Bauern meditieren anders: weniger ‹im stillen Kämmerlein›, weniger in der Kontemplation von Sinnbildern und Mantren, dafür eher beim Präparaterühren, beim Ausmisten und Kühestriegeln, wenn sie die Felder beschauen oder das Wetter prüfen. Überall in der wachen Aufmerksamkeit der Sinne und in der Geistesgegenwart der Hände und Füße ist Vermittlung zwischen dem eigenem Inneren und dem Geist der Natur gefragt, wie er dynamisch in der Zeit wirkt.
Besonders eingeladen darf man sich zur Meditation fühlen in der Zeit «von Mitte Januar bis Mitte Februar […], wo die Erde ihre größten Kräfte, welche namentlich am meisten in der Erde konzentriert sind, entfaltet, wenn man da sich sozusagen eine Festeszeit festsetzen würde und da eben solche Konzentrationen [bzw. Meditationen] vornehmen würde, dann würden schon sich Wirkungen zeigen können.»1 Die Wesensbegegnung zwischen Hofwesen und Mensch ist eine der Säulen der biodynamischen Landwirtschaft. Rudolf Steiner hat den Gang durch die Jahreszeiten in immer neuen Facetten als Einweihungsweg beschrieben. Auch den neugeweihten Priestern dieser ‹Bewegung für religiöse Erneuerung› legte er ans Herz, sie könnten den lebendigen Christus weniger in überlieferten Texten und viel mehr in der Naturwahrnehmung durch das Jahr finden! Anderthalb Jahre später, zu Pfingsten in Koberwitz, werden auch Priester unter den Bauern sein. Die Medizinerinnen und Mediziner machte er darauf aufmerksam, wie wir die Jahreszeiten in Leib und Seele in uns tragen. Sinngemäß seien die Naturkräfte und seelischen Nuancen, die sich im Jahreslauf entfalten, im Menschen gleichzeitig und ganz natürlich in der Physiologie da. Jeden Tag, wenn wir aufwachen und einschlafen, wechseln wir zwischen Wintererlebnissen und einem inneren Frühling.2
Im Gold der Erde
Als Gärtnerin oder Bauer bin ich schon mittendrin in dieser Bewusstwerdung. Die Arbeitsnotwendigkeiten im Jahreslauf, die sanften Übergänge in der Witterung wie auch die herausgehobenen Festeszeiten geben dieser Arbeit nicht nur den äußeren Halt, sondern auch das innere Licht. Die Gräfin von Keyserlingk, Gastgeberin auf dem Gut Koberwitz und von Rudolf Steiner für ihre Eigenständigkeit hochgeschätzte Geistesforscherin, hatte vor und während des Landwirtschaftlichen Kurses tiefe esoterische Gespräche zum Wesen der Erde im Jahreslauf: wie sich die Kräfte von Vater, Sohn und Geist im Jahr entfalten und wie Ostern und Johanni ihren Kontrapunkt und Zusammenfluss im absteigenden Jahr finden im ‹Gang zu den Urmüttern› am 9. November.3 Sie erlebte das Herz der Erde aus Sternensubstanz und zugleich aus purem Gold: «aus jenem Gold, das aus dem Hohlraum der Sonne stammt und dorthin wieder zurückgehört. […] Das Herz des Jesus-Zarathustra in der Erdentiefe der Mitternacht.» Ist da der Einweihungsweg des Gärtners und der Bäuerin nicht besonders wichtig, indem sie dieser «Erdentiefe der Mitternacht» entgegenarbeiten, im Raum und in der Zeit? Den Jahreslauf erleben wir als einen Atem zwischen Erdentiefe und Weite des Kosmos, mit dem fruchtbaren Boden in der Mitte, der beides in sich aufnimmt und in Stoff verwandelt, aus den Kräften der Jahreszeiten.4
Forschung
