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Giancarlo Buccheri

In der Morgendämmerung des 7. April überschritt Dr. Giancarlo Buccheri (Siracusa, 1.6.1950 –Mailand, 7.4.2020) nach vierwöch­iger schwerer Covid-19-Erkrankung die Schwelle.


Der nahe Ostervollmond sank unter den westlichen Horizont. Im Südosten strahlte gegen Morgen Jupiter, in dessen Nähe das verhaltene Licht des Saturn; Mars zog in den Wochen an beiden Planeten vorbei, als Dr. Buccheri beatmet auf der Intensivstation in Mailand behandelt wurde. 100 Jahre vorher, am 7. April 1920, charakterisierte Rudolf Steiner diese winterliche Planetenkonstellation bei Begründung der Anthroposophischen Medizin in seinem 18. Vortrag zu ‹Geisteswissenschaft und Medizin› in konkretem Bezug zu epidemischen Erkrankungen (wie der Grippe), gerade auch in Bezug auf die Atmung. Es war Dr. Buccheri, der diesen Vortragszyklus ins Italienische übersetzt hatte.

Die Anthroposophische Gesellschaft und die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft wie auch die Anthroposophische Medizin verdanken Giancarlo Buccheri sehr viel. In Sizilien geboren, wuchs er in Turin auf. Mit fünf Jahren erkrankte er in der damaligen Kinderlähmungsepidemie, mit zwölf Jahren an einer schweren Blinddarm­entzündung. Im gleichen Alter bekundete er sein intensives Interesse, Deutsch zu lernen, und dies führte ihn mit 17 Jahren zu einem Auslandsaufenthalt bei der Weleda, wo er nicht nur Deutsch lernte, sondern auch die Anthroposophie kennenlernte. Erst nach der Rückkehr entdeckte er die Bücher Rudolf Steiners in der mütterlichen Bibliothek; seine 94-jährige Mutter starb jetzt während seiner Erkrankung zu Hause ebenfalls an Covid-19. – Er studierte Medizin und arbeitete danach von 1975 bis 1977 an der Ita-Wegman-Klinik. Er gehörte zum ersten Kreis anthroposophischer Ärzte in Italien, arbeitete zunächst mit Dr. Aldo Bargero, dem Begründer Anthroposophischer Medizin in Italien, und dann bis zuletzt in eigener Praxis, voller Engagement für seine Patienten. Mit seiner aus Holland stammenden Frau Sacha gründete er eine Familie, mit drei Kindern und sechs Enkeln.

Sein energischer Wille, die Beharrlichkeit in seinen Zielen und seine Treue zur Anthro­posophie haben sein gesamtes Wirken geprägt. In seiner gewinnenden, stets höflichen, gewandten und humorvollen Art, mit seiner gepflegten Sprache – im Italienischen wie im Deutschen, Französischen und Englischen –, seiner hellen, kräftigen Stimme mit italienisch-musikalischem Timbre, seiner hohen, schlanken und stets elegant gekleideten Erscheinung mit aristokratischen Zügen, seinem Charisma, seinen diplomatischen Fähigkeiten, gepaart mit Lebensfreude und Liebenswürdigkeit, bildete er in vielen Zusammenhängen den Mittelpunkt. Er war ein großzügiger Gastgeber. Seine spirituelle Sicherheit, Bestimmtheit, ja Strenge und Überzeugungskraft verband sich in edler Weise mit sonniger, feinsinniger, an Seele und Geist gebildeter Menschlichkeit. Lange Zeit leitete er als Präsident die anthroposophische Ärztegesellschaft Italiens SIMA. Dank seines weitblickenden und engagierten Einsatzes ist in diesen Jahren die Anthroposophische Medizin in Italien zahlenmäßig und in der Substanz stetig gewachsen und aus der einzelnen Praxis in die Öffentlichkeit gegangen. In den Jahren des Kampfes um die Anerkennung und Verteidigung dieser Medizin und ihrer Heilmittel zeigte er sein ungewöhnliches politisches und diplomatisches Geschick, verbunden mit einer großen Zielstrebigkeit. In Treue zu der Haltung, die Dr. Aldo Bargero (später lange Generalsekretär der anthroposophischen Landesgesellschaft) begründete, verband er die Anthroposophische Medizin stets eng mit der allgemeinen Anthroposophie und der Freien Hochschule. Er wirkte lange als Zweigleiter in Mailand und engagierte sich bis zuletzt in treuer, beständiger Teilnahme an der Arbeit im Zweig. Vortragende aus anderen europäischen Ländern hat er oft selbst übersetzt und mit eigenen und von ihm kontrollierten Übersetzungen die Anthroposophie in Italien gefördert.

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Alle jene, die ihn persönlich kannten, bewahren in ihrem Herzen eine warme Zuneigung und tiefe Wertschätzung für das Beispiel, das er gegeben hat, und für all die Impulse, die er unermüdlich und großzügig im Leben der anthroposophischen Bewegung gesät hat.

