Angelika Feind-Laurents hat sich in ihrer neuen Publikation eines spannenden Themas angenommen. Sie schaut auf die spezifisch von Männern ausgeführte Eurythmie.
Ein inhaltlicher Schwerpunkt zeigt sich durch die Titelwahl der Publikation: Dort wird Männereurythmie und Dramatische Eurythmie quasi als ‹Parallelprozess› charakterisiert. Die Autorin fächert das gewählte Thema geschickt auf. Nach einem knapp gehaltenen Abriss über die Entwicklung der Eurythmie werden diejenigen Hinweise zusammengetragen, die noch aus dem direkten Umfeld von Rudolf Steiners Arbeit stammen. Wie Feind-Laurents durch das Aneinanderreihen verschiedener Zeitzeugenberichte deutlich macht, ist die Ausarbeitung männlicher Eurythmie unter Rudolf Steiner nur in fragmentarischen Andeutungen erhalten. Lesende, die an dieser Stelle eine Fülle an originalen Angaben durch den Schöpfer der neuen Bewegungskunst erwarten, könnten also enttäuscht sein. Es zeigt sich aber im Verlauf, dass auch diese wenigen Hinweise Rudolf Steiners ebenso wie die von Marie Steiner und anderen Mitarbeitenden zentrale Aspekte aufweisen, die von den Eurythmisten der damaligen Zeit und späteren Künstlern entsprechend aufgenommen und ausgearbeitet wurden. Dass Steiner diese Entwicklung, also den Einbezug männlicher Ausführender in die Eurythmiearbeit, aufs Herzlichste begrüßte, zeigt zum Beispiel ein Zitat von Ralph Kux aus dessen Erinnerungen: «Er [Rudolf Steiner] freute sich offensichtlich über das Auftreten einer Herren-Gruppe, wenn es auch noch so primitiv und unbeholfen war. Er sah darin einen Anfang, der seine geistige Bedeutung auf jeden Fall nicht verlieren würde.» (S. 26)
Zwei Biografien stehen beispielhaft dafür. Ihnen wendet sich Angelika Feind ausführlich zu: Lothar Linde und Werner Barfod. Beide Persönlichkeiten waren über Jahrzehnte prägend für die Weiterentwicklung gerade auch der Männereurythmie am Goetheanum und darüber hinaus. Über Linde, Neffe des bedeutenden Malers Hermann Linde, berichtet die Autorin, damit dessen spezifischen Arbeitsschwerpunkt charakterisierend: «Die Entwicklung der Männer-Eurythmie war ihm ein starkes Anliegen; für Männer hatte Marie Steiner die Dramatische Eurythmie als besonders angemessen bezeichnet, und die Arbeit an dramatischen Gestalten hat er denn auch besonders intensiv betrieben […].» (S. 42) Durch die Aneinanderreihung persönlicher Erinnerungen, Tagebuchauszüge und Berichte von Menschen, die mit Linde zu tun hatten – er starb 1979 –, entsteht ein aufschlussreiches Lebensbild, das gerade die künstlerischen Tendenzen eines Menschen in den Fokus stellt, der Rudolf Steiner und die Arbeit am Ersten Goetheanum noch persönlich erlebt hatte. Werner Barfods Arbeit an der Goetheanumbühne wird für viele Lesende noch in Erinnerung sein. Er selbst beschloss, sich als Zwanzigjähriger dieser Bewegungskunst beruflich zuzuwenden: «Mein Ziel war die Heileurythmie. Im Studium entdeckte ich die Eurythmie als Kunst für alles Weitere.» (S. 69) Dass Werner Barfod intensiv mit Lothar Linde zusammenarbeiten konnte, beschrieb er selbst als Schicksalsfreundschaft. Auch hier zeichnet die Autorin ein lebendiges Erinnerungsbild durch Wiedergabe zahlreicher persönlicher Erlebnisse von Weggefährten des Porträtierten. Mit welchem Ernst Barfod sich der neuen Kunst zuwandte, mag das folgende Zitat verdeutlichen: «Eine große Verantwortung trägt der Eurythmist, jedenfalls, wenn er die tiefere, die immer anwesende spirituelle Bedeutung seiner Gebärden im Bewusstsein haben möchte.» (S. 129)
Durch Beiträge der Autorinnen und Autoren Jasmina Bogdanovic, Emile Cnoops, Babtiste Hogrefe, Michael Leber und Don Vollen wird Angelika Feindt-Laurents’ Schrift in schönster Weise ergänzt. Erwähnenswert an dieser Stelle ist vor allem ein größerer Bericht von Johannes Greiner, der in ganz wunderbarer Weise über seine Schülerschaft und Zusammenarbeit mit dem allzu früh verstorbenen Christoph Graf berichtet. In diesem abschließenden Kapitel werden viele das Gesamtthema berührende Aspekte angesprochen. Dadurch können, gleichsam abrundend wie auch bedeutende Perspektiven öffnend, die im Vorfeld erläuterten Sachverhalte noch einmal unter neuen Aspekten beleuchtet und erweitert werden. Die Lektüre dieses ebenso abwechslungs- wie kenntnisreich geschriebenen Buches sei allen empfohlen, die sich mit der Eurythmie beschäftigen, und auch jenen, die neue Einsichten in historische Geschehnisse im Umfeld der Entstehung der neuen Bewegungskunst erfahren möchten.
Buch Angelika Feind-Laurents: Männer-Eurythmie und Dramatische Eurythmie – Ein Parallelprozess. Mit Lebensbildern von Lothar Linde und Werner Barfod. Verlag am Goetheanum, Dornach 2024