Sechs Ideen für einen zukünftigen Frieden

Ein Diskussionspapier von Nikolai Fuchs

Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Ergebnis von vorherigen Fehlentwicklungen, die sich so nicht hätten entwickeln dürfen. Insofern hieße es, aus der Geschichte zu lernen und etwaigen Fehlentwicklungen besser vorzubeugen. Dazu gehören folgende Punkte für eine zukünftige Gesellschafts-, Sicherheits- und Friedensordnung:


Machtbegrenzung

Macht korrumpiert mit wenigen Ausnahmen alle Menschen, die sie innehaben. Menschen reagieren auf Machtfülle mit Selbstbezogenheit, dem Wunsch, die Machtfülle zu steigern, und nicht zuletzt mit vielen Formen von Hybris – von Selbstüberschätzung, Großmachtwahn und dergleichen mehr. Fast immer geht diese Entwicklung mit Unterdrückung einher, von Minderheiten, Andersdenkenden oder anderen Ländern. Weil dies so ist, haben schon in der Vergangenheit alle Demokratien Wahlperioden und Amtszeitbeschränkungen eingeführt. Wann auch immer Fehlentwicklungen sichtbar würden, sind so Zeitpunkte eingebaut, um diese Fahrt gegen den Abgrund zu beenden und neuen Kräften Platz zu machen.

Dieses fundamentale demokratische Prinzip wird immer wieder von einzelnen zunächst gewählten Vertretern ausgehebelt, umgangen und außer Kraft gesetzt, nicht nur in vielen Ländern Afrikas, wo mindestens unterschwellig der Tribalismus fortlebt, sondern auch überall in der Welt, jüngst sogar in den USA, seit Längerem aber vor allem in Russland. Einzelne gewählte Vertreter machen sich zu Machthabern, die demokratisch-korrigierende Maßnahmen außer Kraft setzen, um ihre Machtfülle auszudehnen. Was manchmal als ‹Stabilisierung› verbrämt wird und was bisweilen größere Teile der Bevölkerung nicht nur mittragen, sondern sogar still gutheißen – auch, weil ihre Zustimmung durch ‹Familiengelder› etc. erkauft wird –, dass nämlich der ‹starke Mann› die Geschicke des Landes lenken möge, bleibt jedoch mit seinen negativen Auswirkungen wie oben beschrieben nicht selten auf das Land selbst beschränkt, sondern wirkt sich meistens auch auf andere Länder aus, im schlimmsten Fall mit Krieg. Aus vormaligen Demokratien werden autoritäre Regime, die im nächsten Schritt zu Diktaturen werden, begleitet von zunehmendem Terror – nach innen wie nach außen. Damit ist ein Grundübel bezeichnet, das sich in der Regel massiv auf die Weltsicherheitsordnung auswirkt. Die Wurzel dieses Übels liegt in den soeben beschriebenen Prozessen und ist daher adressierbar. Mir scheint der (neue) Autoritarismus wie eine Hydra, an deren Schlangenhälsen Gesichter der heutigen alten männlichen Despoten hervortreten. Dem gegenüber steht Michael – mit Waage und Schwert. ‹Waage› hieße für mich, maßvoll vorzugehen. Das zeigt die liberale-Demokratien-Staatengemeinschaft, an der Grenzscheide zwischen (Waffen-)Hilfe für die Ukraine und Umsicht, keine Kriegspartei zu werden. ‹Schwert› bedeutet, die Hydra zu bezwingen und so einen Wandel zu ermöglichen. Diese Bestimmtheit, meine ich, braucht es, um Pazifismus leben zu können.

Eine Möglichkeit, generelle Sicherheitsordnungen herzustellen, liegt demnach darin, das Prinzip der Wahlperioden für alle Länder verpflichtend und möglichst unumgehbar zu machen. Damit wäre viel für den Frieden gewonnen.