Von 1991 bis 2007 war er Präsident der IVAA (Internationale Vereinigung der Anthroposophischen Ärztegesellschaften), die er, anfangs mit Jürgen Schürholz als Vizepräsident, als Organisation zur rechtlich-politischen Sicherung der Anthroposophischen Medizin von Grund auf neu aufgebaut hat. Er gab dieser Medizin in Europa ein Gesicht und konnte bei Politikern, leitenden Vertretern der europäischen Administration und komplementärmedizinischen Partner­organisationen Vertrauen gewinnen. Er erkannte den Bedarf nach Professionalität im Umgang mit den europäischen Partnern und begründete, in Zusammenarbeit mit Michaela Glöckler, das IVAA Liaison Office in Brüssel, das heute von der Italienerin Elisa Baldini geführt wird. In Italien begründete er einen komplementärmedizinischen Dachverband und war Delegierter bei dem Koordinationsgremium der unkonventionellen Medizin am Gesundheitsministerium in Rom. Die Arzneimittel waren ihm ein besonderes Anliegen. An dem ‹Vademecum Anthroposophische Arzneimittel› arbeitete er mit einem Kollegenkreis in intensiver Weise mit und sorgte für dessen italienische Übersetzung. Nach einigen Jahren im Weleda-Verwaltungsrat wandte er sich in den letzten sieben Lebensjahren mit all seiner Kraft der Gründung der Fondazione Antroposofica Milanese zu, dem größten Arbeitszentrum der Anthroposophie in Italien, dessen Präsident er war. Er unterstützte und förderte zahlreiche kulturelle Initiativen und Veranstaltungen, zuletzt im Oktober 2019 einen großen Kongress an der Università Statale von Mailand über die Würde des Menschen, u. a. mit Prof. Giovanni Maio, und moderierte dort ein Podiumsgespräch über Medizin und Ethik.

Ein weiterer Bereich, der ihm sehr am Herzen lag und an dem er sich immer intensiv beteiligt hat, war die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft. Lange Zeit war er als Lektor in Mailand und Turin tätig. In den letzten Jahren hatte er sich stark für die Förderung freier Klassenstunden eingesetzt, von denen er zutiefst überzeugt und auf die er aufrichtig stolz war: ein Charakterzug seiner Persönlichkeit, der von Vorurteilslosigkeit und Offenheit in der geistigen Suche nach neuen Formen zeugt. Es war auch Giancarlo Buccheri, der die Begründung und Entwicklung der Freien Hochschule in Palermo und kürzlich auch in Sardinien freudig unterstützte und leitete.

Er war ein willensstarker praktischer Mensch, der getreu dem ursprünglichen Impuls der Weihnachtstagung und dem Stil von Ita Wegman sich tätig engagierte und weniger selbst als Dozent oder Vortragender wirkte. An einem Donnerstag, dem Tage Jupiters, geboren, verstand er es, mit sicherem Geist und Geschick komplexe soziale Gefüge und Organisationen aufzubauen und in fruchtbarer Weise zu führen. Etwa 20 Jahre lang leitete er die medizinische Sektion in Italien, immer mit Zartgefühl, Vornehmheit, aber auch Festigkeit. Bei dem letzten Treffen, Ende November 2019, zog er sich, ohne Gründe zu nennen und für andere unerwartet, aus der Leitung zurück: eine unbewusste Intuition, dass er bald zu neuen Aufgaben berufen würde? Schließlich erschien kürzlich ein von ihm herausgegebenes und mitverfasstes Werk, auf das er zu Recht stolz war und dessen Realisierung zu einem großen Teil seiner Beharrlichkeit zu verdanken ist: ‹Clinica medica antroposofica› (Edizioni Minerva Medica), dessen Vorwort vielleicht als sein geistiges Vermächtnis angesehen werden kann.

Alle jene, die ihn persönlich, an den verschiedenen Tagungen, als Kollege, Patient oder Freund kannten, bewahren in ihrem Herzen eine warme Zuneigung und tiefe Wertschätzung für das Beispiel, das er gegeben hat, und für all die Impulse, die er unermüdlich und großzügig im Leben der anthroposophischen Bewegung, Medizin und Gesellschaft in Italien und darüber hinaus gesät hat. Sich selbst hat er manches Mal als ‹kleinen Esel für Michael› bezeichnet. Im Geiste Raphael-Merkurs behandelte und begleitete er seine Patienten. Nach vier Wochen schwerer Krankheit in der Passionszeit, die er völlig getrennt von seinen Angehörigen und ärztlichen Freunden durchleben musste, ist er am Tag des Ostervollmonds zur Zeit des Sonnenaufgangs über die Schwelle getreten.

«Wir aber brauchen den Christus, den wir in unserem Innern suchen können, weil er, wenn wir ihn suchen, alsbald erscheint. Wir brauchen den Christus, welcher in unseren Willen einzieht, der unseren Willen durchwärmt und durchfeuert, damit dieser Wille kraftvoll werde zu denjenigen Taten, die für die Menscheitsentwicklung von uns verlangt werden. Wir brauchen denjenigen Christus, den wir nicht als den leidenden anschauen, sondern der da schwebt oberhalb des Kreuzes und herüberschaut auf das, was wesenlos am Kreuze endet. Wir brauchen das starke Bewusstsein von der Ewigkeit des Geistes.»(1)


Mit Ergänzungen von Michaela Glöckler, Peter Heusser, Friedwart Husemann, Frank Mulder, Georg Soldner, Madeleen Winkler und Peter Zimmermann.

(1) Rudolf Steiner, Die Verantwortung des Menschen für die Weltentwickelung durch seinen geistigen Zusammenhang mit dem Erdplaneten und der Sternenwelt, Vortrag vom 27.3.1921, R.-Steiner-Verlag, Basel, 1989.

Bild: Giancarlo Buccheri

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