaß vor dem Hintergrund der bohrenden Fragen von Hannah Arendt: Können wir einen Weg finden, die Welt genug zu lieben, um Verantwortung für sie zu übernehmen? Wie können wir diese Frage in unserer sich verschärfenden Umweltkrise beantworten, die unweigerlich mit unserem Leben und unserer Kultur verbunden ist? Kann unser Wissen selbst die Liebe zur Erde und den Impuls zur Übernahme von Verantwortung hervorbringen? Anhand von Studien über den Amerikanischen Bison, über Giraffe, Faultier, Zebra, Löwe, Elefant, Maulwurf, Frosch und Milchkuh bietet Holdrege eine einzigartige und bejahende Antwort auf diese Frage. Sein Ansatz, der aus einer Forschungsgemeinschaft hervorgegangen ist, die bis zu Goethe zurückreicht, beinhaltet nicht nur eine andere Sichtweise auf herkömmliche Erkenntnisse, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten, um über Evolution, pädomorphe Tendenzen, den Begriff der Grenzen eines Organismus und ethische Dimensionen der Tierdomestikation nachzudenken. Holdrege verbindet in seinem Werk praktische zoologische Forschung mit größeren philosophischen Fragen. Diese neuen Orientierungen hängen mit der Art zusammen, wie man denkt, nicht nur mit dem, was man denkt. Wie der geniale Biologe Adolf Portmann, der eindringlich die Unzulänglichkeit einer Erforschung des Lebens aufzeigte, die keine ästhetischen und bildhaften Urteilsformen entwickelt, zeigt Holdrege die Bedeutung einer ‹unentwickelten› Form des Denkens. Er beschreibt einen Weg, auf dem aufmerksames Beobachten, kombiniert mit bildhaften Praktiken des Denkens, zu tiefen Wahrnehmungshorizonten und lebendigen Einsichten führt, zu einer ‹Biologie des Seins›, die Verbundenheit stiftet.


Buch Craig Holdrege, Seeing the animal whole and why it matters, Lindisfarne Books, Great Barrington 2021

Grafik: Fabian Roschka

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