Eine Arbeitsgruppe der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland (AGiD) hat sieben Gründe formuliert, die erklären, warum Anthroposophie und Rechtsextremismus unvereinbar sind. Eine Zusammenfassung.
Als Grund Nummer eins nennen die Verfassenden der Argumentation den Fakt, dass die anthroposophische Philosophie und Praxis im Kern eine Philosophie der Freiheit und der individuellen Entwicklung des Menschen ist. Dementsprechend stellt sie sich jeder Form von Kollektivismus, Nationalismus und somit auch Rassismus entgegen. Zweitens wurden die Anthroposophie und Rudolf Steiner als ihr Begründer seit jeher von Nationalsozialisten abgelehnt. 1922 beispielsweise verübte eine bewaffnete NS-Gruppe einen Anschlag auf Steiner, dem er nur knapp entkam. Grund Nummer drei weist darauf hin, dass Vertreter des Nationalsozialismus die Philosophie der Anthroposophie schon in den 1920ern als ‹staatsgefährdendes› und ‹international eingestelltes› Feindbild ansahen. Die auf das Individuum ausgerichtete Waldorfpädagogik stand zudem in starkem Kontrast zu den nationalsozialistischen Erziehungsgrundsätzen von Gleichschaltung und Kollektivismus. Unter dem NS-Regime wurden anthroposophische Einrichtungen und Waldorfschulen deshalb geschlossen und verboten. Viertens konnte bereits 1923 jede Person Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft werden, unabhängig von ihrem nationalen oder religiösen Hintergrund. Auch heute positionieren sich anthroposophische und waldorfpädagogische Einrichtungen in öffentlichen Stellungnahmen sowie in ihrer täglichen Praxis klar gegen jede Form von Rassismus. Grund Nummer fünf ist, dass die Philosophie der Anthroposophie und Praxis durch ihren lebensreformerischen und zivilgesellschaftlichen Ansatz basierend auf dem deutschen Grundgesetz in eindeutigem Widerspruch zu radikalisierten Einstellungen steht. Sechstens grenzt sich die Anthroposophie mit ihrer Idee der geistigen, allgemeinmenschlichen Individualität von einem reduktionistischen und identitären Menschenbild ab. Körperliche, soziologische und kulturelle Merkmale spielen für diese geistige Individualität und Identitätsbildung keine Rolle. Als siebten Grund nennen die Verfassenden die anthroposophischen Werte der freien Entfaltung jeder Individualität und der Verantwortungsübernahme aus Einsicht. Dafür sind gesellschaftliche Rahmenbedingungen notwendig, die mit Rechtsradikalismus nicht vereinbar sind, wie beispielsweise die Freiheit von Wissenschaft, Kunst und Religion sowie die Meinungsfreiheit, die Demokratie und Pluralismus als Grundlagen des Zusammenlebens und weiterhin eine freie, solidarische und nachhaltige Wirtschaft.
Mehr Anthroposophie gegen Rassismus
Foto Markus Winkler
Wichtiges Thema. Warum so lieblos aufbereitet? Wirkt wie eine lästige Pflichtübung.
Im Goetheanum Ausgabe 51-52/23, S. 3 geht PB (Paula Boslau?) auf die Unverträglichkeit von Anthroposophie und Rechtsextremismus ein. Besonders im siebten Grund (von sieben) trifft sie dabei das Grundsätzliche.
Rechte Denkweise und Anthroposophie stehen sich unvereinbar gegenüber. Und doch wird Rudolf Steiner oft rassistische Ansicht vorgeworfen, weil er den Völkern der Erde besonderes Wirken in der Entwicklung der Menschheit zugeschrieben hat. Ist es Rassismus, wenn er dem Judentum die Vorbereitung des Christentums bestätigt und zugleich bedauert, dass die Juden selbst es nicht aufgegriffen haben? Ist das einer der Gründe, weshalb in praktizierten christlichen Religionen bis heute die Nähe zum Göttlichen Geist fehlt?
Jede Zeit gebiert neue Impulse. Deutlich ist, dass die Französische Revolution einen Geist der Freiheit auf den Weg gebracht hat. Der war eine Voraussetzung für die Philosophie des Werdens, wie sie der deutsche Goethe angesagt hat und die von Rudolf Steiner weiterentwickelt wurde? Ist es Rassismus, zu erwarten, dass diese Philosophie von slawischen Völkern verinnerlicht, verseelt wird, um Werte zu auszuformen und in der Individualität des Menschen zu festigen, ein weiteres Niveau der Menschwerdung zu betreten? Wenn Rudolf Steiner den Völkerschaften verschiedene Qualitäten, Eigenschaften und Aufgaben zuspricht, dann ist das kein Rassismus, sondern offensichtliche Realität. Dass er sich in der Sprache seiner Zeit ausgedrückt hat, müssen wir tolerieren. Seine Aussagen haben mit Erkenntnis und nichts mit Rassismus zu tun. Gleichmacherei wäre ungerecht. Fatal wird es, wenn die Impulse der Zeit nicht aufgegriffen oder gar unterdrückt werden.
Die Entwicklung in der materiellen Welt tut Riesenschritte. Dabei stellen sich auch seelische und geistige Bedürfnisse ein, die erfüllt werden müssen. Die neu geschaffenen Möglichkeiten in der materiellen Welt müssen von der Seele harmonisiert, so geläutert vom Geist durchdrungen werden. Erst dann werden sie zu einem Schritt in der Schöpfung. Die Seele lässt sich nicht abschaffen. Ohne sie wären wir keine Menschen.
Es erstaunt nicht, dass Angriffe gegen die Anthroposophie von den Kräften vorgetragen werden, die sich konservativ nennen und vor allem nach Macht streben. Das wäre freilich noch legal, wenn sie nicht versuchten, die Schöpfung im Seelischen und Geistigen auszubremsen oder gar anzuhalten. Subtilen Versuchen begegnen wir fast täglich. Die extreme AfD bekennt sich dazu und schreibt in Ihrem Parteiprogramm, „Wir glauben nicht an die Heraufkunft eines besseren Menschen.“ Damit wollen sie ihre Absicht rechtfertigen, die Menschen mit einer Führungsriege oder gar einem „Führer“ zu beglücken. Wer die Vergangenheit zur Gegenwart macht, geht immer rückwärts.
Wir brauchen eine neue Sachlichkeit. Jenseits von Rechthaberei, Konfrontation und Machtstreben betreten wir den Weg der geläuterten Erkenntnisse, der Weisheit.
Gebhard Xaver Bock
Inhaltlich bin ich ganz einverstanden, aber die Formulierung der Gründe 2 und 3 von der Haltung der Nationalsozialisten her ist unglücklich oder sogar gefährlich. Es stelt sich sofort die Frage, wie denn die Vereinbarkeit von den Anthroposophen gesehen worden wäre, hätten die Nationalsozialisten die Anthroposophie nicht abgelehnt, sondern begrüßt, umarmen und vereinnnahmen wollen. Es wäre also deutlich sinnvoller, die Gründe von der Sichtweise der Anthroposophie her zu formulieren, etwa „Anthroposophen haben Widerstand geleistet“ (oder war das nicht der Fall?).