Wolfgang Schad und ich arbeiteten in verschiedenen wissenschaftlichen Gremien zusammen. Mit seinem unwahrscheinlichen Gedächtnis, seiner Ideenkreativität und seinem klaren Urteil war er vielen der Teilnehmenden überlegen, andererseits waren die Teilnehmenden aber auch oft Wissenschaftler, die mit ähnlicher Intensität auf verschiedenen Gebieten gearbeitet hatten.
Im Laufe der Zeit geschah es in solchen Situationen immer öfter, dass er von einem Thema besonders angeregt war und gelegentlich weit ausholend und ausführlich darüber sprach, um sein Urteil zu begründen. Manches von dem, was er darstellte, war neu, anderes den meisten von uns schon gut bekannt. So kam es, dass andere Teilnehmer sich bei mir beklagten, sie fühlten sich manchmal wie Schüler behandelt, nicht wie Kollegen.
Derartige Situationen, wo einer spricht und die anderen darauf warten, dass er endet, belasten bekanntlich die Kollegialität in einem Gremium. Daher fasste ich mir eines Tages ein Herz, um Wolfgang Schad darauf anzusprechen. Es erforderte einiges an Überwindung meinerseits, da er in gewisser Weise ja doch noch einer meiner Lehrer war, trotz kollegialer Freundschaft, und ich kannte die Schärfe, mit welcher er ein Urteil aussprechen konnte.
Als wir an einem Abend noch zusammensaßen, begann ich in aller Vorsicht, das Problem zu beschreiben, durchaus seine Antwort fürchtend. Wie erstaunt war ich dann aber über die Reaktion: Er bedankte sich herzlich und ausführlich, man würde ja so etwas selbst oft nicht bemerken, dafür brauche man eben Freunde. Und dann wechselte das Gespräch bald zu einem anderen Thema, die Sache war erledigt. – Klagen von Kollegen habe ich seitdem nicht mehr gehört, und das «Problem» war tatsächlich mehr oder weniger verschwunden. So konnten sich in Wolfgang Schad hohe fachliche Kompetenz mit menschlicher Größe verbinden.
Es ist so schade, dass R.Steiner keine Kollegen und Freunde hatte und so stark missverstanden wurde (zu Lebzeiten).