Was im Zwischenraum entsteht

Über sieben Jahre unterrichtete sie Studierende des Anthroposophic Foundation Course anhand der Grundwerken Rudolf Steiners. Sie war mit Virginia Sease verantwortlich für das English Studies Program und dessen Übergang zu den Internationalen Anthroposophischen Studien. Von 2013 bis 2020 war sie Mitglied des Vorstands der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und ist derzeit Projektleiterin des World Social Initiative Forum. Ein Dank an Joan Sleigh.


Joan beginnt den Unterricht jeden Tag mit einer Frage, einer Einladung zu einer Begegnung. Das ist die Chance, Verbindungen neu zu knüpfen. Sie schafft eine Lernatmosphäre, in der Multikulturalität im Zentrum steht. Ob es sich um die Pflanzenbetrachtung in der ‹Theosophie› handelt oder um das Nachdenken über die erste Zeile in ‹Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten›, sie entwickelt einen Raum des Zuhörens, in dem jeder Studierende seinen einzigartigen und persönlichen Standpunkt teilt, der wertvoll für die Vollendung des objektiven Ganzen ist. Durch ihre Authentizität und Fürsorge fühlt sich jeder gleichberechtigt anerkannt, sein Selbst zu sein und seinen Beitrag in der Runde zu leisten.

Als Tochter der Camphill-Pioniere in Südafrika Julian und Renate Sleigh, ist Joan, in Capetown aufgewachsen, tief in einer kosmopolitischen Anschauung der Gesellschaft verankert, in der sie Menschenwürde, Vielfalt und Inklusivität wahrt. Dieses Bewusstsein bringt sie während ihres Einsatzes im Exekutivrat ein, wenn sie sich mit verschiedenen Generalsekretären und Mitgliedern der anthroposophischen Gesellschaften und der ‹Ersten Klasse› weltweit trifft und mit ihnen in Verbindung tritt.

Soziale Initiative

Eine kosmopolitische Gesellschaft, welche die Entfaltung des individuellen Potenzials in Freiheit und Verantwortung bei der Schaffung einer menschlichen Welt unterstützt, steht auch im Mittelpunkt des World Social Initiative Forum – eines Projekts, das sie derzeit leitet. Dort werden internationale Foren und Online-Webinare mit spirituell inspirierten Initiativen organisiert, die sich mit Armut, Marginalisierung und sozialer Ungerechtigkeit befassen. Joan, ihr Team und die Gründer Ute Craemer und Truus Geraets tragen das Leitbild: dass jede soziale Initiative, die von der Anthroposophie inspiriert oder von einem spirituellen Kern bewegt wird, sichtbar wird. Dadurch eröffnet sie die Chance, von Jung und Alt ausgehende Impulse zu geben.

Diese intergenerationelle Verbindung wurde nicht nur am World Social Initiative Forum 2019 in Sekem/Ägypten erlebt, sondern wurzelt nun auch in Dornach. Zu Beginn von Covid-19 in Europa startete Joan Sleigh ein lokales Projekt, in dem sie vier Einwohner und sieben Studierende am Goetheanum zu monatlichen Treffen zu kulturellem Austausch, intergenerationeller Begegnung und Gesprächen über interessante Themen wie ‹Gibt es einen sozialen Bedarf in Dornach?› einlud. Dieser Kreis (‹Circle of Abundance›) ist inzwischen auf 20 Freunde angewachsen.

Kreis der Fülle

Ihr Großvater Karl König sagte einmal in einem seiner Sozialvorträge: «Dadurch, dass dieses Wesen [Michael] auf das wartet, was wir tun, und nicht auf das, was von uns verlangt oder erzwungen wird, wird uns die Möglichkeit geboten, das für unsere Zeit Wesentlichste zu entwickeln: Initiative.»1 Joan verkörpert genau das – eine Initiativenergreiferin. Sie betont im Unterricht: «In jedem Menschen schlummern Fähigkeiten, von denen er sich die Kenntnis höherer Welten aneignen kann.»2 Dann fragt sie ihre Studierenden: «Was ist es, das in uns schlummert und geweckt werden will? Wie machen wir das?» Ihre Antwort? «Üben, üben, üben.» Immer in die Tat zu kommen. Joan hat ihre Studierenden und die Menschen, denen sie begegnet ist, dazu befähigt, genau das zu tun. Ihre Potenziale zu wecken, um sich zu eigen zu machen, wer sie werden können, und dem zu begegnen, was der andere wirklich ist. Bei ihr lernte ich das Potenzial dessen kennen, was in den Räumen entsteht, die wir schaffen, in uns selbst und mit anderen. Und eine veränderte Gesellschaft kann nur dort leben, wo es einen Raum gibt, in dem sich das individuelle Potenzial frei entfalten kann, wo die Menschenwürde gewahrt wird, wo man sich durch gegenseitige Unterstützung befähigt und wo man dem Geist in jedem Lebewesen begegnet, das man trifft. Dafür bin ich ihr immer dankbar.

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Footnotes

  1. Karl König, Becoming Human – A Social Task. Floris Books, Edinburgh 2011, S.158. Lecture: Temple Building & Community Building – Goetheanism & Goetheanum, 29 September 1964. Föhrenbühl.
  2. Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? Rudolf-Steiner-Verlag, Basel 2019 (English: Knowledge of Higher Worlds: How is it achieved? Translated by Osmond Davy. East Sussex. Rudolf Steiner Press 2004)

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