exc-5bda094d03ce645193157cbe

Transhumanismus: Das Ende des Menschen?

Vom 7. bis 9. September 2018 fand am Goetheanum eine außergewöhnliche Tagung statt: eine Kulturtagung zum Thema transhumanistischer Zukunftsvisionen. Außergewöhnlich nicht nur wegen des Veranstaltungsortes, sondern weil sich zu diesem hochaktuellen Thema Referenten äußerten, deren berufliche Herkunft nicht unterschiedlicher sein könnte.


Wir steuern mit Riesenschritten, befeuert von Milliarden an Stiftungsgeldern, auf den künstlichen Menschen zu. 2045 soll es so weit sein, dass Mensch und Maschine eins sind, die Sterblichkeit besiegt und die humane Selbstbestimmung in die algorithmische Fremdsteuerung übergegangen ist.

Dabei fängt alles ganz harmlos bei jedem selbst an und jeder betreibt sie: die physische, seelische und geistige Selbstoptimierung. Die sogenannte ‹Enhancement›-Entwicklung verläuft exponentiell. Wir wollen schön und gesund sein und unternehmen, von der Werbeindustrie stimuliert, allerhand, um schmerzfrei und juvenil ins Greisenalter zu hüpfen. Damit sind nicht nur Brustvergrößerungen, Zahnimplantate und Herzschrittmacher gemeint, sondern künstliche Befruchtung, pränatale Diagnostik, Prothetik und das Anlegen von Organbanken, die physisch Suboptimales ausmerzen sollen. Und wir greifen weiter ein: Sind wir depressiv, justieren uns Psychopharmaka, Neurotransmitter und Hormongaben neu; sind wir nicht klug genug, ‹lernen› wir unter Hypnose oder googeln mal schnell. Neurolinks und Interface-Schnittstellen sollen unser Gehirn mit Weltwissen und ‹Gefühlen› füttern, ‹individualisiert› von unserem digitalen Profil. Am Ende wird der menschliche Bios überflüssig, das Humanum mechanisiert. Das ist kein Horrorszenario, sondern inzwischen politische Realität: Der Roboter Sophia hat die Staatsbürgerschaft von Saudi-Arabien erhalten und kann somit als politisches Oberhaupt gewählt werden. Und wem ist es gegenwärtig, dass eine transhumanistische Partei in Polen 15 Prozent der Wählerstimmen bei den letzten Wahlen erhielt?

data-animation-override>
Dabei fängt alles ganz harmlos bei jedem selbst an und jeder betreibt sie: die physische, seelische und geistige Selbstoptimierung.

Der Transhumanismus ist keine Technokratenhirnen entsprungene Utopie, sondern eine konkret betriebene, ethisch hoch explosive Forschungspraxis, angetrieben von den größten Computer- und Softwarefirmen der Welt – wie zum Beispiel durch Google-Alphabet Inc.: Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben und gottgleicher Allmacht ist nicht zuletzt ein lukratives Geschäftsmodell.

Der thematische Bogen der Tagung wurde nahezu bis zum Anschlag gespannt, ohne vorschnell von einer einordnenden anthroposophischen Nomenklatur abgeregelt oder vereinnahmt zu werden. Durch die physische Präsenz der Kunstschaffenden und der Wissenschaftler mit ihren ‹Werken› kam es sowohl bei Teilnehmern wie Referenten zu einem außergewöhnlichen Evidenzerlebnis: Hier der Mensch, der sein Weltverhältnis aus seinem Inneren schöpft und individualisiert zum Ausdruck bringt. Und dort der äußere Mensch, der sich (freiwillig) fremdbestimmen lässt, seine Autonomie aufgibt und in den sich standardisierte Sinnes-, Wahrnehmungs-, Gedanken- und Handlungsmuster eindrücken.

Die Kulturtagung wurde von der Sektion für Schöne Wissenschaften am Goetheanum, moderiert von Christiane Haid und Ariane Eichenberg, ausgerichtet. Welche Dimensionen dieses hochaktuelle Tagungsthema hat, zeigt die Liste der Referenten: Roland Benedikter, Politikprofessor in Bozen mit hervorragenden Kontakten in die Think Tanks der Transhumanisten; Michael Hauskeller, Philosophieprofessor an der Universität Liverpool, der zu den moralischen Grundlagen des ‹Enhancements› forscht; Christian Kreiß, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Aalen, der sich für eine menschengerechte Wirtschaft einsetzt; Yaroslava Black-Terletzka, Priesterin der Christengemeinschaft, die sich mit dem Thema Ursprungsmythen beschäftigt; René Madeleyn, leitender Arzt in der Filderklinik, zum Thema künstliche Befruchtung; schließlich die bekannten und sehr unterschiedlichen Schriftsteller Galsan Tschinag, Schamane, Stammeshäuptling aus der Mongolei; Patrick Roth (‹Sunrise›) und Sibylle Lewitscharoff (‹Das Pfingstwunder›), die aus ihren Werken lasen und dazu ausführten.

Wir sind durch die technische Entwicklung aufgefordert, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was uns menschliches, selbstbestimmtes Handeln auf der Grundlage eigener Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit bedeutet. Gibt es den ‹freien› menschlichen Willen? Gibt es ein unhintergehbares, nicht reduplizierbares menschliches Ich? Worin besteht der Unterschied zwischen einem selbstlernenden digitalen Cyborg und einem Menschen, der zu einer realen Wesensbegegnung fähig ist? – Fragen, denen in einer Folgetagung im nächsten Jahr nachgegangen wird. Eine Buchpublikation ist in Vorbereitung.


Bild Links: Roland Benedikter, rechts: Patrick Roth. Foto von Jonas Lismont

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare