Liebe und Verletzlichkeit

Diese beiden Worte haben Sonja Zausch, Bart Vanmechelen und Jan Göschel, die drei Verantwortlichen des Council for Inclusive Social Development, in den Untertitel ihrer Herbsttagung gestellt. Wie eng die beiden Tugenden verbunden sind, zeigt der irische Schriftsteller Clive Staples Lewis in seinem Buch ‹Was man Liebe nennt›.


Er macht darin Verletzlichkeit zur Bedingung des Liebens: «Lieben heißt verletzlich sein.» Zu dieser irischen Seelenarithmetik nun die Seelentopografie: Wer etwas studiert, etwas erkennt, wird auf die Sache zugehen, die er verstehen will. Ob Sache, Tier oder Mitmensch: Wer etwas erkennen will, versenkt sich darin, taucht ein, lässt sich ein auf das Fremde. Umgekehrt ist es bei der Liebe, da nimmt man das andere in sich hinein. Im Erkennen sind wir in der Welt, in der Liebe ist die Welt in uns. Wenn das gilt, dann hat alles das, was ich liebe, den Schutz, das Immunsystem meiner Seele längst überschritten, ist diesseits der Rippen im Herzen angekommen – gewollte Verletzlichkeit.

Und wie steht es mit der Unverletzbarkeit? Bei Siegfried legt sich ein Lindenblatt zwischen die Schultern, als er im Drachenblut badet, und macht ihn dort verwundbar, bei Achilleus hält Thetis an der Ferse, als sie ihn in den Unterweltfluss Styx taucht, und diese bleibt unbenetzt. So haben beide ihre Schwachstelle, sind verletzbar. Das führt zur Seelengrammatik: Wer sich wie Achill oder Siegried stählt, der ist verletzbar, wer sich als Liebende und Liebender öffnet, der ist verletzlich.


Bild Sonja Crone, Die Harmonie der komplementär Farben.

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