Ein Blick auf gegenwärtige biodynamische Forschungsprojekte offenbart eine erfrischende Vielfalt meditativer Ansätze, insbesondere in Bezug auf die Kräfte des Jahreslaufes. Bauern, (u. a. Bildekräfte-) Forscherinnen und Eurythmisten tun sich zusammen (wenn sie nicht schon in ein und derselben Person vereint sind). Ergebnisse und Methodenvielfalt sind beeindruckend.5 Zum Beispiel wird Saatgut ‹geöffnet› für die Gestaltungskräfte der Erde (Wintereingrabung während der Adventszeit und der heiligen Nächte; Formgebung des Bodens, zum Beispiel Anlage von Saatbeeten in Gestalt eines vierarmigen Wirbels) und des Kosmos (Konstellationsforschung; Aussaat, Bearbeitung, Präparate sprühen bei einem bestimmten Sternenstand; Behandlung mit Wasser aus der heilsamen Jungfrau-Fische-Achse). Künstlerische Angebote werden an die Pflanze herangetragen: Tonintervalle, eurythmische Gebärden und Lautfolgen wie etwa die von Rudolf Steiner besonders empfohlene ‹Evolutionsreihe›. Mantren schaffen eine Brücke zu den schöpferischen Hierarchien, angelehnt an die Klassenstunden oder auch in direkter Anknüpfung an die von Rudolf Steiner explizit für die Saatgutpflege gegebene sogenannte Stegemann-Meditation.6
Die Phase des Ausprobierens ist vorbei. Dass durchgreifende Wirkungen erzielt werden, ist keine Frage mehr. Dass man mit Schöpferkräften umgeht und also in einer heiligen Verantwortung steht, ist eine unmittelbare, erschütternde Erfahrung. Somit stellt sich die Frage der Zielsetzung in aller Strenge: Welche Wünsche haben wir für unsere Kulturpflanzen? Werden die menschlichen Vorlieben in Geschmack, Aussehen, Größe und Haltbarkeit von der geistigen Welt unterstützt? Was dürfen wir fragen und was wird von uns gefragt? Wie sind Kulturpflanzen beschaffen, die den Menschen als entwicklungsoffenes Wesen ernähren können – jetzt und erst recht in die Zukunft hinein?
Mitschöpfende
Erfahrungsgemäß braucht es einen mehrjährigen Dialog, mit Behandlungen, Anbau, nochmals Behandlung etc., ehe sich ein stimmiges Bild einer neuen Kulturpflanze mit Fruchtorganbildung einstellt. Von dort ist es immer noch ein weiter Weg, dass das geistig-ätherisch anwesende Urbild sich auch physisch inkarnieren, also mit Substanz füllen kann. Das Mitschöpfertum des Menschen etwa bei der Suche nach neuen Getreidesorten aus Wildgräsern7 eröffnet Freiheitsräume, die nur in größter Andacht zu handhaben sind. Oft sind Zeitprozesse ein Schlüssel. Im Landwirtschaftlichen Kurs sind hierzu einige Anregungen gegeben worden, zum Beispiel zur Veraschung von Schadtieren und Unkräutern bei bestimmten Konstellationen. Pionierinnen wie Maria Thun haben einen reichen Erfahrungsschatz mit jenen kosmischen Fenstern gesammelt, etwa wenn bestimmte Planeten oder der Mond als Vermittler günstig in einem bestimmten Tierkreisbild stehen. Zu dieser direkten, zeitgebundenen Art von Konstellationsforschung tritt in jüngster Zeit verstärkt ein künstlerischer Umgang mit den Kräften des Jahreslaufes. Das Erderühren während der christlichen Jahresfeste – zum Beispiel der Osterwoche oder der heiligen Nächte – ist ein alter, neubelebter Brauch. In einem Eimer, rhythmisch-meditativ von Tag zu Tag, dynamisiert sich ein Heilmittel für das ganze Jahr. Es steht dann auch als Ingredienz für weitere Kompositionen und Züchtungsversuche zur Verfügung.
