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Adventsimagination

Nun beginnt der Wagen der heiligen Nächte langsam an unserem Seelenhorizont heraufzuziehen. Er ist rot und leuchtend, wie eine große Schale aus Rubin, deren sonnenhaft strahlenden Kern man nicht sieht, der sich aber in dem Glanz offenbart, der von dem Wagen ausgeht.


Köstlicher als eine untergehende Sonne im Purpurgewand steht er hinter unserem abendlich dunklen Horizont. Langsam rollt das erste der vier goldenen Räder herauf: ‹Ahnung› ist sein Name und Ahnung geht auf in unseren Herzen. Ahnung … das Rad, das durch die Jahrhunderte rollte, bevor der rubinrote Wagen am Himmel erschien; Messiasahnung einer ganzen Welt; golden am dunklen Horizont, vorverkündend ein Licht, das kommen soll. – ‹Andacht›, das zweite Rad ist im Gegenüber. In Andacht öffnet sich das Herz dem heranrollenden Gefährt der Offenbarung. Andacht, das Rad, das die Ahnung ins Gleichgewicht hebt; Kerze das eine, Flamme das andere, sie tragen den ersten Teil des Wagens langsam empor, und der Himmel übergießt sich mit dem rubinroten Licht wie ein Antlitz, das von Freude durchglüht wird. ‹Ankunft› donnert das dritte Rad, und der ganze Wagen beginnt, sichtbar zu werden. ‹Anbetung› antwortet die Welt und das vierte Rad hebt ihn vollends empor. Geschenkt in Ahnung und Ankunft, empfangen in Andacht und Anbetung, senkt sich der Wagen der Gnade und lässt erschauen die Sonnenkraft der Welt, die sich klein gemacht hat zu einem Erdenkind, das im rubinroten Licht der göttlichen Liebe herangefahren ist und unter uns Wohnung nimmt. Es hat den rubinroten Wagen der göttlichen Liebe hineingesenkt in das menschliche Blut. In diesem Wagen fährt der göttliche Geist nun daher und dieses Gefährt versenkt er wie einen Wunderschatz in der Erde.

Jedes Mal in den heiligen Nächten aber beginnt er aufs Neue emporzusteigen und ein Stück verwandelter Erde mit sich zu nehmen und darzubieten den Himmeln. Von Geistersturm umbraust, feiert er Auferstehung und Pfingsten zugleich. Mächtiger von einem Jahrhundert zum anderen wächst das Gefährt von dem Blut, das Menschen umwandeln in das rubinrote Licht scheinender Götterliebe. – Der Gott, der einst in der Sonnenbarke des Lichtes einherfuhr, begehrt nun, in der rubinroten Barke verwandelten Erdenblutes – als in einem Gefährt der Liebe –, mit uns zu reisen. Die Sonne ist im Kosmos ‹Barke des Lichts›; die Erde soll dem Kosmos ‹Barke der Liebe› werden.


Hella Krause-Zimmer, 1947

Bild: Christgeburt von Albert Steffen. Quelle: Albert Steffen Stiftung, Aus der Bildmappe «Weihnachtsbilder».

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