Wie könnte dies gelingen? Zum einen durch viel stärkere ‹Ausbildung zu Demokratie› in den Ländern selbst (anders als heute, wo man sich als Bürgerin und Bürger meist mehr oder weniger unbewusst darin einlebt …) im Sinne eines ‹Demokratie-Führerscheins›. Zum anderen dadurch, dass nur Länder mit funktionierenden Wahlperioden Teil der internationalen Systeme, seien es UNO, IWF, WTO, Weltbank u. d. m., sein dürften. Schon heute müssen Länder ja bestimmte Kriterien erfüllen, um zum Beispiel Mitglied der EU zu werden.

Demokratie-Führerschein

Oft fallen Wahlen und auch Referenden äußerst knapp aus. Man vergegenwärtige sich nur die Abstimmung über den Brexit oder den knappen Wahlausgang der US-Präsidentenwahl 2020. Manchmal entscheiden sich Wahlausgänge am Wetter – bei schönem Wetter gehen regelmäßig weniger Menschen zur Wahl, weil sie den Tag nicht in einer Warteschlange vor dem Wahllokal verbringen wollen. Die Konsequenzen wie beispielsweise bei der Wahl des US-Präsidenten können gravierend sein. Wenn in Demokratien gilt, ‹alle Macht geht vom Volke aus›, dann muss das Volk auch fähig sein, diese Macht auszuüben. Wer in Deutschland weiß genau, wie sich die Bundesversammlung zusammensetzt, die den Bundespräsidenten wählt? Wer in der Schweiz die Einbürgerung beantragt, muss einen Test absolvieren, in dem er Kenntnisse über die demokratischen Institutionen der Schweiz nachweist. ‹Wahlberechtigung› müsste so einen positiv bestandenen Demokratie-Führerschein voraussetzen. (Möglicherweise wissen viele Wählerinnen und Wähler populistischer Parteien nichts von der Verfassung beziehungsweise vom Grundgesetz des betreffenden Landes und können deshalb auch nicht beurteilen, was damit kollidiert und was nicht. Möglicherweise fehlt ihnen auch substanzielle Geschichtskenntnis.)

Wahl von Präsidenten von Supermächten

Für die Gemeinschaft aller Staaten ist es sehr wichtig, wer jeweils Präsident oder Präsidentin der Supermächte USA, China, Russland oder auch der EU ist. Die Wirkung dieser Personen reicht weit über die Landesgrenzen hinaus. Man denke nur an den Irak-Krieg. Gewählt werden sie jedoch ausschließlich von der Bevölkerung des jeweiligen Landes. Präsidenten von Supermächten sollten zukünftig mit einem Drittelgewicht von der UN-Vollversammlung mitgewählt werden.

Integration der Zivilgesellschaft in Entscheidungsprozesse

Die Zivilgesellschaft spielt im gesellschaftlichen Leben neben Staat und dem Privatbereich eine immer größere Rolle. Dieser Rolle entsprechend sollte die Zivilgesellschaft mehr Mitsprache in politischen Entscheidungsprozessen wie zum Beispiel internationalen Handelsverträgen erhalten. Die Zivilgesellschaft kann die Auswirkung einzelner Maßnahmen auf die Betroffenen weit besser wahrnehmen und artikulieren, als es oft gewählte, repräsentative Regierungsvertreter vermögen, die oftmals doch nicht ihr Ohr so nahe am ‹Volk› haben, genauso wenig wie Verantwortliche von Firmen, die naturgemäß die Interessen ihres Unternehmens vertreten. Zumindest sollte die Zivilgesellschaft ein offizielles Stellungnahme-, wenn nicht ein gewisses Mitentscheidungsrecht zugesprochen bekommen.

Im Zweifelsfall – wer kämpft?