Misteln und Bienen
Einem ähnlichen Prinzip folgen die Mistel-Bienen-Essenzen, die seit der Osterwoche 2020 rund um das Goetheanum entstanden sind. Hier verbinden sich Tier- und Pflanzenwesen zu einer höheren Einheit von Licht und Wärme; ein Kreis von insgesamt 17 wässrigen Auszügen zum Sprühen, Tropfen, Einnehmen oder auch zur selektiven Anwendung. Die Mariä-Lichtmess-Essenz zum Beispiel führt Mensch und Pflanze in die Weite, wie es dem Spätwinter mit seinem expandierenden Licht entspricht, der Zeit der heiligen Brigid bzw. der ‹weißen Göttin› der druidischen Tradition. Die Erdmutter-Essenz vom 9. November knüpft unmittelbar an Johanna von Kaiserlingks Forschungen an: Sie führt Mensch und Pflanze in die Tiefe, durch alle Dunkelheiten hindurch zum goldenen Herz der Erde. Die Essenz vom Ostermorgen und den folgenden Sonntagen baut Stück für Stück an den zukünftigen Wesensgliedern – der Menschen wie vielleicht auch der Pflanzen und Tiere – aus der Kraft des Auferstehungsleibes.
Was Bienen, Misteln und Bäume da im Verbund mit Menschen zubereitet haben, möchte auf den Menschen und in die Natur zurückwirken. Und damit sind wir wieder bei den Säulen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft, die Rudolf Steiner in Koberwitz hingestellt hat. Die vielleicht geheimnisvollste und noch am wenigstens ausgearbeitete von ihnen betrifft die geistige Beziehung zwischen Mensch und Landschaft, das Gespräch des Bauern mit der Hofindividualität.
Die Feld- und Kompostpräparate wirken und brauchen im Prinzip keine Unterstützung. Doch vielleicht kann ich anders, wach-bewusster und sensibler wahrnehmend in das Rühren und Sprühen hineingehen, wenn ich mich mit den geistigen Wesen des Jahreslaufes verbinde? Füttern und Ausmisten, Ackern und Ernten, das macht jeder Landwirt und jede Gärtnerin aus der eigenen Kompetenz. Die Einladung aber an alle Wesen im Umkreis, bei diesem Geschehen inspirierend mitzuwirken, darf immer deutlicher ausgesprochen werden. Jede und jeder kann hier eigene Zugänge finden.
Meditation kann sich seit alters her mit Nahrungsverzicht (Fasten) verbinden, ebenso aber auch mit liebevoller, gesteigerter Wahrnehmung beim Essen. Die Meditation der Bäuerin setzt wohl eher am anderen Ende des Nahrungskreislaufes an: da, wo sich ein kosmisches Wesen in Pflanzengestalt kleidet, um uns in der Nahrungsaufnahme genau die Urbilder zu schenken, die wir als Anregung für unsere Entwicklung brauchen. Züchtung, Anbau, Düngung, Verarbeitung und Veredelung, sie alle gehen mit diesen Bildekräften um. Inmitten der fortschreitenden Degeneration und Manipulation vieler konventionell gefertigter Nahrungsmittel öffnen sich immer mehr Türen zum Kosmischen. Meditation – insbesondere die meditative Tat am Acker – hält diese Tore in beide Richtungen offen.
So öffnet das landwirtschaftliche «Mitte-Finden» (Medi-tation) auch die karmische Dimension, wie Ueli Hurter in seinem Abschlussvortrag der Landwirtschaftlichen Tagung 2023 dargestellt hat.8 Der eigene Lebensweg von der Erstbegegnung bis zur Verantwortlichkeit in der biodynamischen Arbeit verbindet sich mit den Schicksalsgemeinschaften und Strömungen der mittlerweile weltweiten Bewegung – und bekommt zuletzt eine Menschheitsdimension: Wie helfen wir, dass die Erde bewohnbar bleibt und die Natur ein Werkzeug der Schicksalsgötter? Wie kann die Nahrung – entgegen der fortschreitenden Degeneration – immer mehr die Einwohnung des Menschen-Ich im Leib fördern?
Das tiefere Zusammenspiel von Mensch und Erde können wir meditativ und co-kreativ erforschen – und gestalten!
Kontakt sowie ausführliche Version dieses Artikels raphael@baldron.com
Web Baldron, Mistelessenzen
Titelbild Mistelpflanze, Foto: Sofia Lismont
Footnotes
- Landwirtschaftlicher Kurs, GA 327, Fragenbeantwortung vom 12.6.1924.
- Insbesondere GA 218 und 219.
- Adalbert von Keyserlingk (Hrsg.), Koberwitz 1924 – die Geburtsstunde einer neuen Landwirtschaft. Stuttgart 2018, S. 76–81.
- Vgl. GA 223. Interessanterweise entwickelte Rudolf Steiner die großen Imaginationen der Jahresfeste und des Atmungsvorgangs der Erde allesamt im Jahre 1923, also vor genau 100 Jahren, gewissermaßen in der Schwangerschaft des Koberwitz-Impulses.
- Vgl. Kultursaat; Bildekräfte; Institut Artenova.
- GA 267, S. 447: In offenbarer Anknüpfung an die antiken Mysterien von Samothrake werden die ‹oberen› und die ‹unteren Götter› angesprochen, mit dem Ziel einer Durchdringung der Kräfte von Weisheit und Liebe.
- Besonders erfolgversprechend scheinen die Versuche mit dem von der Krim gewonnenen Wildgras Dasypyrum villosum; vgl. Saatgutforschung.
- Während des Landwirtschaftlichen Kurses hielt Rudolf Steiner in Breslau Mitgliedervorträge zu Karma-Fragen.
Mir gefällt schon der Titel und dann natürlich die Beschreibung der Meditation, wie sie in der alten Landwirtschaft „in wacher Aufmerksamkeit der Sinne und in der Geistesgegenwart der Hände und Füße“ buchstäblich stattfand.
Der Artikel von Raffael Kleimann erinnert mich an die Zeit meiner Kindheit und Jugend, in der ich als Kind und später Gymnasiast in der dörflichen Landwirtschaft bei den Großeltern „unterwegs“ war. Mir ist, als würde ich träumen, wenn ich 50/60 Jahre zurückdenke an die Zeit, wie ich sie wirklich erlebt habe: Der Großvater beim Ausmisten mit der Mistgabel, beim Kühestriegeln, beim Ausschauhalten nach dem Wetter, wie er sachte an den Barometer klopfte, wie er drinnen und draußen das Wetter prüfte, das Feld beschaute und die 10 ooo Dinge der bäuerlichen Landwirtschaft mit wacher Aufmerksamkeit und in hoher Geistesgegenwart und in einer stressfreien Langsamkeit tat, von der man, ja, heute nur noch träumen kann. Aber es war für mich vor noch nicht allzu langer Zeit Wirklichkeit.
Ich brauche nicht die Einordnung von Saat und Ernte in den astrologischen Kontext. Mir genügt die vitalisierende Erinnerung an eine meditativ betriebene Landwirtschaft, wie ich sie beobachtet und erlebt habe.
Und ich frage mich, wie wir heute in unserer allenthalben stressig geschäftigen Treibhauswelt etwas von der Achtsamkeit im Umgang mit der Natur und uns selbst wieder zurückgewinnen können.
Danke für den Impuls.
Schwelgen in Jugenderinnerungen ist das Eine und wird auch gerne ausführlich erzählt;das Eintauchen in die Lebensprozesse der Natur unter anthroposophischen Aspekten ist das Andere: Dieses wird mühsamst im Laufe des Lebens erworben,begleitet von bitteren Entbehrungen und Fehlschlägen.Jedoch entwickelt sich dadurch ein tieferes Empfinden für den lebendigen Gesamtorganismus Erde.Das zu vermitteln wird,bei allem Wohlwollen,bei der heutigen abstrahierenden Denkweise immer schwieriger.
Was hilft ist jahrelange Lebenspraxis,Bescheidenheit und Zuversicht.
Tja….wer will sich schon freiwillig darauf einlassen?
Mein Fazit,nachdem ich zeitlebens imponierende Bauern erlebt habe:
Es geht nur noch unter Einbeziehung dieser Verstorbenen,die sich zeitlebens darum bemüht hatten,und weiter auf ihre Weise hilfreich zeigen.
Rudolf Steiners Vortrag:Der Tod als Lebenswandlung(GA 182)hilft mir dabei sehr!