Zurzeit sterben Tausende Soldaten in der Ukraine. Dass Wehrpflichtige oder Berufssoldaten – im Ukraine-Krieg zu Tausenden – für die Interessen eines Einzelnen (eines Machthabers) ihr Leben lassen müssen, erscheint ungeheuerlich. Wer seine eigenen Interessen durchsetzen will, sollte/müsste selbst kämpfen, anstatt sich hinter (Bunker-)Mauern (feige) zu verschanzen. Mit allen Konsequenzen. Dies hätte schon für den persönlichen Rachefeldzug von George Bush gegen Saddam Hussein gelten sollen. Wie früher das Duell manchmal als letzte Instanz Streitigkeiten austrug, sollte für heute eine moderne Form gefunden werden, wo die, die selbst ihre Interessen durchsetzen wollen, mit ihrer ganzen Person dafür einstehen müss(t)en1 (Alexander der Große oder auch Napoleon sind mit den Kämpfern mitgezogen und haben sich zur Umsetzung ihrer Vorhaben Gefahren ausgesetzt). Sollte dies nicht geschehen, hätte die internationale Staatengemeinschaft das Recht und die Pflicht, einzuschreiten. Dazu sollten Soldaten immer nur freiwillig in den Krieg ziehen dürfen. Zum Krieg gezwungen dürfte keiner werden.

Souveränität und Selbstbestimmung von Regionen

Wie selbstbestimmt und selbstverwaltet können und dürfen Regionen sein? Zurzeit sind die Regionen Luhansk und Donbass in der Ostukraine im Fokus der Öffentlichkeit. Aber auch Katalonien, Schottland, Südtirol, Darjeeling und naturgemäß Inseln wie jüngst wieder Korsika, Großbritannien (Brexit) und Taiwan – die Selbstbestimmungs- und Autonomiefrage von Regionen stellt sich immer wieder erneut. – Was sind Mittel und Wege, Menschen und Regionen weitgehende Selbstbestimmungsrechte zu gewähren, ohne das Große und Ganze (von Staatengebilden) zu gefährden bzw. ineffizient in der Verwaltung und unübersichtlich im internationalen Miteinander werden zu lassen? Ein allgemeines Regelwerk, das Momente der Souveränität mit Momenten des Vorrangs der größeren Gemeinschaft in Abwägung bringt, wie zum Beispiel, dass der angestrebte indische Gliedstaat Ghorkaland in Darjeeling nicht den Flaschenhals Indiens zum Gliedstaat Assam abschneiden kann – um solche Regelungen würde es hier gehen. Die neuesten Entwicklungen um Korsika geben Hoffnung, dass so etwas gelingen könnte. Dies könnte beispielgebend wirken.

Wem gehören die (fossilen) Rohstoffe?

Die vor Millionen Jahren entstandenen fossilen Lagerstätten von Erdöl, Erdgas, Kohle, aber auch Phosphor, Kalium und Seltenen Erden etc. sind auf der Erde zufallsverteilt. Anders als die Erzeugnisse, die über der Erde erzeugt werden, stellen die fossilen Lagerstätten ein Erbe der gesamten Menschheit dar, das nicht (alleine) der Bestimmungsmacht des gerade (zufällig) darüberliegenden Staatengebildes unterworfen werden sollte. Das Gleiche gilt für die großen tropischen Regenwälder wie den Amazonas oder im Kongo, die ‹Lungen› der Erde, sowie für die (großen) Flussläufe, die mehrere Länder durchziehen wie der Jordan. In all diesen Geschenken der Natur liegen potenzielle Kriegsgefahren. Mindestens alle Anrainerstaaten wie im Falle von Flüssen, im Regelfall aber die gesamte Weltgemeinschaft sollten gemeinschaftlich über die Nutzung der unterirdischen Ressourcen bestimmen. Das Regelwerk dafür könnte sich an den Regeln zum erfolgreichen Umgang mit Gemeingütern (Commons) orientieren, die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom 2009 der Weltöffentlichkeit vorstellte.

Illustration Tuschezeichnungen von Katharina Müller

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Footnotes

  1. Elon Musk hat jüngst Wladimir Putin zum Duell gefordert.

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